Plötzlich Witwe„Am schlimmsten waren die Ermunterungen, doch positiv zu bleiben“
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Am 23. Juni erinnern die Vereinten Nationen mit dem „Internationalen Tag der Witwen“ an das Schicksal von Frauen, die ihren Mann verloren haben.
Die Niederländerin Maya Stomp weiß, wie sich Witwen fühlen: Vor zehn Jahren verstarb ihr Mann ganz plötzlich.
Ihre Erfahrungen hat sie in einem Buch verarbeitet und hilft jetzt anderen Frauen bei der Trauerarbeit.
Köln – Am 23. Juni ist der Internationale Tag der Witwen. Seit 2011 machen die Vereinten Nationen an diesem Tag auf die Probleme hinterbliebener Ehefrauen aufmerksam. In Deutschland sind die Frauen durch Witwen- und Hinterbliebenenrente abgesichert. In anderen Ländern dagegen steht für eine Frau manchmal die ganze Existenz auf dem Spiel, wenn der Ehemann stirbt. Besonders in Indien droht Witwen der komplette Ausschluss aus der Gesellschaft. Einige Frauen müssen auf der Straße leben, werden diskriminiert oder sogar missbraucht.
Von einem auf den anderen Tag allein
Wie es Frauen geht, wenn sie ihren Mann verlieren, weiß die Niederländerin Maya Stomp ganz genau. Im September 2010 verstarb ihr Mann ganz plötzlich an einer Hirnblutung, die damals 41-Jährige war von einem auf den anderen Tag allein und musste ihr Leben neu aufbauen. Ihre Erfahrungen sowie Tipps für andere Frauen in dieser Lage hat sie in ihrem Buch „Wir Witwen sind ein zähes Volk“ aufgeschrieben.
Darin erzählt sie ihre eigene Geschichte, stellt Erfahrungen anderer Witwen vor und gibt Tipps. Ihr wichtigster Rat an andere betroffene Frauen lautet: „Entwickelt Mitgefühl mit euch selbst und lasst Raum für die harte Arbeit, die trauern ist.“
Vor einem Jahrhundert war die Begegnung mit dem Sterben noch ziemlich normal. Die Menschen starben früher, es gab mehr Kindersterblichkeit, alte Menschen wurden nicht in Pflegeheimen „versteckt“. Man wurde öfter mit dem Tod konfrontiert und es gab mehr (kirchliche) Rituale, um besser damit umgehen zu können. Maya Stomp hat die Erfahrung gemacht, dass von Witwen erwartet wird, dass sie nicht in Tränen ausbrechen, ihren Zorn zurückhalten und so bald wie möglich nicht mehr über ihren Verlust sprechen.
Nach dem Tod ihres Mannes habe sie erst nach einer ganzen Weile begriffen, was sie alles verloren hatte und wie viele Facetten ihr Zusammenleben gehabt hatte. Plötzlich wurde ihr ein Etikett übergestülpt: „Mit dem Verlust meines Mannes war unsere einzigartige Beziehung vorbei, unsere Scherze, unsere Gewohnheiten, unsere gemeinsame Sprache. Noch persönlicher konnte es nicht sein. Und, obwohl dies alles so persönlich war, hatte die Gesellschaft einen Namen für mich: Witwe. Ein gesellschaftlich anerkannter Status, ein Etikett, das ich auf meine Erfahrungen kleben konnte.“ Doch für Trauer gebe es kein Patentrezept. Jeder gehe mit einem Verlust unterschiedlich um.
Maya Stomp war nicht darauf vorbereitet, was die Trauer mit ihr machte. Sie wurde überrannt von ihren Gefühlen und schaffte es lange Zeit nicht, wieder in ihr altes Leben zurück zu kehren. Auch ihre alten Freunde wurden ihr fremd. Weil sie das nicht akzeptieren wollte, wurde es immer schlimmer. Sie sagt: „Ein Verlust ist nicht ein Problem, das sich lösen lässt. Man kann nur trauern, wenn man vorher geliebt hat. Je größer die Liebe, desto tiefer die Trauer. Gegen die Trauer anzukämpfen ist genauso aussichtslos wie gegen die Liebe anzukämpfen. Liebe ist da und genauso ist die Trauer da.“
Meinen Schmerz spüren
Da Mays Stomps Mann unerwartet und plötzlich an einer Hirnblutung gestorben ist, kam schon bald die Frage nach dem ‚Warum‘ auf. Doch Mays Stomp fand keine Antwort. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als den Tod ihres Mannes zu akzeptieren. Monatelang konnte sie sich nicht konzentrieren, versagte bei den kleinsten Alltagsaufgaben und ihr fielen die Haare aus. Stress. Sie sagte sich: „Du kannst nicht drum herum. Du musst durch. Mitten durch alle Emotionen, die da sind. Es gibt keine richtigen oder falschen Emotionen. Wut, Traurigkeit, Schuldgefühl, Angst. Es hilft schon, wenn man nicht gegen die Emotionen ankämpft.“
Und, ganz wichtig: „Das letzte, was ich gebrauchen konnte, waren gut gemeinte Ratschläge. Am schlimmsten waren die Ermunterungen, doch vor allem positiv zu bleiben. Oder die Menschen, die mir erklärten, dass ich doch weiterleben müsse. Auch wenn ich von Natur aus gutmütig bin: Ich wollte zuschlagen.“ Durch Sprüche wie „Das Leben geht weiter“, „Es wird Zeit brauchen“, „Wenigstens hat er nicht leiden müssen“ fühlte sie sich in ihrer großen Trauer nicht gesehen. Ihre Gefühle seien übergangen worden. Sie erkennt: „Die Leute wissen einfach nicht, was sie sagen sollen. Und das wiederum trauen sie sich nicht, auszusprechen. Stattdessen kramen sie diesen Unsinn aus. Gut gemeinten Unsinn.“ Was man zu trauernden Frauen lieber sagen sollte: Was ist denn passiert? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie geht es dir heute? Wie geht es dir mit dem Schlafen? Es muss sich seltsam anfühlen, dass das Leben um dich herum einfach weitergeht.
Mein Herz heilen
„Der kürzeste und beschwerlichste Weg, den ich zur Heilung meines Herzens zu gehen hatte, sollte direkt durch den Schmerz hindurch führen. Restlose Verzweiflung und Erschütterung zulassen, tausende Tränen weinen und unzählige schlaflose Nächte überstehen. (…) Das wichtigste ist, durchzuhalten, immer wieder aufzustehen, wie schwierig es auch sein mag. Noch heute, Jahre später, stürze ich gelegentlich ab. Ich kämpfe aber nicht mehr dagegen an. Ich weiß, dass ich danach wieder aufstehen werde. Damit verliert das Durchleben meines Schmerzes ein wenig den Schrecken. Ich kann das Abstürzen zulassen, ganz ohne Panik. (…) Den Verlust zuzulassen, ist der erste Schritt zum Heilwerden.“ So blickt Maya Stomp auf die Zeit der intensiven Trauer zurück.
In einer Phase mit intensivem Stress wie bei Trauer ist es wichtig, gut für sich selbst zu sorgen – obwohl die Trauernden meist überhaupt nicht an sich denken. Maya Stomp hat von Schokolade über Netflix bis Chardonnay alles ausprobiert, aber nirgends dauerhaft Halt gefunden. Weil sie anderen Witwen keine Ratschläge geben möchte, zählt sie nur auf, was ihr ein wenig geholfen hat: entspannendes Yoga, halbwegs gesunde Ernährung, etwas tun, wobei man zumindest ein bisschen Freude empfindet und vor allem: sich von den Anforderungen befreien, die das alte Ich an einen gestellt hat. „Lassen Sie sich viel Zeit für sich selbst, geben Sie Ihrem Kummer einen Raum, gehen Sie nicht zu Verabredungen, wenn Ihnen nur zum Heulen ist und stellen Sie Ihr Telefon auf lautlos.“ Irgendwann habe sie gelernt, sich ein neues Leben um das Loch in ihrem Herzen herum aufzubauen.
Mein Leben neu gestalten
„Ich nahm das Leben von Tag zu Tag. Mehr war nicht drin. Ich wusste auch nie, was mich an einem neuen Tag erwartete. Jeder Tag war ein mögliches Minenfeld voller Trigger, die mich aus dem Gleichgewicht schubsen konnten“, erinnert sich Maya Stomp. Ganz langsam versuchte sie, wieder Struktur in ihren Alltag zu bringen und sich wieder mit anderen zu verbinden. Sie machte Termine aus und arbeitete ehrenamtlich in einem Altenheim.
Und irgendwann kam der Wunsch nach einem neuen Lebenspartner. Sie machte einige schlechte Erfahrungen mit Männern, die sie als Witwe ausnutzen wollten. Mit dem Scheitern der Beziehungen wurde das Ausmaß des Verlustes nur noch eindringlicher. „Meine Rettung war, dass ich im Grunde genommen sehr gut mit mir allein zurechtkomme. Nach den vielen Jahren der Traurigkeit und den Tausenden Tränen habe ich mein Leben von minus zehn an wieder neu aufgebaut. (…) Erst als ich mir das richtig bewusst machte, konnte ich mich auf eine Beziehung auf Augenhöhe einlassen“, blickt Maya Stomp zurück.
Sie kritisiert die Menschen, die zu Witwen sagen, es sei zu früh, um sich mit anderen Männern zu beschäftigen: „Jedes Quäntchen Trost, Halt und Liebe, das man finden kann, ist es wert, umarmt zu werden. Ein großer Verlust macht schmerzhaft deutlich, dass wir nur das Jetzt haben. Wir sollten etwas Schönes aus ihm machen.“