Die Geschichte des CDU-Chefs ist das unglaublichste Comeback in der deutschen Politik – und zeigt auch seine Lernfähigkeit. Bei der unterlegenen SPD bleibt das ganz große Stühlerücken derweil aus. Was heißt das für Deutschlands beliebtesten Politiker Boris Pistorius?
Comeback des CDU-ChefsDemut kann Friedrich Merz auch
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Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag
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Als am Wahlabend in der CDU-Zentrale die Band aufspielt, ist schon fast keiner mehr da, der noch tanzen könnte. Kein „Rambo-Zambo“ weit und breit. Friedrich Merz sitzt bereits in der sogenannten „Elefantenrunde“ im Fernsehen – und schlägt stattdessen neue Töne an. „Ich werde mich darum bemühen, eine Bundesregierung zu bilden, die die ganze Bevölkerung der Bundesrepublik repräsentiert.“ Ist das der gleiche Friedrich Merz, der am Vortag noch seinen politischen Gegnern vorwarf, „nicht mehr alle Tassen im Schrank“ zu haben?
Schon im Wahlkampf hatte er immer wieder gesagt, dass es nach dem 23. Februar, dem Wahltag also, einen 24. Februar gebe. „Und dann müssen wir miteinander reden können.“ Gleichzeitig ließ er keine Gelegenheit aus, seine möglichen Koalitionspartner Grüne und SPD maximal zu piesacken. Die Vorstellung von guten und zügigen Koalitionsverhandlungen, wie sie Merz nun vorschweben, fällt da erstmal schwer.
Aber nach der Wahl tritt ein neuer Friedrich Merz in die Arena. Versöhnlich und demütig, diese Seite kannte man noch nicht von ihm.
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Vielleicht wirkt Merz so aufgeräumt und milde, weil das Wahlergebnis von dann doch nur 28,5 Prozent im Vergleich zu den Rückschlägen, die er zuvor erlebt hat, leicht wegzustecken ist? Bekanntlich scheiterte sein erster Anlauf an die Spitze der CDU daran, dass Angela Merkel ihm 2002 den Fraktionsvorsitz entzog und die Führung und das Kanzleramt übernahm. Das war vor knapp einem Vierteljahrhundert. Merz zog sich damals aus der großen Politik zurück, er verdiente viel Geld in der Finanzwirtschaft, bewegte sich in anderen Sphären als den Marktplätzen und Stadthallen der Republik. Erst im dritten Anlauf wurde er 2022 doch noch Parteichef – und jetzt womöglich Kanzler. Vor diesem Wahlkampf führte er mehrere parteiinterne Wahlkämpfe – und er hat oft verloren.
Sein langjähriger Freund, der Publizist Wolfram Weimer, sieht da eine große Parallele. Die Geschichte von Merz ist die eines spektakulären Comebacks – und das ganze Land brauche schließlich auch ein Comeback.
Friedrich Merz zeigt eine steile Lernkurve
Seit Merz Anfang 2022 die CDU übernahm, hat er eine Lernkurve hingelegt, die ihm viele in seiner Partei nicht zugetraut haben. Er galt als arrogant und kaltschnäuzig – und war es auch in vielen Situationen. „Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?“, brüllte er die Abgeordnete Serap Güler an, als diese in der Asylpolitik einmal einen anderen Standpunkt vertrat als er. Als NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kurz vor dem Parteitag 2023 einen Gastbeitrag über die Ausrichtung der CDU schrieb, den man als Widerspruch zu seinem Kurs lesen konnte, soll Merz ausgeflippt sein. Die kurze Zündschnur, seine Emotionalität, seine Sprache („kleine Paschas“) – das schienen lange Zeit Risiken zu sein, die ihn nicht fürs Kanzleramt empfahlen.
Merz war zwar nicht bereit, sich für den Erfolg zu verbiegen. Empfehlungen von Beratern, an einem gefälligeren Auftritt zu arbeiten, schlug er in den Wind. Trotzdem ist es ihm gelungen, sich die breite Akzeptanz der Unionsfraktion zu erarbeiten. Seit Langem hört man nichts mehr über Ausfälligkeiten, sondern viel Lob für seine Offenheit, sein ehrliches Interesse, seine Ansprechbarkeit. Das Bild von Merz ist auch in der Öffentlichkeit ein vielschichtigeres geworden. Merz zeigt Gefühl, nicht nur, wenn er sich ärgert.
Als er nach dem Hamas-Angriff auf Israel von seinen Erlebnissen beim Besuch einer jüdischen Schule in Deutschland erzählt, bricht ihm bei einem Auftritt vor der Jungen Union die Stimme. Auch seine erste Reaktion auf die Messerattacke auf ein zweijähriges Kind in Aschaffenburg ist zunächst die eines Vaters und Großvaters.
Danach aber macht er den Fehler, die Abstimmung mit der AfD über die Migrationspolitik herbeizuführen. Das Erstaunliche: Die Unionsfraktion folgt ihm bei dem riskanten Manöver fast gänzlich geschlossen. Er hat sich, so umstritten das Manöver war, das Vertrauen seiner Leute erarbeitet. „All in“ wären sie mit ihm vor zwei Jahren noch nicht gegangen. Viele hätten Merz wohl auch nicht zugetraut, CDU und CSU zu neuer Geschlossenheit zu bringen.
Wahlsieg von Friedrich Merz: Merkel hat nicht gratuliert
Merz kann seine Meinung ändern, das macht ihn selbst für die eigenen Leute unkalkulierbar. Aus der Fraktionsführung war zu hören, dass ein kleiner Kreis von „Scharfmachern“ ihn in dem Schritt bestärkte, die Abstimmung über die Migration noch vor der Bundestagswahl zu erzwingen. Erste Analysen der Wählerwanderung zeigen nun, dass der Versuch, der AfD in der Frage Wähler abzujagen, nicht funktioniert hat. Welche Schlüsse wird Merz jetzt daraus ziehen?
Seine ersten Auftritte lassen vermuten, dass er schon wieder an sich arbeitet und sich neu aufstellt. Am Wahlabend zeigt er sich versöhnlich. Bei der ersten Pressekonferenz am Montag geht es so weiter. Er sagt mit Blick auf das Wahlergebnis der SPD, dass er als Demokrat kein Interesse daran habe, dass die Partei zerstört wird. Er sagt, dass er die nächsten vier Jahre für entscheidend hält, um das Vertrauen der Wähler der AfD zurückzugewinnen, und hält das für eine Aufgabe für Union und SPD. Er verbreitet vorsichtige Zuversicht: „Ich glaube, dass wir das schaffen können.“
Angela Merkel, die einem bei solchen Sätzen natürlich gleich in Erinnerung kommt, hat ihm am Wahlabend übrigens nicht gratuliert, berichtet Merz auf Nachfrage. Er fügte aber hinzu: „Es kann sein, dass ich sie übersehen habe, weil ich ein paar hundert SMS im Verlauf der letzten Nacht bekommen habe.“