Berlin/Offenburg – Angesichts von mehr als hunderttausend Kriegsgeflüchteten aus der Ukraine ist die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung groß. Nur: In welcher Form kommt die Hilfe am besten an? Und wie ist das soziale Engagement mit dem Job vereinbar? Experten geben Antworten.
Lukas Kunert von der Initiative „Unterkunft Ukraine” vermittelt über eine Plattform privat Unterkünfte für Geflüchtete. Er hat einen klaren Rat: Schauen, wie die Lage im eigenen Wohnort ist. In großen Städten wie Berlin etwa gebe es eine sehr gute und professionelle Infrastruktur und erfahrene Nichtregierungsorganisationen (NGO). In kleineren Orten ohne dieses Netz könnten Menschen aber auch gut privat helfen.
Trotz hoher Hilfsbereitschaft ist es für Lukas Kunert wichtig, vorher zu reflektieren, wie lange man seine Bleibe anbieten möchte. Drei Fragen können helfen. Traue ich mir das zu? Was kann ich leisten? Wie lange möchte ich eine Unterkunft bieten?
Die Gefahr: Das Zusammenleben könnte nach der ersten Euphorie zur Belastung für beide Seiten werden. Mareike Geiling von der Hilfsorganisation „Zusammenleben Willkommen” rät deshalb von Kurzzeitangeboten unter drei Monaten grundsätzlich ab. Sie vermittelt Wohnungsangebote nur, wenn sie mindestens ein Jahr zur Verfügung stehen. Damit soll Geflüchteten eine zeitliche Perspektive geboten werden.
Mareike Geiling weiß aus Erfahrungen mit früheren Fluchtbewegungen: Die Hilfsbereitschaft der Menschen kann auch schnell wieder abebben. Sie sagt: „Man soll sich vorab fragen, warum man helfen will? Und warum jetzt? Ist es eine Coping-Strategie? Habe ich Erwartungen und Bedingungen an meine Unterstützung geknüpft?”
Um Enttäuschung im Zusammenleben zu vermeiden, sollte das Hilfsangebot ihrer Erfahrung nach nicht an Bedingungen geknüpft sein.
Wer Menschen bei sich aufnimmt, die vor Krieg geflohen sind, ist mit einer anderen Lebensrealität konfrontiert. Um trotzdem gut zurechtzukommen, hilft laut Lukas Kunert ein verständnisvoller Umgang, der dem Gegenüber ausreichend Raum gibt. „Helfer sollten mitfühlen, aber auch Grenzen respektieren”, sagt er. Das bedeute, die Antwort zu akzeptieren, dass jemand Ruhe möchte und keinen Kontakt sucht.
Aus diesem Grund dürften Helfern nicht erwarten, dass Geflüchtete das zurückgeben können, was man gegeben hat, sagt Psychologin Eva Asselmann. Schließlich befänden sie sich in einer Ausnahmesituation. Dazu gehört auch das erlebte Leid der Geflüchteten.
Leid, das man ihnen nicht nehmen könne, sagt Asselmann: „Man muss es aushalten, nur indirekt helfen zu können.” Vielmehr spielten für Geflüchtete ihrer Erfahrung nach Stabilität und Sicherheit eine wichtige Rolle. Sie sollten spüren: Hier kann ihnen nichts passieren.
Die Experten raten, ihren Wohnraum nur anzubieten, wenn für beide Seiten genug Privatsphäre bleibt. Langfristig sei eine eigene Wohnung dafür die beste Lösung. Aber auch die eigene psychische Stabilität sollten Helfer hinterfragen, sagt Psychologin Eva Asselmann. Denn nur wer stabil genug sei, könnte die Kriegserfahrungen der Menschen aushalten.
„Der direkte Kontakt mit Geflüchteten bringt den Krieg sehr nah an einen ran”, verdeutlicht sie. Wer schon angesichts der Bilder in den Medien nicht mehr schlafen könne, sollte besser eine andere Form der Unterstützung wählen.
„Es gibt dafür keine gesetzlichen Freistellungen”, sagt Jürgen Markowski. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und rät angesichts der brisanten Lebensumstände geflüchteter Ukrainer und Ukrainerinnen, das soziale Engagement mit dem Arbeitgeber abzusprechen. Seiner Erfahrung nach sind die da meist entgegenkommend.
Hierzu gebe es mehrere Möglichkeiten, um Mitarbeiter von der Arbeit zu befreien. „Arbeitgeber können bis zu einen Monat unbezahlten Urlaub gewähren, in der Regel ist eine Woche kein Problem”, sagt Markowski. Längere Zeiträume seien hingegen aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen schwierig. In diesen Fällen haben Mitarbeiter die Möglichkeit, entweder zusätzlich noch bezahlten Urlaub zu nehmen oder Überstunden auszugleichen.
„Wenn es besondere spezialgesetzliche Regelungen gibt, kann ich die ehrenamtliche Tätigkeit auch während meiner Arbeitszeit erbringen”, sagt Jürgen Markowski. Das gilt zum Beispiel für eine Betriebsratsmitarbeit, das Technische Hilfswerk oder die Freiwillige Feuerwehr. Das THW wird aber laut Markowski erst einberufen, wenn in Deutschland der Katastrophenfall ausgesprochen wurde. Und das ist derzeit nicht der Fall.
Eine weitere Ausnahme gibt es bei Mitarbeitern, deren Familienangehörige direkt betroffen sind. „Tritt ein Notfall aus persönlichen Gründen ein, kann der Arbeitgeber auch eine bezahlte Freistellung gewähren”, zeigt der Jurist den rechtlichen Rahmen auf. Einfach so von der Arbeit fernzubleiben, sei allerdings auch mit den besten Vorsätzen nicht zu rechtfertigen. Es gelte weiterhin der Arbeitsvertrag. Im schlimmsten Fall drohen Mitarbeitern eine Abmahnung oder die Kündigung.
© dpa-infocom, dpa:220314-99-518731/3 (dpa/tmn)