Kinder von vereinnahmenden Müttern können sich oft lebenslang nicht abgrenzen. Eine Psychologin erklärt, wie das gelingt.
Wenn Ablösung unmöglich wirdNarzisstische Mütter sehen das Kind als Erweiterung von sich selbst
Mütter gelten als selbstlos und aufopfernd. Es passt nicht ins Bild, dass sie egoistisch sein und ihre Kinder nicht so lieben könnten, wie man es von ihnen erwartet. In letzter Zeit wird der Begriff Narzissmus sehr häufig verwendet, für Partner, Freunde und Chefs, nun auch für Mütter. „Mit diesem Etikett sollte man vorsichtig sein. Doch es gibt auf jeden Fall Mütter, die narzisstische Anteile haben. Manche so stark, dass sie sich zu einer Persönlichkeitsstörung entwickeln“, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki aus München, die ein Buch über weiblichen Narzissmus geschrieben hat und Online-Kurse zum Thema gibt.
Wie äußert sich mütterlicher Narzissmus? Welche Auswirkungen hat dieses Verhalten auf die Kinder? Welche Folgen tragen sie bis ins Erwachsenenalter mit sich? Und wie können Betroffene sich aus der Abhängigkeit lösen? Antworten von Bärbel Wardetzki.
Es gibt die verschlingende und die ignorierende Mutter
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Menschen mit narzisstischen Strukturen Schwierigkeiten haben, die Liebe anderer anzunehmen und ihre eigene Liebesfähigkeit weiterzugeben. Bezogen auf Mütter gibt es für Wardetzki zwei Typen von Narzissmus: die verschlingende und die ignorierende Mutter. Die verschlingende Mutter schreibt ihrem Kind alles vor und lässt ihm keinen Raum. Die ignorierende Mutter vernachlässigt das Kind. „Beide Formen führen dazu, dass das Kind sich nicht gesehen, gespiegelt und verstanden fühlt und somit immer das Gefühl hat, falsch oder schlecht zu sein“, erklärt die Psychologin. In der Folge können sich Selbstentwicklung und Selbstwertgefühl nicht richtig entwickeln. Betroffene versuchen deshalb ihr Leben lang, ein bestimmtes Bild von sich zu präsentieren, damit sie gemocht werden. „Wichtig ist aber auch, zu verstehen, dass sich auch die Mütter in seelischer Not befinden und ihr Verhalten keine Böswilligkeit darstellt“, ergänzt Wardetzki.
Die verschlingende Mutter tarnt sich als Super-Mutter
Eine verschlingende Mutter sieht nach außen meist aus wie die absolute Super-Mutter, die immer für das Kind da ist. In Wirklichkeit ist sie aber dominant und permanent kontrollierend in allen Bereichen. Dadurch nimmt sie dem Kind den Raum zur individuellen Entwicklung. „Sie übt eine bestimmte Form von Macht aus, weil sie ihr Kind zu einem Teil ihrer selbst macht. Narzissten neigen dazu, andere Menschen als Erweiterung der eigenen Person zu sehen, weil sie selbst innerlich leer sind. Damit das funktioniert, muss sich das Kind in einer bestimmten Art und Weise verhalten“, erklärt Wardetzki. Diese Vereinnahmung kann sich bis ins fortgeschrittene Erwachsenenalter ziehen. Oft funktioniert das über Schuldgefühle, etwa wenn die älter gewordene Mutter sich beschwert, dass das Kind sich zu wenig um sie kümmert oder sie zu selten besucht.
Die ignorierende Mutter ist emotional nicht für das Kind verfügbar
Auf der anderen Seite steht die ignorierende Mutter. Sie gibt wenig Führung und Unterstützung und zeigt wenig Empathie ihrem Kind gegenüber. Zuweilen fühlt sie sich durch das Kind belästigt und wertet es ab. Sie kann dessen Emotionen nicht spiegeln und ist über Grundbedürfnisse wie Nahrung und Kleidung hinaus nicht für das Kind da. „In der Folge wird sich das Kind bei Problemen nicht an die Mutter wenden, weil diese emotional nicht verfügbar ist. Diese Mütter brauchen ein Kind, das so ist, wie sie es haben wollen, am besten ohne eigene Emotionen“, erklärt Wardetzki. Und weiter: „Kinder brauchen aber jemanden, der ihre Bedürfnisse erkennt und für sie sorgt. Wenn sie das Gefühl haben, dass sie eher umgekehrt für die Mutter sorgen müssen und viel für Zuwendung und Aufmerksamkeit tun müssen, ist das emotionale Vernachlässigung. Das Kind kümmert sich am Ende mehr um die Emotionen der Mutter als umgekehrt.“
Beide Formen führen zu einer Enttäuschung des Kindes
Die verschlingende und die ignorierende Mutter treten selten in Reinform auf, meist handelt es sich um Mischformen – die dann für die Kinder noch verwirrender sind. Beide Typen eint ein Verlust an Mütterlichkeit. Zudem liegt in beiden Fällen eine Enttäuschung des Kindes vor, entweder durch Verwöhnung oder durch mangelnde Umsorgung. „Beides führt dazu, dass die Kinder frustriert und zutiefst gekränkt sind in ihrem Sein, weil sie sich nicht angenommen fühlen“, erklärt Wardetzki.
Für betroffene Kinder ist es sehr schwierig, sich zu befreien
Betroffene Kinder haben Wardetzki zufolge kaum eine Chance, sich aus diesem System zu befreien. Sie halten dieses Verhalten für normal und sind zudem auf die Eltern angewiesen. Wardetzki: „Leiden tun sie natürlich trotzdem. Meist äußert sich das in Verhaltensauffälligkeiten oder in einer übergroßen Verhaltensanpassung und Schüchternheit. Selbst als Erwachsene ist es alleine unheimlich schwierig, aus diesen Mustern herauszukommen. Ich würde deshalb in vielen Fällen eine Therapie zur Unterstützung empfehlen.“
Betroffene müssen zunächst herausfinden, was sie selbst wollen und was nicht. Und sie müssen lernen, Grenzen zu ziehen. „Man muss lernen, zu erkennen: Was ist meins und was ist das der Mutter. Das ist oft so verwoben, dass man das gar nicht mehr unterscheiden kann. Je älter man wird, desto schwieriger ist das“, fasst Wardetzki zusammen. Viele Betroffene haben ihrer Erfahrung nach auch als Erwachsene noch Probleme damit, ihre eigene Identität zu spüren und sich für sich selbst einzusetzen. „Sie sind nicht gut darin, das Schöne des Lebens zu genießen. Für sie bedeutet Leben entweder, sich an andere anzupassen oder gegen sie zu rebellieren“, erklärt die Psychologin.
Abgrenzung kann zu Problemen führen
Wenn es erwachsenen Kindern schließlich gelingt, sich von ihrer narzisstischen Mutter abzugrenzen, besteht das Risiko, dass die Beziehung endet. Für Wardetzki ist es deshalb wichtig, die Betroffenen darüber aufzuklären, dass sich im Verhältnis zur Mutter etwas verändert, wenn sie ihre eigene Entwicklung in den Fokus rücken: „Nicht jede Mutter ist bereit, sich dem Veränderungsprozess des Kindes anzupassen. Die Betroffenen müssen am Ende entscheiden, wer ihnen wichtiger ist: die Mutter oder sie selbst. Sie müssen wissen, dass sie ein Risiko eingehen, wenn sie sich für sich entscheiden.“ Fürs Erste kann es hilfreich sein, den Kontakt zu reduzieren oder eine Pause einzulegen. Auch ein aktiver Kontaktabbruch ist nicht ausgeschlossen und mitunter die einzige Lösung. Wardetzki: „Das ist ein langer und spannender Prozess, weil man sich dabei selber kennenlernt. Zudem ist es enorm befreiend, der Mutter als eigenständige Persönlichkeit entgegenzutreten und nicht mehr hilflos und abhängig zu sein.“
Veranstaltung
„F wie Familie: Kinder narzisstischer Eltern“, 08. August 2023, 19-20.30 Uhr, Studio Dumont, Breite Str. 72, 50667 Köln. Referenten: Dr. phil. Christiane Jendrich / Dr. med. Stefan Battel (beide Lehrende Therapeuten am Kölner Institut für Systemische Beratung und Therapie, KIS). Tickets gibt es für 16 Euro unter www.koelnticket.de und an der Abendkasse vor Ort.