Das Scheitern der Ampel, absehbare Neuwahlen und eine beispiellose Schlammschlacht zwischen SPD und FDP: Was auf der Berliner Bühne aufgeführt wird, hat auch mittelbare Folgen für NRW.
Berlin strahlt ausDas sind die sieben wichtigsten Folgen des Ampel-Bebens für NRW
1. Staatspolitische Verantwortung
Die neue rot-grüne Minderheitsregierung wird versuchen, die Union im Bundestag und unionsgeführte Bundesländer wie NRW in den kommenden Monaten unter Druck zu setzen, sich bis zu Neuwahlen im Frühjahr 2025 nicht komplett zu verweigern. „Der Kanzler sollte mit der Vertrauensfrage im Bundestag schnellstmöglich Neuwahlen ermöglichen und den Weg für eine handlungsfähige, stabile Bundesregierung freimachen. Appelle an die staatspolitische Verantwortung ausgerechnet aus dem Mund von Ampel-Vertretern sind nach dem Staatstheater der letzten Wochen unglaubwürdig“, sagte dagegen NRW-Staatskanzleichef Nathanael Liminski (CDU) unserer Redaktion.
2. Sicherheit
Beim Thema Sicherheit und Migration wäre eine Verständigung zwischen den Ländern, der Union im Bundestag und der rot-grünen Minderheitsregierung zwar möglich. Der Bund könnte versuchen, eine Mehrheit für Teile seines im Bundesrat gestoppten Sicherheitspakets zu finden. NRW hat derweil ein Interesse an einer „Allianz der Mitte“, um seine Vorstöße zur wirksameren Abschiebepraxis oder zur Vorratsdatenspeicherung doch noch umzusetzen. Liminski ist jedoch mehr als skeptisch, dass eine Regierung ohne eigene Mehrheit gute Gesetzgebungsarbeit zustande bringt: „Konzepte einer gescheiterten Koalition sind keine geeignete Grundlage, um die zentralen Herausforderungen zügig und nachhaltig zu lösen.“
3. Altschuldenfonds
Das Scheitern der Ampel-Koalition öffnet ein kleines Fenster für Bundeshilfen bei der kommunalen Altschuldenlösung. NRW hat sich verpflichtet, jährlich 250 Millionen Euro aus dem Landesetat den überschuldeten Städten insbesondere im Ruhrgebiet zur Verfügung zu stellen und bislang vergeblich Gleiches vom Bund verlangt. Die rot-grüne Minderheitsregierung könnte in den kommenden Wochen versuchen, die Union für einen gemeinsamen Gesetzentwurf zu gewinnen. Bislang hatte die Ampel nichts vorgelegt, so dass sich CDU/CSU im Bundestag dazu gar nicht verhalten mussten.
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4. Krankenhausreform
Zu den wichtigen Gesetzen, die noch in der Pipeline sind, gehört die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die das Vergütungssystem für Behandlungen reformieren soll und die Kliniklandschaft an Rhein und Ruhr umkrempeln dürfte. Nicht zu verwechseln mit dem neuen NRW-Krankenhausplan, der davon unabhängig ist und spätestens 2026 in Kraft tritt. Die Lauterbach-Reform ist am 22. November im Bundesrat. NRW will den Vermittlungsausschuss anrufen, um Änderungen zu erreichen. Gibt es dafür in der Länderkammer eine Mehrheit, könnte die Reform wegen der fehlenden Zeit für ein Vermittlungsverfahren bis zur Neuwahl und unklarer Mehrheitsverhältnisse im Bundestag tot sein. Mit unabsehbaren Folgen für finanziell angeschlagene Krankenhäuser.
5. Kommunalwahl
Über die vorgezogenen Bundestagswahlen dürften viele Kommunalpolitiker in NRW erleichtert sein. Am 14. September 2025 werden in NRW die Stadträte, Bezirksvertretungen, Kreistage, Landräte und Bürgermeister neu gewählt. Mögliche Stichwahlen wären am 28. September mit dem ursprünglichen Termin der Bundestagswahl zusammengefallen. Mancher lokale Amtsträger sorgte sich bereits, dass Bundesthemen und die Kanzlerwahl alles andere überlagern. Zwar können die Bürger bei Abstimmungen die unterschiedlichen politischen Ebenen deutlich besser auseinanderhalten als immer unterstellt wird, doch Bundestagswahlen haben erfahrungsgemäß eine deutlich höhere Beteiligung als reine Bürgermeister-Stichwahlen. Wer einmal in der Wahlkabine steht, kreuzt auch den Stichwahl-Zettel an – schon allein dadurch verschieben sich leicht die Mehrheitsverhältnisse.
6. Oppositionsklima
Seit der Landtagswahl 2022 hatten sich die politischen Lager in Düsseldorf neu sortiert. Während die einst als besonders links verschrienen Grünen zum zahmen Regierungspartner von CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst geworden sind, haben sich SPD und FDP in der Opposition angenähert. Manche Initiativen gegen Schwarz-Grün brachte man gemeinsam auf den Weg. Auch auf persönlicher Ebene schien etwas zusammenzuwachsen. Die schmutzige Scheidung zwischen Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner könnte sich nun als Belastung erweisen. Lindner genießt als ehemaliger Vorsitzender großen Rückhalt in der Landtagsfraktion, der heutige Fraktionschef Henning Höne gehört zu den treuesten Lindner-Zöglingen. Derweil feuert die NRW-SPD aus allen Rohren, um den geschassten Finanzminister als verantwortungslosen Polit-Zocker hinzustellen. „Christian Lindners Politikverständnis ist der Größe eines Regierungsamtes nicht gewachsen“, urteilten die SPD-Landeschefs Sarah Philipp und Achim Post ultimativ. Das könnte atmosphärisch nachwirken.
7. Berlin als Sündenbock
Bisher ist Ministerpräsident Wüst gut damit gefahren, bei politischen oder finanziellen Problemen auf den Bund zu zeigen. Noch zu Wochenbeginn erklärte NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk ein weiteres Milliardenloch in seinem Etat mit Berliner Entscheidungen: „Die Wirkung der verfehlten Wirtschafts- und Steuerpolitik der Ampel in Berlin erweist sich immer deutlicher als Bürde für solide Haushalte in den Ländern.“ Wenn nach der vorgezogenen Bundestagswahl der wahrscheinliche Fall eintritt, dass Wüsts Parteichef Friedrich Merz im Kanzleramt sitzt, funktioniert diese Verantwortungsdelegation nicht mehr. Muss Merz sogar eine schwarz-grüne Koalition anführen, die in Teilen der Union verhasst ist, dürfte es für das gleichfarbige Regierungsbündnis in NRW erst recht ungemütlicher werden.