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Beispiel „Badewannenmord“Wie es einem rechtskräftig Verurteilten gelingt, einen Prozess neu aufzunehmen

Lesezeit 3 Minuten
Der Gerichtssaal im Amtsgericht Siegburg. Auf einem Tisch liegen Akten und Gesetzbücher.

Die Wiederaufnahme eines Prozesses wie im Beispiel des Badewannenmords ist selten.

Dass es einem rechtskräftig Verurteilten gelingt, ein Verfahren neu aufzurollen, ist selten – aus guten Gründen, erklärt eine Kölner Rechtsanwältin.

In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel. Dafür befassen sich eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und Rechtsanwältin in ihrer Kolumne regelmäßig mit einem konkreten Fall. Die Rechtsanwältin Pia Lorenz erklärt diesmal, warum es einem rechtskräftig Verurteilten gelingt, ein Verfahren neu aufzurollen.

In München läuft ein Prozess, in dem einem Mann der Beweis zu gelingen scheint, dass er nicht der Mörder im „Badewannenmord“ war. Weshalb könnte ausgerechnet dieses Urteil aufgehoben werden, während so viele andere Fehlurteile nicht mehr anfechtbar sind?

Der sogenannte Badewannenmord ist einer der ganz wenigen Fälle, in denen es zu einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens kommt. Manfred G. war 2012 nach einem Indizienprozess rechtskräftig, auch vom Bundesgerichtshof überprüft, wegen Mordes verurteilt worden. Er hat aber stets bestritten, etwas mit dem Tod einer alten Frau zu tun zu haben, die 2008 in ihrer Badewanne aufgefunden worden war.

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Justiz-Irrtum? Neuer Prozess nach zehn Jahren um „Badewannenmord“

Zehn Jahre später hat das Landgericht München I beschlossen, das Verfahren neu aufzurollen. Neue Beweismittel, die 2008 noch nicht zur Verfügung standen, ließen nach Ansicht des Münchner Gerichts eine Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten zu.

Nach den ersten Prozesstagen spricht viel dafür, dass die Seniorin damals ohne Fremdeinwirkung gestürzt ist, als G. gar nicht in ihrer Wohnung war. So hat ein neues Gutachten ergeben, dass der Todeszeitpunkt der Seniorin vermutlich ein ganz anderer war als der, von dem die Ermittler 2008 ausgingen.

Die Anzahl vergleichbarer Fälle ist – wie gesagt – verschwindend gering. Es gilt der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat zweimal bestraft werden darf. Unter Urteile, die in einem Rechtsstaat von mehreren Gerichten überprüft werden können, soll irgendwann ein Schlussstrich gezogen werden.

Bis zur Rechtskraft geht es für die Gerichte vor allem darum, ein gerechtes Urteil zu fällen. Danach geht es um Rechtssicherheit.
Pia Lorenz

Bis zur „Rechtskraft“ geht es für die Gerichte vor allem darum, ein gerechtes Urteil zu fällen. Danach geht es um Rechtssicherheit: Ab jetzt gilt, was im Urteil steht. Das soll Rechtsfrieden schaffen, damit in einer Gesellschaft auch nach Straftaten irgendwann das Leben weitergehen kann. Wer verurteilt wurde, muss seine Strafe absitzen. Wer freigesprochen wurde, soll die Sicherheit haben, einerseits nicht noch einmal wegen derselben Tat angeklagt und andererseits wieder Teil der sozialen Ordnung werden zu können.

Ausnahmen von diesem Grundsatz gab es bis vor kurzem fast nur, wenn vieles dafür spricht, dass der Staat einen Unschuldigen verurteilt hat. Verurteilte können ein neues Verfahren beantragen, wenn sich später herausstellt, dass Zeugen nachweislich falsch gegen sie ausgesagt haben, wenn belastende Urkunden gefälscht waren oder wenn Beweise auftauchen, die es zum Zeitpunkt der Verurteilung noch nicht gab.

Erneuter Prozess: nur sehr wenige Verurteilte erreichen tatsächlich eine Wiederaufnahme

Doch müssen die Verurteilten einen Kampf gegen die Rechtskraft führen. Die Vorgänge liegen oft lange zurück, das Geld vieler Verurteilter ist knapp, und nur wenige Anwältinnen und Anwälte beschäftigen sich mit den rechtlich komplexen Wiederaufnahmeverfahren. Es gibt kaum belastbare Zahlen, doch nur sehr wenige Verurteilte erreichen tatsächlich eine Wiederaufnahme.

Noch seltener – praktisch nie – wurden Strafverfahren in umgekehrter Konstellation wiederaufgenommen: War jemand womöglich zu Unrecht, oft aus Mangel an Beweisen, rechtskräftig freigesprochen worden, hatte der Staat gesetzlich keine Handhabe für eine neue Anklage, selbst wenn neue Beweismittel auftauchten oder verwertbar wurden.

Doch Ende 2021 wurde das Gesetz geändert: Nach Verbrechen, die nie verjähren, also Mord und Völkermord, kann bei neuen Beweismitteln nun auch der Staat das Verfahren zulasten des Freigesprochenen neu aufrollen. Das Bundesverfassungsgericht prüft aktuell, ob das mit der Verfassung vereinbar ist. Auch dann dürften aber weiterhin nur ganz wenige mögliche Fehlurteile wieder aufgerollt werden. Schließlich verjährt nur Mord nie.


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