AboAbonnieren

Wenn alles viel zu viel wirdBin ich schon depressiv oder nur schlecht drauf?

Lesezeit 7 Minuten
Eine Frau liegt im Bett und starrt an die Decke

Depressive Menschen spüren häufig gar nichts mehr.

Köln – Tristes Wetter, wenig Licht: Der Januar schlägt vielen besonders aufs Gemüt. Schon zuvor haben Depressionen durch Krisen wie die Corona-Pandemie nachweislich zugenommen. Auch Nicht-Depressive fühlen sich erschöpft. Die Psychologin Birgit Langebartels glaubt, dass wir schon länger in einer Kultur leben, die Depressionen begünstigt. Und kennt Auswege.

Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Klimakatastrophe – die Weltlage schlägt zurzeit ziemlich auf das Gemüt. Woran merke ich, ob ich nur schlecht drauf bin oder auf dem Weg in eine Depression?

Birgit Langebartels: Für viele bringt die derzeitige Situation in der Tat das seelische Fass zum Überlaufen. Die Menschen hadern, sie haben Ängste, sie wissen nicht, wie es weitergeht, sie sind erschöpft. Bei solchen Gefühlen handelt es sich aber noch nicht im engeren Sinne um eine Depression. Schwierig wird es erst, wenn sich der ganze Alltag nur noch um die negativen Gedanken dreht. Dann sollte man sich Hilfe suchen.

Für Laien erklärt: Worin unterscheidet sich eine Depression denn psychologisch vom Unglücklichsein?

Eine Depression zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Menschen gar nichts mehr spüren. Sie haben keine Angst. Sie können nicht trauern. All diese Gefühle sind einer inneren Leere und extremen Antriebslosigkeit gewichen.

Portraitfoto von Birgit Langebartels

Birgit Langebartels ist Diplom-Psychologin und Autorin. Bei dem Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold leitet sie den Bereich "Kids and Family". 

Was sind typische Warnsignale?

Das ist schwierig zu beantworten, weil der Prozess schleichend ist. Anfangs kommt man vielleicht ein, zwei Tage nicht aus einer schlechten Stimmung heraus. Aber plötzlich hält dieses Gefühl Wochen oder Monate an. Wie eine Abwärtsspirale, die irgendwann auch den Rhythmus zwischen Tag und Nacht aufhebt. Die Menschen sind müde, können aber kaum schlafen und stehen dann morgens wieder völlig gerädert auf. Auch ein Rückzug bietet keine erholsame Auszeit mehr. Im Gegenteil, dann dreht sich das Gedanken-Karussell erst recht.

Enorme Erschöpfung kennen derzeit sicher viele. Aber die Wenigsten können sagen: Ich gehe nicht mehr zur Arbeit. Oder: Ich betreue meine Kinder einfach nicht selbst. Wie soll man so eine Reißleine ziehen?

Dennoch können sich Betroffene ja krankschreiben lassen, wenn sie sich in einer extremen Überlastungssituation befinden. Um sich eine echte Auszeit zu gönnen. Wobei es immer wichtig ist, dass das Rädchen dann nicht an einer anderen Stelle weitergedreht wird. Nehmen Sie das Thema Homeoffice! Viele denken, das sei eine Lösung gegen den ganzen Stress. Dabei werden so Privates und Arbeit häufig auf eine so ungute Art vermischt, dass die Menschen gar keine Grenze mehr ziehen. Weil sie glauben, dass sie Raum und Zeit aushebeln können, indem sie in mehreren Meetings gleichzeitig sitzen und dann noch die Kinder betreuen. Das führt unweigerlich zu einer Überforderung, mit der die einen besser und die anderen schlechter umgehen können. Für Letztere ist es empfehlenswert, lieber ins Büro zu fahren – wenn es eine Betreuung für die Kinder gibt.

Sie sagen, dass wir in einer Kultur leben, die Depressionen begünstigt. Warum?

Weil wir noch bis vor Kurzem in dem Gefühl gelebt haben, dass wir in einer multioptionalen Welt alles schaffen können, wenn wir uns nur genügend anstrengen. Höher, schneller, weiter. Der Ausbruch von Covid-19 hat das aber alles drastisch verändert und durch ein Gefühl der Ohnmacht ersetzt. Das hat uns auch eine gewisse Demut gelehrt: Wir haben gar nicht alles in der Hand und können unser Leben auch nicht komplett beeinflussen.

Woher kam dieses Gefühl, alles erreichen zu können?

Das wurde unter anderem durch die Digitalisierung befeuert. Die hat uns zwar ganz viele Möglichkeiten beschert – stellt aber auch sehr extreme Ansprüche. Trotzdem haben wir Menschen uns vor allem auch durch die Digitalisierung fast allmächtig gefühlt, mit einem Fingerwisch Welten bewegen. Und durch die derzeitigen Krisen müssen wir von diesem Allmachtsgedanken Abschied nehmen und in einen neuen Alltag hineinfinden. Aber genau diese Adaption fordert den Menschen Ungeheuerliches ab.

Im Zuge von Inflation und Energiekrise gilt Verzicht ja als neues Mantra. Finden Sie das gut?

Ja und nein. Ich glaube vor allem, dass Sparen nicht immer etwas mit schmerzvollem Verzicht zu tun haben muss. Das sehen wir auch in unseren Untersuchungen. Da sagen die Menschen: Durch dieses neue „Weniger ist mehr“ kann ich mein Leben endlich entschleunigen und entfrachten. Die Befragten in unseren Studien am Rheingold Institut fühlen sich dadurch beweglicher. Sie erleben sich als smarter und solidarischer, indem sie bewusst auf bestimmte Produkte umsteigen oder verzichten.

Das klingt nach einer privilegierten Perspektive. Meinen Sie nicht, dass Menschen, die vorher schon wenig Geld hatten, sich von solchen Aussagen veräppelt fühlen?

Natürlich! All das gilt nur so lange, wie die Menschen nicht ohnehin schon am Existenzminimum leben. Das wäre ja blanker Hohn, zu so jemandem zu sagen: Hey, Sparen kann echt Spaß machen! Wir bekommen aber trotzdem in den Untersuchungen mit, dass gerade die, die ohnehin schon aufs Geld achten, sich jetzt nochmal mehr engagieren. Und aus dieser Solidarität auch einen Mehrwert für sich schöpfen können.

Der Ukraine-Krieg schloss nahtlos an die Corona-Pandemie an. Was macht das mit uns, wenn Krise an Krise kracht?

Unsere Befragungen zu dem Thema haben ergeben, dass die Art und Weise, wie Menschen derzeit mit Krisen umgehen, sich ständig verändert. Nach Beginn des Krieges zum Beispiel waren viele in einer Schockstarre, wie das Kaninchen im Scheinwerferlicht. Einige Monate später haben genau diese Menschen dann versucht, den Krieg weitestgehend auszublenden, um ihren Alltag normal weiterleben zu können. Dann folgte der Sommer, in dem die meisten eher sorglos waren. Und jetzt befinden wir uns in einem Schwebezustand. Niemand weiß genau, was da alles auf uns zukommen wird. Und gerade dieses Gespenst der Ungewissheit hat ein enormes Angstpotential.

Weiß man aus der Forschung, wie sich dieser diffuse Krisen-Dauerzustand auf Körper und Seele auswirkt?

Dieser Zustand ist natürlich enorm belastend. Für alle, aber besonders für die, die ohnehin fragil sind. Aber wir können zum Glück auch lernen, mit Krisenzeiten umzugehen. Das Training in den letzten drei Jahren war ja hart genug.

Nehmen Sie einen Unterschied wahr, wie Männer und wie Frauen mit einer solchen Belastung umgehen?

Die Dunkelziffer ist bei den Männern, die eine Depression ausbilden, nochmal größer. Sie sprechen auch nochmal weniger darüber, weil sie sich die Schwäche nicht eingestehen dürfen und wollen. Aber Frauen sind natürlich genauso betroffen – und auch sie schweigen oft. Eine positive Entwicklung sehe ich bei jüngeren Menschen, die die seelische Gesundheit wieder stärker in den Fokus rücken.

Sie erklären auch, dass eine Depression eine Chance sein kann. Was meine Sie damit?

Ja. Eine Depression anzunehmen und sich auch mit den eigenen überhöhten Ansprüchen auseinanderzusetzen, kann eine echte Chance sein. Weil man dadurch in eine Veränderung kommt. Ehrlich gesagt gilt das auch für nicht-depressive Menschen, die unter dem Krisengeschehen leiden. Auch die müssen akzeptieren, dass die Zeiten so sind wie sie sind und einen Umgang damit finden. Es ist zudem wichtig erst einmal anzuerkennen, dass man in einer Krise, also einer schwierigen Situation ist. Und dann mit optimistischem Blick darauf zu vertrauen, dass eine Krise immer einen Anfang und ein Ende hat. Zudem die Verantwortung für sich und sein Leben nicht abzugeben, auch im Sinne einer Selbstfürsorge. Und wenn nötig, sich Hilfe zu holen und sich zu fragen: Wo bekomme ich Unterstützung? Was tut mir gut? Wie kann ich Netzwerke nutzen, um aus meiner Lage herauszukommen? Das alles sind wichtige Aspekte der Resilienz.

Das ist für gesunde Menschen häufig schon schwer genug. Wie sollen Depressive das schaffen?

Natürlich ist es für die Betroffenen mitunter sehr schwierig, wenn Außenstehende so lapidar sagen: Jetzt mach doch einfach mal! Aber zugleich ist ein aktiv gelebter Alltag der Königsweg heraus aus der Erkrankung. Das ist etwas, was die Menschen in dieser Lage selbst leisten müssen. Das ist schwer, aber es lohnt sich zu fragen: Wie sehr ist mein Alltag eingeschränkt, wie sehr ziehe ich mich zurück? Gibt es noch etwas, was mich fröhlich stimmt? Wie komme ich aus dem Bett? Gehe ich auf die Arbeit? Und vor allem: An welchen Idealen und Ansprüchen halte ich fest, die womöglich in meinem Alltag gar nicht mehr tragbar sind? Alte Muster zu überdenken und loszulassen, ist ganz entscheidend. Um dann durch neue Prioritäten wieder zurück in einen aktiven Alltag zu finden.

Ein erster Schritt ist auch, einen Therapeuten zu finden. Das ist derzeit allerdings mehr als schwierig. Ist da nicht auch die Politik gefragt, die eine seelische Grundversorgung für alle schaffen muss?

Auf jeden Fall! Das ist ein großes Manko und daran muss sich dringend etwas ändern.