Wie stark beeinflusst die Trennung der Eltern in der Kindheit das spätere Leben? Es kommt ganz darauf an, sagt die Familienberaterin.
Familienberaterin„Viele ehemalige Trennungskinder haben Selbstwertprobleme“
Die Trennung der Eltern ist für Kinder ein Einschnitt. Manche leiden auch als Erwachsene noch unter den Folgen – häufig, ohne dass ihnen der Zusammenhang bewusst ist. Womit haben erwachsene Trennungskinder besonders zu kämpfen – und wie finden sie einen guten Umgang damit? Elternexpertin Inke Hummel ist selbst Trennungskind und hilft im Rahmen ihrer Familienberatungen anderen Betroffenen. Ein Gespräch.
Was fühlt ein Kind, wenn die beiden Menschen, die es am meisten liebt, sich nicht mehr lieben?
Inke Hummel: Für Kinder entstehen bei einer Trennung vor allem Ängste. Sie fragen sich: Was heißt das für mich? Was verändert sich? Werde ich verlassen? Auf jüngere Kinder wirkt die Trennungssituation besonders bedrohlich, weil sie das, was geschieht, noch nicht von sich selbst trennen können. Sie denken etwa, sie hätten die Trennung verursacht, weil sie so anstrengend waren und haben häufig Schuldgefühle. Viele Kinder sind vor allem überfordert, weil ihr Zuhause auseinanderfällt und ihr Alltag sich ändert. Oft gibt es Gefühle der Trauer und Wut gegenüber den Eltern. Es ist aber auch abhängig vom Charakter: Manche Kinder sprechen darüber, zeigen intensiv ihre Emotionen und Aggressionen, andere werden still und ziehen sich zurück.
Wirken Trennungserfahrungen immer bis ins Erwachsenenleben nach?
Nicht in jedem Fall. Die Trennung der Eltern bedeutet nicht automatisch, dass man damit als Erwachsene noch zu kämpfen hat. Es hängt davon ab, wie die Eltern in der Zeit der Trennung und danach miteinander und mit den Kindern umgehen.
Wann wird es problematisch?
Schwierig wird es, wenn es für die Kinder nach der Trennung keinen Raum gibt, sich normal zu entwickeln und alterstypische Erfahrungen zu machen. Das kann passieren, wenn die Eltern nicht mehr greifbar sind, für das Kind und zu viel mit sich selbst und ihren eigenen Emotionen zu tun haben, weil sie beispielsweise das Ende ihrer Liebe verarbeiten oder finanzielle Sorgen haben. Dann bekommt das Kind zu wenig Zuwendung, wird alleine gelassen oder überfordert. Manchmal verschwindet ein Elternteil auch tatsächlich aus seinem Leben. Aber auch der konfliktreiche Umgang zwischen den Eltern kann negativ prägen – Kinder erleben dann, dass Streit immer darin resultiert, dass jemand weggeht und nicht, dass er auch zu Lösungen führen kann.
Wie zeigt sich das später, worunter leiden die Kinder als Erwachsene?
Ein Mann aus unserem Buch erzählte, er war nach der Trennung seiner Eltern viel alleine und hat ganz viel gegessen, um diese Einsamkeit zu kompensieren. Als Erwachsener ist er dann in eine Art Leistungs- oder Arbeitssucht gefallen. Er merkte, dass er für gute Ergebnisse Aufmerksamkeit von seinem Umfeld bekommt – dass Leistung also Beziehung, Lob und Anerkennung bedeutet. Er steckte alles in seine Arbeit, weil er endlich wusste: Mich nimmt jemand wahr.
Womit haben Trennungskinder noch zu kämpfen?
Viele ehemalige Trennungskinder haben Selbstwertprobleme. Sind die Eltern keine Ressource für ihre Kinder, macht das viel mit der Selbstachtung. Die Kinder stellen sich zurück und nehmen Rücksicht auf die Eltern – und haben dann auch als Erwachsene oft das Gefühl, keinen Raum für sich einnehmen, sich niemandem zumuten zu wollen. Werden Scheidungskinder Opfer von Mobbing, bekommen sie häufig weniger Unterstützung von den Eltern und auch das wirkt sich negativ auf den Selbstwert aus, sie kämpfen noch als Erwachsene mit dem Gefühl, andere würden sie ablehnen.
Wann zeigen sich denn die Folgen früherer Trennungserfahrungen?
Vielen ist gar nicht klar, dass bestimmte Gefühle im Jetzt mit den Erlebnissen der Vergangenheit zu tun haben. Das zeigt sich oft erst in der eigenen Partnerschaft oder der Beziehung zu den Kindern. Dann reagiert man zum Beispiel mit großer Wut darauf, wenn ein Partner sich zurückzieht, weil die Angst kommt, wieder verlassen zu werden. Oder es besteht eine starke Harmoniebedürftigkeit und man möchte ein stets konfliktloses Familienleben, weil man die Erfahrung gemacht hat, dass Streit fatal enden kann. Als Eltern sind diese Erwachsenen oft überfürsorglich und wollen um jeden Preis, dass es ihren Kindern gut geht. Sie halten dann vielleicht eher an Beziehungen fest, die nicht mehr funktionieren, um den Kindern keine Trennung zumuten zu müssen.
Von wegen scheiternde Beziehung – gibt es bei Trennungskindern eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich später doch mal zu trennen?
Es kommt zum Beispiel darauf an, welche Bindungssicherheit oder auch welche Konfliktführung man zu Hause vermittelt bekommen hat. Wenn die erlebte Trennung der Eltern konfliktreich war und darüber nicht gut kommuniziert wurde, dann konnten Kinder diese zentralen Fähigkeiten auch nicht richtig lernen – und es ist wahrscheinlich, dass ihnen eine Paarbeziehung auch nicht gelingt. Es hängt natürlich auch vom späteren Partner ab, welche Fähigkeiten er oder sie mitbringt.
Kann aus einer Trennungserfahrung auch eine psychische Erkrankung entstehen?
Ja, waren die Belastungen rund um die Trennung groß, können sich im Erwachsenenalter psychische Erkrankungen entwickeln, die therapiert werden müssen. Es spielt eine große Rolle, ob man als Kind Raum hatte, das Erlebte zu verarbeiten und mit jemanden, etwa einer Oma oder einer Lehrkraft, über die Trennung zu sprechen und alle Gefühle der Wut und Trauer und Hilflosigkeit zeigen konnte. Gab es niemanden und hat man all diese Emotionen stattdessen in sich hineingefressen und verdrängt, können sie wieder an die Oberfläche kommen und krank machen.
Gibt es auch Erwachsene, die positiv auf die Trennung ihrer Eltern zurückblicken?
Ja, ganz viele. Sie haben die Trennung als Erleichterung erlebt, weil danach alle besser miteinander klargekommen sind. Denn ist der Umgang zwischen den Eltern dauerhaft schwierig, beeinflusst das auch die Art, wie sie mit den Kindern umgehen. Die wiederum spüren die Spannungen meistens deutlich und versuchen, das auszubalancieren.
Haben Kinder ihr Leben lang den Wunsch, die Beziehung ihrer Eltern zu reparieren?
Das ist bei einigen so – je nachdem, wie stabil sie selbst sind. Wenn es einem selbst gut geht, kommt man auch damit klar, wenn sich die Eltern nicht vertragen. Es gibt aber auch Situationen, in denen der Wunsch größer ist, zum Beispiel bei der Hochzeit oder der Einschulung. Da wünscht man sich eher, dass einfach alles „normal“ ist und alle zu diesen Festen kommen und sich verstehen. Gerade bei solchen Anlässen stecken viele Erwachsene noch in ihrer Kinderrolle und möchten dann unbedingt, dass es beiden Elternteilen gut geht. Im Zweifelsfall versuchen sie dann, die Wünsche beider Eltern zu respektieren und planen sogar zwei Feiern.
Wie kann man sich aus der Kinderrolle von damals befreien?
Man sollte irgendwann dahin kommen, dass man nun erwachsen ist und nicht mehr das Kind von damals. Wir können selbst entscheiden und es anders machen. Dazu kann auch gehören, eigene Wege zu gehen und den Kontakt zu den Eltern zu verändern oder sogar abzubrechen.
Hilft es, heute noch einmal mit den Eltern über damals zu sprechen?
Es kommt darauf an. Manchen hilft es, die Eltern auf damals anzusprechen, ihnen mitzuteilen, wie sie sich gefühlt haben oder ihnen einen Brief zu schreiben. Vielen reicht es auch, Dinge für sich zu klären und einen Abschluss damit zu finden, ohne die Eltern zu involvieren.
Buchtipp: Inke Hummel/Julia Theeg: „Wir erwachsenen Trennungskinder – Prägende Kindheitserfahrungen verstehen und eigene Wege gehen, Beltz, 271 Seiten, 22 Euro
Trennung und Scheidung heute – kein Ausnahmethema mehr
Ein Trennungskind zu sein, damit war vor nicht allzu langer Zeit häufig noch ein soziales Stigma verbunden. „Ich selbst war damals das zweite Kind in der Klasse, bei dem sich die Eltern getrennt hatten, das war schon noch sehr ungewöhnlich und fiel auf“, erinnert sich Familienberaterin Inke Hummel. „Eine Frau aus unserem Buch erzählte mir, dass sie damals sogar das erste Trennungskind der Klasse war. Sie fühlte sich beobachtet im Dorf, wie ein bunter Hund.“
Heute seien Trennung und Scheidung nicht mehr so ein Ausnahmethema wie früher in den 80er Jahren. „In der jeder Grundschulklasse gibt es inzwischen einige getrennte Eltern.“ Auch alternative Lebens- und Familienformen seien viel mehr verbreitet und angenommen. „Ich kenne aus meiner Beratungstätigkeit viele Familien, in denen sich die beiden Eltern mit ihren jeweils neuen Partnern gemeinsam um die Kinder kümmern.“
Eltern seien in der heutigen Zeit zudem auch eher für das Thema Trennung und seine potenziellen Auswirkungen sensibilisiert als vor 30 Jahren. „Immer mehr Eltern, die sich trennen wollen, lassen sich sogar frühzeitig beraten, um es für die Kinder leichter zu machen“, erzählt Inke Hummel. „Es gibt auch Länder, in denen ist es für sich trennende Eltern verpflichtend, eine Beratung aufzusuchen.“
In Deutschland gebe es keine solchen Rituale und auch nur selten Gruppenangebote für Kinder, die von Trennung betroffen sind. „Dabei würde es vielen Kindern guttun, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen, die Ähnliches durchmachen“, plädiert Hummel, „Familien sollten rund um eine Trennung unbedingt begleitet werden.“ Gerade wenn Eltern in Schlammschlachten rund um Umgangs- und Besuchsrechte steckten, würden die Kinder oft dabei vergessen. „Ganz wichtig ist es, rund um die Trennung das Wohlbefinden der Kinder in den Fokus zu stellen.“
Tipp für betroffene Familien in Köln: „Kinder im Blick“ – ein Kurs für Eltern in Trennung, Kinderschutzbund Köln, Infos: Familienberatungsstelle im Kinderschutz-Zentrum, Telefon: 0221-5 77 77-0 oder Mail: info@kinderschutzbund-koeln.de