Die geplante EU-Reform zu Fluggastrechten könnte Entschädigungsansprüche für Verspätungen und Ausfälle erheblich reduzieren. Verbraucherschützerin Eva Wojtal kritisiert sie deutlich.
EU-Reform zu Flugausfällen„Gravierender Rückschritt für Fluggäste“

„Schätzungen zufolge würden über 80 Prozent der heutigen Entschädigungsansprüche wegfallen“, kritisiert Karolina Wojtal, Co-Leiterin des Europäischen Verbraucherzentrums Deutschland.
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Für viele Urlauber in Europa gehören Flugverspätungen und Ausfälle zum Reisealltag. 2023 war jeder dritte Fluggast von einer Störung betroffen – und konnte auf Entschädigung hoffen. Doch damit könnte bald Schluss sein: Die EU will die Fluggastrechte verändern. Über die möglichen Folgen für Reisende spricht EU-Verbraucherschützerin Eva Wojtal mit Hannah Petersohn.
Frau Wojtal, was plant die EU-Kommission konkret bei den Fluggastrechten zu ändern?
Die Kommission möchte vor allem die Entschädigungsregelungen deutlich einschränken. Bisher haben Passagiere auf Kurzstrecken ab drei Stunden Verspätung Anspruch auf 250 Euro. Künftig sollen sie erst ab fünf Stunden eine Entschädigung bekommen. Bei Langstreckenflügen könnten es sogar bis zu zwölf Stunden sein. Auch bei Flugausfällen soll es schwieriger werden, einen Ausgleich zu bekommen – etwa wenn eine Umbuchung innerhalb eines bestimmten Zeitfensters erfolgt.
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Also wäre das ein Rückschritt für Verbraucher?
Ganz klar: Es würde deutlich weniger Fälle geben, in denen Passagiere überhaupt noch Anspruch auf Entschädigung hätten. Dabei bleibt der Ärger über Verspätungen oder Annullierungen natürlich bestehen. Es ist daher ein gravierender Rückschritt für Fluggäste.
Was würden Fluggesellschaften auf die Änderungen reagieren?
Das bisherige System sorgt dafür, dass Airlines wirtschaftlich unter Druck stehen, Flüge pünktlich durchzuführen. Wenn der Anreiz entfällt, könnten sich Verspätungen häufen. Zudem zeigt die Auswertung von Flugdaten, dass die meisten Verspätungen zwischen zwei und vier Stunden liegen – genau in dem Zeitfenster, in dem künftig keine Entschädigung mehr gezahlt werden müsste. Die geplante Reform würde damit den Schutz aushebeln, den der Europäische Gerichtshof über Jahre aufgebaut hat.
Haben Sie Zahlen, wie viele Fluggäste von den Änderungen betroffen wären?
Genaue Zahlen schwanken je nach Jahr, aber Schätzungen zufolge würden über 80 Prozent der heutigen Entschädigungsansprüche wegfallen – vor allem auf Kurzstrecken, die besonders häufig gebucht werden. Auch bei Umbuchungen und Anschlussflügen würden viele Ansprüche verloren gehen.
Wie reagieren die Airlines bisher auf die Vorschläge?
Viele Fluggesellschaften begrüßen sie – aus naheliegenden Gründen: weniger Kosten, weniger Haftung. Fraglich ist allerdings, ob diese Einsparungen an die Kunden weitergegeben werden. Wahrscheinlicher ist, dass es zu mehr Verspätungen und schlechterer Kommunikation kommt, weil der ökonomische Druck fehlt.
Warum wird die Reform überhaupt angestrebt?
Die Kommission argumentiert, dass das bisherige System teuer, unklar und schwer durchsetzbar sei. Die Pandemie habe zudem Schwächen offengelegt – etwa bei Rückerstattungen. Es geht also um mehr Klarheit und einheitliche Regeln. Doch hinter den Kulissen steht auch der Druck der Luftfahrtlobby. Airlines fordern seit Jahren, die Regeln zu lockern, weil sie hohe Entschädigungskosten fürchten.
Gibt es denn auch sinnvolle Aspekte an dem Reformvorschlag?
Ja, sinnvoll ist zum Beispiel die ausdrückliche Regelung der Rechte der Passagiere, wenn sie auf der Startbahn warten müssen und im Flieger „gefangen“ sind. Auch dass der Entwurf das Thema Anschlussflüge aufgreift und entsprechende Regelungen vorsieht, ist positiv.
Aber ...?
Es gibt viele Probleme, die im Vorschlag nicht behandelt werden, wie zum Beispiel die adäquate Absicherung der Fluggäste gegen Airline-Insolvenzen, das Recht zur kostenfreien Stornierung bei Vorliegen von „außergewöhnlichen Umständen“ oder verbindliche Regeln für das Handgepäck. Leider bleiben viele Punkte vage oder unkonkret – während zentrale Verbraucherrechte deutlich geschwächt würden.
Was müsste aus Ihrer Sicht passieren?
Die Verordnung muss an den tatsächlichen Bedürfnissen der Passagiere orientiert bleiben. Das heißt: kein Rückbau bestehender Rechte, sondern ein gezielter Ausbau – etwa bei Insolvenzschutz, bei mehr Transparenz oder bei der rechtssicheren Durchsetzung von Ansprüchen. Alles andere wäre ein falsches Signal – gerade in Zeiten, in denen viele Menschen ohnehin Vertrauen in Politik und Wirtschaft verloren haben.