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11 Tipps vom Resilienz-TrainerWie wir auch jetzt im Lockdown weiter gut durchhalten

Lesezeit 7 Minuten
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Wir müssen uns weiter einschränken und zuhause bleiben. Doch woher nimmt man die Kraft, wenn Abwechslung und Ablenkung fehlen?

Köln – Puh! Als die Nachricht von der Verlängerung des Lockdowns kam, konnte man quer durch die Republik ein lautes Seufzen hören. Dass es nun also weiter geht mit den Beschränkungen, dem Daheimbleiben, dem Homeoffice und Distanzlernen, das hat, trotz aller Notwendigkeit, bei vielen Frust und Verzweiflung ausgelöst. Nach fast einem Jahr Corona-Krise, die an uns gezerrt und uns auf vielfache Arten gefordert hat, ist nicht nur das Energielevel auf niedrigem Stand, auch Motivation und Zuversicht suchen manche, zumal im tiefsten Winter, gerade vergeblich. Und fragen sich nun: Wie sollen wir das nur weiter schaffen?

„Wir sind gerade in eine Situation hinein geworfen, die wir bisher nicht kannten. Um diese zu bewältigen, braucht jeder einzelne alle seine Ressourcen“, sagt Sebastian Mauritz, der als Resilienz-Trainer Menschen dabei hilft, sich selbst mental zu stärken, um besser mit Veränderungen zurecht zu kommen. Eine Fähigkeit, die also gerade mehr denn je gefragt ist. „Resilienz ist die Fähigkeit von Systemen, mit Störungen umzugehen“, erklärt Mauritz, „deshalb ist das, was gerade überall in der Welt passiert, für mich ein großer Resilienz-Test.“

Doch was kann dem Einzelnen jetzt gerade dabei helfen, besser mit der Situation zurecht zu kommen? Wie findet man genug mentale Stärke für die nächsten Wochen?

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Resilienz-Trainer Sebastian Mauritz hat uns folgende Tipps verraten (im Wortlaut):

Jammern ist auch erlaubt

Zunächst einmal möchte ich betonen: Man muss nicht ständig resilient sein und immer durchhalten. Wir dürfen uns in diesen Zeiten auch Momente der Schwäche zugestehen oder traurig sein. Alle Emotionen sind erlaubt. Ich muss nicht immer gute Laune haben und lösungsorientiert sein. Wir leben in Polaritäten, Licht und Schatten gehören beide dazu.

Und doch hilft es, sich daran zu erinnern, dass wir immer noch auf extrem hohen Niveau jammern und es in Deutschland noch ein vergleichsweise hohes Maß an Sicherheit und Stabilität gibt.

Auf die guten Dinge konzentrieren

Denkt man an das vergangene Jahr, kommen vielen direkt Begriffe wie „Virus“, „Tod“ und „Trump“ in den Sinn. Und das ist typisch für unsere Zeit. Wir sind häufig auf das Negative und den Mangel fokussiert, auf das, was uns verletzt, schwächt und krank macht. Unser Gehirn ist evolutionär dazu angelegt, sich auf Probleme zu konzentrieren, weil das zum Überleben in Grenzsituationen wichtig ist. Jetzt aber geht es gerade darum, die eigenen Ressourcen zu aktivieren, die uns schützen.

Sebastian Mauritz

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Foto: Phla/Göttingen

Sebastian Mauritz ist Resilienz-Trainer und Leiter der Resilienz-Akademie in Göttingen. Sein aktuelles Buch „Immun gegen Probleme, Stress und Krisen“ (Gabal Verlag) ist 2019 erschienen.

Mit einem Wechsel der Perspektive lässt sich da Einiges erreichen. Denn das subjektive Erleben und der eigene Wesenszustand verändern sich abhängig davon, worauf wir unsere Aufmerksamkeit legen. Es geht also darum, was und wie wir etwas wahrnehmen. Statt sich also auf die Einschränkungen zu fokussieren, könnte man an die schönen Spaziergänge und Spielnachmittage denken, für die jetzt mehr Zeit ist. Das beeinflusst auch, wie man die Situation insgesamt empfindet. Man könnte sich fragen: Was ist noch da? Was gibt mir Kraft? Und vor allem: Wie gesund sind wir gerade noch?

Realistisch einschätzen, was möglich ist

Nicht wenige Menschen empfinden aufgrund der neuen Restriktionen Wut oder Frust. Dahinter stecken meist Bedürfnisse und Werte, die durch die Regelungen verletzt werden. Eltern sind also zum Beispiel verzweifelt darüber, dass die Schulen zu bleiben, weil sie sich um die psychische Gesundheit ihres Kindes sorgen oder darum, wie sie selbst bloß alles leisten können. Sie sollten sich dann ganz ehrlich fragen: Inwieweit lassen sich diese Dinge gerade noch leben? Was ist überhaupt möglich? Wieviel kann man beruflich leisten, wenn die Kinder zuhause sind? Man sollte realistisch einschätzen, bis zu welchem Grad man das, was einem sonst wichtig ist, gerade noch bekommen kann. Das ist ein erster Schritt, um sich selbst zu entlasten.

Zweitbeste Lösungen finden

Durch den Lockdown werden wir gerade in unserer Selbstwirksamkeit eingeschränkt. Viele unserer Sehnsüchte können wir nicht verwirklichen. Wir sollten uns dennoch nicht darauf fokussieren, was nicht geht, sondern schauen, was wir trotzdem noch beeinflussen können und welche Dinge wir in diesem Rahmen noch gestalten können. Es geht darum, sich kreativ an die neue Situation anzupassen und zweitbeste Lösungen zu finden. Das kann sein, den Nachbarn Hilfe anzubieten oder regelmäßig mit Freunden zu telefonieren. Wir müssen uns klar machen, dass Beziehungen und Netzwerke, trotz räumlicher Distanz, unglaublich wichtig sind und andere Wege finden, um einander nah zu sein.

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Probleme klar benennen

Wenn die Sorgen einen in dieser Zeit übermäßig beschäftigen, kann eine einfache aber effektive Technik helfen: Die Probleme erst einmal aufzuschreiben, auf ein Blatt zu notieren und zu beschreiben. Wenn man sie sich so bewusst macht, verliert die Situation ein Stück weit ihren Schrecken und es werden Denkprozesse angestoßen. Vielleicht schläft man noch eine Nacht drüber oder macht einen Spaziergang – meist fallen uns dann schon erste Lösungsansätze für diese Probleme ein.

Die eigene Heldenreise kennen

Man muss Resilienz nicht lernen, jeder Mensch ist resilient. Um das deutlich zu machen, sollte sich jeder einmal die Frage stellen: Wann in meinem Leben habe ich schon eine Krise überlebt? Wann habe ich mich schon einmal gewundert, wie stark ich war und mich gefragt, wie es überhaupt möglich war, das zu überstehen? Jeder sollte sich seine eigene Heldenreise im Leben bewusst zu machen. Das eröffnet den Zugang zur eigenen Resilienz, zu den eigenen Ressourcen.

Humor verändert die Haltung

Es ist gut, auch mal humorvoll auf diese Situation und all die Emotionen zu blicken – und zwar nicht zynisch, sondern mit wertschätzendem Humor. Auch mal laut zu sagen: „Mensch, das ist echt gerade eine lächerliche, skurrile Zeit!“ Wenn wir nämlich über eine Situation lachen, verändert sich die Beziehung zum Phänomen, also zur an sich schwierigen Grundsituation. Humor und Leichtigkeit sind deshalb auch wichtige Wirkfaktoren in der Psychotherapie.

Die fünf großen Sinn-Fragen für jeden Tag

Ein guter Tipp ist es, sich jeden Tag die gleichen fünf Fragen zu stellen, durch die man die so genannten „Super-Ressourcen“ (nach Dirk Eilert) stärken kann. Was habe ich heute getan, worauf ich stolz sein kann? Wo habe ich mich heute sicher und/oder entspannt gefühlt? Wofür bin ich dankbar? Wo habe ich heute gestaunt? Was habe ich heute getan, über das sich ein anderer gefreut hat (und wie habe ich das empfunden)?

Am besten stellt man sich diese Fragen immer zur gleichen Tageszeit, zum Beispiel abends. Dann entwickelt sich daraus eine Routine, die auch im Gehirn verankert wird. Besonders resiliente Menschen haben solche Wahrnehmungsgewohnheiten, durch die sie ihre eigenen Ressourcen stärken.

Rituale und Highlights sind wichtig

Das Gehirn mag Rituale. Das kann etwa eine regelmäßige Meditation sein. Mein Ritual ist es zum Beispiel, mir jeden Morgen beim Kaffeetrinken ein paar Minuten Zeit am Rechner zu schenken, in der ich dort nur Dinge tue, die mir Spaß machen. Dann starte ich mit einem Lächeln in den Tag. Jeder hat diese paar Minuten am Tag für ein kleines Ritual. Es geht auch darum, etwas zu haben, auf das man sich freut. Highlights und Inseln zu schaffen. Dazu kann auch die Vorfreude auf gemeinsames Kochen am Abend oder einen Ausflug gehören.

Atemübungen steigern die Stressresistenz

Es gibt eine Atemübung, die „4711-Atmung“ heißt (und deshalb sehr gut zu Köln passen). Hierbei atmet man zunächst vier Sekunden ein, danach sieben Sekunden aus, und zwar elf Minuten lang. Das steigert die Verbindung von Gehirn und Herz und damit die eigenen Fähigkeiten, auf Stress zu reagieren. In einer akuten Stresssituation hilft es dagegen, einmal tief ein- und mit einem langen Seufzen auszuatmen.

Anderen helfen, den Zugang zu Resilienz zu finden

Wenn es darum geht, anderen zu helfen, resilienter zu werden, dann gilt zunächst: Kein Coaching ohne Auftrag. Nicht einfach drauflos Ratschläge und Kritik abfeuern, sondern erst einmal fragen: Darf ich dir sagen, was ich bei dir beobachtet habe? Wenn der andere dafür offen ist, sollte man aber vorsichtig formulieren und Vorschläge machen. Gut ist es, erst einmal bei sich selbst anzufangen und von den eigenen Gefühlen zu erzählen und wie man damit umgegangen ist. Das ist oft ein Anstoß für den anderen.

Ich finde es auch wichtig, das Leid des anderen zu würdigen und nicht in Frage zu stellen. Diese Menschen brauchen Wertschätzung. Jammern ist auch ein Beziehungsangebot, es zeigt, dass der andere etwas braucht. Die Frage, die man anschließen könnte, wäre: Was brauchst du gerade? Was kann ich tun, damit es dir besser geht?