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BetreuungsnotEltern, legt die Arbeit nieder – dann hört uns vielleicht jemand zu

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Lesezeit 4 Minuten
Eine Mutter arbeitet an einem Laptop, ihr Kleinkind spielt daneben.

Wenn die Betreuung wegfällt, müssen Eltern zwischen Kind und Job jonglieren.

Eltern fangen Betreuungsengpässe auf und sitzen Krankheitswellen aus – während sie arbeiten. Was wäre, wenn sie damit einfach aufhörten?

Noch ein bisschen durchhalten, für die Allgemeinheit – geht schon irgendwie vorbei. Das dachten wir Eltern damals im pandemischen Ausnahmezustand und arbeiteten mit Kleinkindern auf dem Schoß oder legten extra Nachtschichten ein.

Doch es ging nie wirklich vorbei. Denn die Betreuungskrise an Kitas und Grundschulen wird immer schlimmer. Und es sind immer noch wir Eltern, die alles auffangen. Die Gesellschaft vertraut längst darauf, dass wir über jede Erschöpfung hinweg weitermachen. Wie lange wollen und können wir das noch durchhalten?

Dauerhafter Ausnahmezustand für Eltern kleiner Kinder

Einen normalen Betreuungsalltag gibt es für Eltern jüngerer Kinder schon lange nicht mehr. Viele bangen darum, überhaupt einen Kitaplatz zu bekommen. Andere können sich nicht auf die Betreuung verlassen, weil Kitas wegen Personalmangels Stunden reduzieren, tageweise schließen oder sogar komplett dicht machen.

Auch die Nachmittagsbetreuung an den Grundschulen kann nicht flächendeckend angeboten werden oder fällt immer häufiger aus. Und wenn das pädagogische Personal völlig zu Recht gegen die Mängel im Betreuungssystem streikt, sind es wieder die Eltern, die ihre Kinder zu Hause sitzen haben. Dazu kommt eine Krankheitswelle nach der anderen, die besonders die Kleinen trifft.

Was vielen nicht klar ist: Jeder Morgen, an dem ein Kind nicht betreut werden kann, ist eine Extremsituation für erwerbstätige Eltern. Sie müssen regelmäßig improvisieren, um das Unmögliche zu schaffen: Gleichzeitig für ihr Kind da sein und ihre Arbeit erledigen. Wer schon einmal versucht hat, mit einer Vierjährigen im Raum strukturiert zu denken, weiß, wovon ich spreche. Und ich habe es noch gut im Vergleich zu Menschen mit Jobs ohne Homeoffice-Option.

Eltern improvisieren, um nicht ständig bei der Arbeit auszufallen

Gesetzliche Regelungen für Eltern in dieser Situation gibt es durchaus. Wenn die Kita oder Schule kurzfristig schließt, dürfen Erziehungsberechtigte, wenn sie keine andere Betreuung für ihr Kind finden, notfalls von der Arbeit fernbleiben.

Und im Krankheitsfall können Mutter oder Vater für die Betreuung ihres Kindes unter zwölf Jahren „Kinderkrankentage“ beantragen – statt des Arbeitgebers zahlt dann die Krankenkasse, in der Regel 90 Prozent des Nettolohns. Derzeit hat jeder Elternteil pro Kind 30 Tage im Jahr zur Verfügung, bei mehreren Kindern sind es maximal 65, bei Alleinerziehenden doppelt so viel.

Isabell Wohlfarth

Isabell Wohlfarth

Redakteurin im Ressort Freizeit & Ratgeber/Magazin. Schreibt vor allem zu den Themen Familie, Psychologie, Vereinbarkeit und Erziehung. Ihre drei Kinder und ihre riesige Verwandtschaft sind häufig Ins...

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Und doch kenne ich niemanden, der das volle Kontingent ausschöpft – nicht einmal annähernd. Zum einen, weil gerade einkommensschwächere Familien jeden Cent brauchen und auf ihr volles Gehalt angewiesen sind. Eltern ziehen die „Kind-krank-Karte“ zudem so selten, weil sie die eigene Arbeitslast nicht aufschieben können, ihre Kollegen nicht ständig überlasten wollen oder Sorge haben, Aufträge und den Anschluss zu verlieren. Schon wieder im Büro anzurufen und sich abzumelden, schon wieder auszufallen, das trauen sich viele einfach nicht.

Verständlicherweise. Denn in der Summe kämen da sehr viele Tage im Jahr zusammen. Wir simulieren das einmal grob. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) sind für kleine Kinder bis zum Einschulungsalter rund acht bis zwölf leichte Infekte im Jahr, wie etwa Mandelentzündung, Atemwegsinfekte oder Magen-Darm-Infektionen, normal.

Kleinkinder rutschen dabei oft von einem Infekt in den nächsten. Geht man davon aus, dass ein krankes Kind mehrere Tage zu Hause bleiben muss, Geschwister sich noch gegenseitig anstecken und addiert man dann noch die außerregulären Kita- oder OGS-Schließzeiten dazu, dann würden Eltern viele Wochen im Jahr als Erwerbsarbeitskraft ausfallen. Und das bekämen Unternehmen deutlich zu spüren.

Das System wird getragen von der Solidarität der Eltern

Die Firmen sind also schlichtweg darauf angewiesen, dass Mütter und Väter alles möglich machen. Das System wird getragen von der Solidarität der Eltern. Rein praktisch funktioniert das überhaupt nur, weil viele Mütter in Teilzeit bleiben oder weil Eltern Arbeitsstunden in die Abende oder ins Wochenende hinein verschieben und auf Pausen verzichten.

Das hat nicht nur Folgen für die Balance der Familie und das Wohlergehen der Kinder, es geht auch auf Kosten der eigenen Gesundheit. Die Mütterkur-Kliniken sind voll. Und ich habe den Eindruck, auch das wird, wie viele andere soziale Probleme, inzwischen nur noch mit einem wissenden Nicken quittiert. Solange es irgendwie läuft, scheint es egal zu sein, wie viel Stress und Verzweiflung die Doppelbelastung zu Hause erzeugt.

Doch vielleicht sollten wir Mütter und Väter einfach mal damit aufhören, bis zur völligen Erschöpfung zwischen Bauklötzen und Deadlines hin- und herzuhetzen und stattdessen ohne Rücksicht auf Verluste jedes Mal konsequent zu Hause bleiben, wenn das Kind nicht betreut werden kann. Eine Lücke am Arbeitsplatz hinterlassen, mit wirtschaftlichen Konsequenzen. Ohne Kompromisse. Ohne schlechtes Gewissen. Womöglich würde uns dann jemand zuhören.

Denn wir sind so müde geworden, Veränderung und Unterstützung zu fordern. Und uns noch anzuhören, wir seien doch selber schuld: Wer Nachwuchs bekomme, müsse sich eben auch selbst kümmern. Doch Kinder sind nicht nur Privatsache, schon gar nicht, wenn eine Gesellschaft so sehr auf die Arbeitskraft ihrer Eltern angewiesen ist. Auf die von Vätern und Müttern. Eine geregelte und zuverlässige Kinderbetreuung ist das mindeste und dafür muss endlich mehr Geld in die Hand genommen werden.