- Fast alle Maßnahmen gegen die Pandemie sind gefallen, Sonne und Wärme laden zu Geselligkeit ein, doch die Inzidenzen steigen wieder.
- Tobias Schmidt sprach mit Susanne Johna, Chefin des Ärzteverbandes Marburger Bundes, und fragte sie: Ist der sorgenfreie Sommer in Gefahr?
Die Corona-Inzidenzen steigen stark. Macht uns die Sommerwelle, von der Gesundheitsminister Karl Lauterbach spricht, den Sommer kaputt?
Nein, das sehe ich nicht. Es stimmt, die Zahlen werden vermutlich weiter steigen, die ansteckendere Omikron-Variante BA.5 wird – wie schon in Portugal – auch bei uns dominant werden. Da wir bis auf Masken in Bussen und Bahnen keine verpflichtenden einschränkenden Maßnahmen mehr haben, werden sich sehr viele Menschen anstecken. Aber für die Geimpften ist das in den allermeisten Fällen nicht schlimm. Insbesondere die Nichtgeimpften, vor allem Menschen mit geschwächtem Immunsystem, haben das Risiko, schwer zu erkranken.
Ab Oktober wieder generelle Maskenpflicht?
Die Bundesregierung erwägt laut „Welt am Sonntag“ eine neue, generelle Maskenpflicht ab Oktober – zum Schutz vor einer erneuten Ausbreitung der Corona-Pandemie im Herbst. Im Gespräch sei eine sogenannte „O-O-Regel“, hieß es unter Berufung auf Regierungskreise. Diese „Oktober-bis-Ostern-Regel“ ist bislang vor allem als Empfehlung für das Fahren mit Winterreifen bekannt.
Die neue Maskenpflicht könnte demnach weiterhin in öffentlichen Verkehrsmitteln, medizinischen Einrichtungen und Seniorenheimen gelten, zusätzlich aber auch wieder im Einzelhandel und der Gastronomie. Eine Ausweitung auch auf Schulen sei noch offen, hieß es.
Aus dem Kanzleramt hieß es dazu, eine Ausweitung der Maskenpflicht werde als eine von mehreren möglichen Regelungen für die anstehende Novellierung des Infektionsschutzgesetzes in Erwägung gezogen. Zunächst solle aber der Ende Juni erwartete Expertenbericht zur Wirksamkeit bisheriger Schutzmaßnahmen abgewartet werden. (afp)
Viele Menschen machen sich wieder Sorgen, der Sommerurlaub am Mittelmeer könnte ins Wasser fallen…
Auch da bin ich optimistisch, dass das nicht passiert. Es gibt ein höheres Infektionsgeschehen in mehreren Ländern, das geht aber auf die vergleichsweise harmlosere Omikron-Mutante zurück. Eine gefährlichere Variante beobachten wir nicht. Für Ein- oder Ausreisebeschränkungen gibt es derzeit keine Notwendigkeit. Allerdings ist die Gefahr, im Urlaub einige Tage krank zu werden, schon höher als in der Vor-Corona-Zeit, das muss jedem klar sein.
US-Zulassung
Die Corona-Impfstoffe der Hersteller Biontech/ Pfizer und Moderna sind in den USA nun auch für Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren zugelassen. Die US-Arzneimittelbehörde FDA habe ihnen Notfallzulassungen für diese Altersgruppe erteilt, erklärten die Hersteller. Damit könnten die Impfungen gegen das Coronavirus in dieser Altersgruppe in den USA demnächst starten. In der EU ist derzeit noch kein Corona-Impfstoff für sehr junge Kinder verfügbar. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft zur Zeit, ob der Impfstoff des Herstellers Moderna (Spikevax) auch für Kinder unter sechs Jahren zugelassen werden kann. (dpa)
Dann braucht es auch keine neuen Eindämmungsmaßnahmen?
Ich halte absehbar keine neuen verpflichtenden Maßnahmen für notwendig. Es bleibt aber natürlich enorm wichtig, die vulnerablen Gruppen zu schützen. Mein Appell an alle, die vorerkrankt oder hochbetagt sind: Schützen Sie sich mit Masken, wenn Sie auf Großveranstaltungen gehen oder in Innenräumen andere Menschen treffen! Wichtig bleibt zudem, dass wir Pflegebedürftige und Patientinnen und Patienten schützen, auch durch intensives Testen des Personals und der Angehörigen.
Zahl
427,8 betrug am Freitag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz. Das war zwar ein leichter Rückgang, der aber wohl am Feiertag in NRW und anderen großen Bundesländern lag.
Aber die kostenlosen Bürgertests fallen bald weg.
Das Ende der kostenlosen Bürgertests ist nachvollziehbar und konsequent, denn es wurde ja auch die Isolation nach einem Positivtest in die Verantwortung der Bürger gelegt. Was notwendig bleibt, sind Tests in Krankenhäusern und Heimen, und zwar vor Ort, und auch kostenlos für Besucher. Das müssen die Einrichtungen erstattet bekommen. Aber auf kostenlose Testangebote für die Allgemeinheit können wir vorerst verzichten.
Im September läuft auch das Infektionsschutzgesetz aus, und damit die Möglichkeit der Corona-Eindämmung. Ist das nicht hoch riskant?
Doch, es ist riskant, dass die Regierung erst die auf Ende Juni verschobene Evaluation der bisherigen Maßnahmen abwarten will, bevor sie ihre Überlegungen für ein neues Infektionsschutzgesetz konkretisiert. Ich kann das Abwarten nicht nachvollziehen. Die Evaluation ist wichtig, nicht alles war sinnvoll. An der Wirkung von Schutzmasken oder Kontaktbeschränkungen gibt es indes keine begründeten Zweifel. Ich plädiere dringend dafür, vor der Sommerpause die Weichen zu stellen, sonst setzt sich die Politik unter erheblichen Druck. Es wäre verantwortungslos, wenn wir Ende September in eine Regelungslücke schlitterten. In der Zeit bis dahin können nicht nur die Corona-Fälle wieder stark ansteigen, sondern auch die Fallzahlen bei anderen Ansteckungskrankheiten, die über Aerosole weitergegeben werden.
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Sie meinen die Influenza?
Ich halte die Gefahr gleichzeitiger Wellen von Corona und Influenza am Herbstanfang für real, ja. Darauf müssen wir vorbereitet sein und dürfen das Personal im Gesundheitswesen nicht überlasten. Wir Ärztinnen und Ärzte wollen nicht zum dritten Mal in zwei Jahren unseren Patienten sagen, dass wir geplante Eingriffe verschieben oder dass wir schwerst kranke Menschen verlegen müssen. Auch wenn es nur regional zu kritischen Überlastungen gekommen ist: Das will niemand noch einmal erleben!
Was muss dann rein in den Instrumentenkasten für den Herbst?
Wir halten nichts von Schul- und Kitaschließungen, diese wären ohnehin nur in einer großen Notsituation angemessen und politisch zu beschließen. Alle anderen Maßnahmen, bis hin zu Kontaktbeschränkungen und einer etwaigen Schließung von Bars und Clubs, sind Instrumente, die in den Kasten gehören.