Katharina Altemeier leidet seit Jahrzehnten an Angststörungen und Panikattacken. Wann kommt ihre Angst und wie geht sie heute im Alltag damit um?
Ein Psychologe erklärt, wann Ängste krankhaft sind, welche Angststörungen es gibt, wie sie behandelt werden und wo Betroffene Hilfe finden können.
Köln – Die erste Panikattacke erwischt sie ganz plötzlich mitten auf der Autobahn. „Es ist ein Moment des völligen Kontrollverlustes. Mir wird plötzlich furchtbar übel. Alles dreht sich. Ich werde zittrig. Meine Umwelt verschwimmt. Ich will losrennen und glaube, verrückt zu werden. Es fühlt sich so an, als würde ich sterben.“
Heute weiß Katharina Altemeier, dass es Panik war, die sie in dem Moment überwältigte. Dass in dieser heftigen körperlichen Reaktion ihre Angst steckte. Genauer gesagt eine Agoraphobie, die auch als Platzangst bekannt ist. „Die Vorstellung, in einen Stau zu kommen und gewissermaßen gefangen zu sein, das kann bei mir Ängste auslösen“, erzählt sie, „und die Angst ist da und stark, ob es einen realen Anlass für sie gibt oder nicht.“ Inzwischen kennt die 46-jährige Mutter aus München diese Situationen genau. „Bis heute fährt die Angst immer auf dem Beifahrersitz mit“, sagt Altemeier, „sie ist aber seltener geworden und ich kann gut damit leben.“
Soziale Angst – bloß nicht von anderen bewertet werden
Der Weg dahin war jedoch kein leichter. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten ist Katharina Altemeier von Angststörungen betroffen. Und es hat viele Jahre gedauert, bis die richtige Diagnose gestellt wurde. „Bei mir haben sich die Ängste auch mit den Jahren verändert“, erzählt sie. „Damals in meiner Jugendzeit litt ich unter sozialer Angst“, erinnert sie sich, „ich fürchtete mich davor, innerhalb einer Gruppe bewertet zu werden und konnte kaum in Gesellschaft essen.“ Irgendwann habe sie aus Angst solche Situationen gemieden und nur noch alleine gegessen.
Ein solches Vermeidungsverhalten ist ein typisches Zeichen für eine Angststörung. „Ängste gehören normal zum Leben dazu und können uns auch schützen“, erklärt Prof. Karsten Heekeren, Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie der LVR-Klinik Köln, „problematisch wird es aber, wenn es durch diese Ängste im Leben zu Einschränkungen kommt.“ Verlasse jemand aus Angst die Wohnung nicht mehr oder wolle keine Menschen mehr treffen, sei ein Grad erreicht, bei dem man von einer Angststörung spreche. „Sind Ängste der Grund, sein Leben nicht so führen zu können, wie man möchte, dann ist auch ein Behandlungsbedarf da.“
„Angst gehört zu den häufigsten Krankheiten überhaupt“
Und doch ist wie bei vielen psychischen Krankheiten eine Diagnose auch bei Angststörungen nicht immer leicht zu treffen. „Angsterkrankungen gehören zu den häufigsten Krankheiten überhaupt, aber es ist schwer, die Linie zu ziehen, was genau darunter fällt.“ Es gebe zudem auch eine hohe Dunkelziffer, also Menschen, deren krankhafte Angst nie als solche diagnostiziert wurde.
Unterschieden wird zwischen drei verschiedene Arten von Angststörungen. Neben Ängsten wie der oben beschriebenen Platzangst, die auf gewisse Situationen bezogen sind, gibt es auch die so genannten Phobien oder isolierten Ängste, wie etwa die Spinnen- oder Höhenphobie, die nicht unbedingt behandlungsbedürftig sind. „Tierphobien bilden sich oft früh in der Kindheit aus und sind häufig nicht mit anderen Ängsten verknüpft“, erklärt Karsten Heekeren. „Und dann gibt es noch die generalisierte Angststörung, bei der Menschen sich die ganze Zeit Sorgen machen, es könnte etwas passieren“, erklärt er, „man spricht hier auch von einer frei flotierenden Angst, die sich immer neue Themen sucht und dort anheften kann.“
Panikattacken treten bei Angststörungen häufig, aber nicht zwingend auf. Bei nicht isolierten Ängsten besteht zudem ein erhöhtes Risiko, zusätzlich Depressionen oder eine andere psychische Erkrankung zu bekommen.
Als Ursachen für Angsterkrankungen können mehrere Faktoren eine Rolle spielen. „Es gibt einen erblichen Faktor, von dem auch abhängt, wie das Gehirn mit Ängsten umgeht“, sagt Heekeren. Es komme aber auch darauf an, wieviel Ängstlichkeit man vorgelebt bekomme und in welcher Umwelt man aufwachse. „Kinder, die kaum Zuwendung bekommen haben oder schon früh einen Verlust bewältigen mussten, entwickeln schneller Angststörungen als behütete Kinder mit stabilen Bezugspersonen. Sie haben eine ganz andere Herangehensweise ans Leben.“
Krieg und Klimakrise können Ängste verstärken
Auch aktuelle Situationen wie die Pandemie, der Ukrainekrieg oder die Klimakrise könnten Ängste auslösen oder verstärken. „In für uns bedrohlichen Situationen entstehen ganz natürlich Ängste, das geht uns gerade wohl allen so“, sagt Karsten Heekeren, „auch hier stellt sich wieder die Frage, inwieweit das normale Leben durch diese Ängste eingeschränkt wird.“ Für Menschen, die sowieso zu Ängsten neigten, seien solche Situationen natürlich deutlich schlimmer als für jene mit niedrigem Angstniveau.
Wo finden Betroffene Hilfe?
Hausarzt: Erster Ansprechpartner kann der Hausarzt sein. „Angsterkrankungen sind so häufig, dass Hausärzte sich in der Regel gut damit auskennen und an Psychotherapeuten weiter überweisen können“ sagt Karsten Heekeren.
Onlineberatung der Deutsche Angst-Hilfe e.V.: Hier finden Betroffene Rat von Menschen, die selbst einen weg aus der Angst finden konnten.
Im ersten Jahr der Pandemie hätten einer internationalen Studie zufolge Angststörungen um etwa 25 Prozent zugenommen – bei Frauen, die grundsätzlich häufiger an Angststörungen erkrankten, seien die Zahlen sogar noch höher. Weil die Therapieversorgung Corona-bedingt eine Zeit lang reduziert gewesen sei, habe es auch mehr Notfälle gegeben. „Die Menschen, die bei uns Hilfe gesucht haben, kamen oft zu einem späten Zeitpunkt und waren sehr viel schwerer krank“, berichtet Heekeren.
Inwieweit Angsterkrankungen im Zuge der Dauerkrise noch weiter zunähmen, sei schwer vorauszusehen. „Es hängt sicher auch davon ab, wie sich der Krieg entwickelt und wie die Bedrohung weiter wahrgenommen wird.“ Was den Klimawandel betreffe, werde es sicher in Zukunft mehr Angst auslösende Ereignisse geben, unter denen besonders jüngere Menschen leiden könnten.
Angststörungen sind gut behandelbar
„Für Menschen, die von einer Angsterkrankung betroffen sind, gibt es aber eine gute Nachricht: Eine Angststörung ist eine sehr gut behandelbare Krankheit und kann komplett geheilt werden“, sagt der Experte, „wobei das Ziel nicht ist, nie mehr Angst zu haben, sondern mit Angst und Panik umgehen zu können, ohne Situationen vermeiden zu müssen.“ Die Therapie findet in der Regel im ambulanten Bereich oder einer Tagesklinik statt. „Denn das Ziel der Behandlung ist, später mit den Ängsten in der gewohnten sozialen Umgebung zurecht zu kommen.“ Angstpatienten werden psychotherapeutisch und oder medikamentös behandelt. „Beide Behandlungen haben eine sehr hohe Wirksamkeit, wobei die Psychotherapie meiner Einschätzung nach der wichtigere Faktor ist.“
„Wenn die Angst da sein darf, ist sie nicht mehr so ein großes Problem“
Katharina Altemeier hat insgesamt vier Therapien gemacht und auch zeitweise Medikamente genommen. „Mir hat die Psychoanalyse am meisten geholfen, weil ich dadurch einiges in meiner Familienkonstellation entdeckt habe.“ Den Durchbruch gebracht habe bei ihr aber vor allem eine neue Haltung ihrer Angst gegenüber. „Jahrelang habe ich mir die Angst immer weggewünscht und sie ist nur noch stärker geworden“, erzählt sie, „bis ich gemerkt habe: Ich kann die Angst gar nicht loswerden, sie ist Teil von mir.“ Statt also gegen sie anzukämpfen, habe sie sich die Angst genau angeschaut. „Ich habe gespürt, wenn die Angst da sein darf, dann ist sie nicht mehr so ein großes Problem.“ Mit ihrem Buch „Hallo Angst!“ und dem gleichnamigen Podcast möchte sie nun auch anderen Betroffenen einen neuen Umgang mit der Angst beibringen und dazu beitragen, dass mehr über Angsterkrankungen gesprochen wird.
Wann ihre eigene Angst im Anmarsch ist, merkt Katharina Altemeier inzwischen frühzeitig. „Das spüre ich oft schon direkt nach dem Aufstehen.“ Sogar für die akuten Momente habe sie längst eigene Mechanismen entwickelt. „Wenn im Auto die Panik kommt, hilft es mir zum Beispiel, etwas Scharfes zu kauen, weil ich dadurch den Fokus woanders hinlenken kann. Oft lache ich auch, selbst wenn mir nicht zum Lachen zu Mute ist – die hochgezogenen Mundwinkel signalisieren dem Gehirn, dass alles gut ist. Das funktioniert tatsächlich.“