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Kölner Psychotherapeutin„Zu uns kommen immer mehr Erzieherinnen mit Ängsten und Burnout“

Lesezeit 5 Minuten
Kleinkinder spielen in einer Kita.

Viele quirlige Kinder, aber nur zwei Hände: Immer mehr Kitas arbeiten wegen Personalmangels in Unterbesetzung.

Keine Mittagspause, nicht auf Toilette gehen, weil sonst keiner auf 20 Kinder aufpasst. Eine Therapeutin spricht über verzweifelte Erzieherinnen.

Es gibt eine Betreuungskrise in unserem Land. Das bekommen Eltern junger Kinder schon lange zu spüren, weil Kitas wegen Personalmangels ihre Stunden reduzieren oder sogar ganz schließen müssen. Wie groß die Not sozialer Einrichtungen ist, zeigte sich Ende November hier in Köln in einem zweitägigen Protest, durch den Kitas und Ganztagseinrichtungen auf ihre Situation aufmerksam machten. Selten gesprochen wird dagegen darüber, wie es jenen Menschen geht, die täglich in den Kitas unter oft schwierigen Bedingungen immer weiter die Kinder betreuen.

Träger, Kita-Leitung, Eltern: Erzieherinnen bekommen viel Druck

„Zu uns in die Praxis kommen immer mehr Erzieher und Erzieherinnen, denen es wegen ihrer Arbeitssituation psychisch nicht gut geht“, berichtet Psychotherapeutin Nora Fuentes aus Köln, „viele sind mental und körperlich erschöpft, sie leiden unter Unruhe, Ängsten und Panikattacken.“ Immer häufiger diagnostizierten sie und ihre Kollegen Anpassungsstörungen, Burnout oder Depressionen. „Ich würde klar sagen, es ist eine besonders belastete Berufsgruppe.“

Was ihre Patientinnen erzählten, sei zwar ein subjektiver Ausschnitt – viele ihrer Berichte deckten sich aber. „So ergibt sich ein Bild, welche Aspekte im Alltag der Erzieherinnen häufig falsch laufen und besonders belastend sind“, sagt Fuentes. Die Erzieherinnen kämpften oft an vielen Fronten gleichzeitig. „Sie müssen bei totaler Unterbesetzung die Kinder betreuen und gleichzeitig allen gerecht werden.“ Viele berichteten, sie seien dem Frust und der Verzweiflung der Eltern ausgeliefert, bekämen aber auch Druck von der Kita-Leitung, die mit wenig Personal den Betrieb am Laufen halten müsse. Manche Kita-Träger übten auch aus wirtschaftlichen Interessen Druck auf das Personal aus, was die Betroffenen besonders hilflos mache.

Die Kölner Psychotherapeutin Nora Fuentes im Porträt

Nora Fuentes arbeitet als Psychotherapeutin in Köln.

Gereizt und gleichgültig den Kita-Kindern gegenüber

Weil aus einer temporären personellen Krise in den Kitas immer häufiger ein Dauerzustand werde, hätten manche Erzieherinnen inzwischen regelrecht Angst vor den Arbeitstagen. Eine Klientin habe ihr das so beschrieben: „Wenn ich morgens aufstehe, sträubt sich alles, dorthin zu gehen. Mein Körper ist wie gelähmt oder reagiert mit Bauchschmerzen oder Herzrasen.“ Andere berichteten ihr, sagt Fuentes, dass sie zwar ihre Schicht anträten, aber kaum mehr zugänglich seien für die Außenwelt, erst recht nicht für die Bedürfnisse der Kinder. „Eine Erzieherin berichtete, sie sei wie abgestumpft und gehe viel gereizter und lauter, aber auch gleichgültiger mit den Kindern um“, erinnert sich Fuentes, „sie erkennt sich selbst überhaupt nicht wieder, fühlt sich schuldig und hat ernsthaft Sorge, zu welchen Taten sie diese Situation noch bringt.“

Die Furcht, Fehler zu machen oder Kinder in Gefahr zu bringen, sei ein zentraler Punkt. „Viele erklären, sie sind ab Beginn ihrer Schicht in Daueralarmbereitschaft.“ Manche säßen mit Panik in den Gruppen und hätten Fluchtgedanken. „Eine Betroffene malt sich ständig aus, was alles Schlimmes passieren könnte, wenn sie alleine auf 20 Kinder aufpassen muss“, erzählt Nora Fuentes, „sie hat wahnsinnige Angst davor, dass es einen Notfall gibt und ihr am Ende die Schuld gegeben wird.“

Um solche Situationen zu vermeiden, gehe das Kita-Personal oft über eigene Bedürfnisse hinweg, auch weil man in diesem Job ständig präsent sein müsse. „Eine Erzieherin erzählte, sie war so viel alleine mit den Kindern in der Gruppe, dass sie seit zwei Wochen keine Mittagspause mehr gemacht hat und keine Möglichkeit hatte, etwas zu trinken oder auf die Toilette zu gehen.“

Durchhalten aus Solidarität den Kollegen gegenüber

Die meisten hielten jedoch unter großer Anstrengung irgendwie bis Feierabend durch, auch aus Solidarität zu den Kolleginnen. „Sie schämen sich, wenn sie sich krankmelden, weil sie wissen, dass die anderen Mitarbeiterinnen dann die Hölle durchmachen – und sie vielleicht verurteilt werden, wenn sie die anderen im Stich lassen“, sagt Fuentes, „aber oft kippt der Zusammenhalt der Kollegen dann erst recht, weil alle angespannt sind und jeder mehr oder weniger versucht, klarzukommen.“ Im Privatleben würde sich dann häufig die ganze angestaute Erschöpfung entladen.

„Einige Erzieherinnen erzählten mir, dass manche Kitas am Rande der Legalität arbeiten und sie es eigentlich melden müssen, wenn der Personalschlüssel dauerhaft nicht eingehalten werden kann“, sagt Fuentes. Das würde jedoch die Schließung der Einrichtung bedeuten, was die Erzieherinnen in einen Loyalitätskonflikt gegenüber den Eltern und ihrem Arbeitgeber stürze. „Gerade in diesem Beruf sind Menschen meist mit extra Herzblut bei der Sache und auch jetzt geben viele Erzieherinnen noch alles und fangen so viel wie möglich auf.“ Und das sei genau die Krux an der Situation. „Das System hält sich nur noch, weil das Personal ständig über Grenzen hinweg alles gibt. Es ist ein Teufelskreis.“

Dass ihre Nöte in der Öffentlichkeit zur Sprache kämen, gebe für den Moment Hoffnung, berichteten die Erzieherinnen bei ihr in Therapie. „Und doch vermissen sie eine grundlegende Anerkennung und Wertschätzung für ihren Beruf. Immerhin helfen sie mit, die Zukunft des Landes zu sichern“, sagt Nora Fuentes. „Vor allem aber wünschen sie sich eine echte Perspektive, dass sich etwas an den Arbeitsbedingungen ändert.“ Manche ihrer Patientinnen seien allerdings so resigniert, dass sie mit dem Gedanken spielten, die Branche zu wechseln. Gleichzeitig fehlten oft die Alternativen, da es auch in anderen sozialen Berufen ähnliche Probleme gebe.

Die Freude am Erzieher-Beruf ist kaum mehr da

Was viele am meisten vermissten, sei die Freude an ihrem Beruf. „Sie haben ursprünglich diesen Job gewählt, um Kinder bei ihren ersten Erfahrungen im Leben zu begleiten und finden sich jetzt in einer Massenabfertigung wieder, bei der es nur darum geht, irgendwie den Überblick zu bewahren, um das Schlimmste zu vermeiden.“ Es gebe keine Zeit mehr, etwas Schönes mit den Kindern zu erleben.

In der Therapie arbeite sie mit den betroffenen Erzieherinnen an Wegen, einen Ausgleich von der Arbeitslast zu finden und wieder eigene Ressourcen aufzubauen. „Es geht aber auch darum, ihnen klarzumachen, dass sie nicht schuld sind an ihrer Überlastung, sondern die Rahmenbedingungen.“ Sie vermittle ihnen zudem, wie sie wieder handlungsfähig werden und sich besser abgrenzen könnten. „Wir üben zum Beispiel, klar zu kommunizieren, wenn man krank ist und wirklich nicht arbeiten kann.“ Sie empfehle allen Betroffenen, sich früh einen Therapieplatz zu suchen, „nicht erst, wenn die Arbeitssituation so stark belastet, dass man völlig am Ende ist.“