Angesichts des 60-Milliarden-Euro-Lochs zieht das Finanzministerium die Notbremse. Was ist jetzt mit den Energiepreisbremsen? Kann der Etat 2024 beschlossen werden? Und ist im Haushalt 2023 alles mit rechten Dingen gelaufen?
Fragen und AntwortenWas man jetzt zum Haushaltsurteil wissen muss
Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil stehen alle Nebenhaushalte des Bundes auf dem Prüfstand. Das Finanzministerium hat deshalb im Etat des laufenden Jahres vorsorglich Finanzzusagen für die Zukunft gesperrt. Denn man kann sich gerade nicht sicher sein, welche Gelder in den kommenden Jahren überhaupt noch fließen können.
Mit der neusten Sperre dürfen die für 2023 geplanten Mittel zwar weiter ausgegeben werden. Doch die Ministerien dürfen keine Versprechen für 2024, 2025 und 2026 mehr machen. Die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen wurden für den Fall vorsorglich gesperrt, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch auf ältere Rücklagen in anderen Sondervermögen anzuwenden ist.
Ob das so ist, sollen jetzt Verfassungsjuristen klären. Im Haushaltsausschuss gibt es am Dienstag eine Anhörung von Sachverständigen. Sollten sie zu dem Schluss kommen, dass auch ältere Rücklagen betroffen sind, hätte die Bundesregierung ein noch viel größeres Problem als bisher angenommen. Denn es fehlten dann nicht nur 60 Milliarden Euro für Klimaprojekte und die Modernisierung der Wirtschaft. Man hätte dann auch Milliarden an Euro bereits ausgegeben, die man gar nicht hätte haben dürfen.
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Das Bundesverfassungsgericht hatte die Umschichtung von Corona-Krediten in den Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt. Das begründeten die Richter unter anderem damit, dass der Bund die Ausnahmeregel der Schuldenbremse nicht ausnutzen dürfe, um Kredite auf Vorrat anzuhäufen.
Nun ist unter anderem offen, ob der Etat für das kommende Jahr unter diesen Umständen in den nächsten Tagen überhaupt beschlossen werden kann. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht auch Kredite für die Energiepreisbremsen wackeln - und warnt vor Kosten für die Bürger.
Welche Sondervermögen hat der Bund überhaupt?
Einer Aufstellung des Bundesrechnungshofs zufolge unterhält der Bund aktuell 29 Sondervermögen. Diese Nebenhaushalte sind keine Erfindung der Ampel-Regierung: Das älteste stammt aus dem Jahr 1951 und förderte den Bau von Wohnungen für Bergarbeiter. Es gibt zum Beispiel auch Fonds zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben, einen Binnenschifffahrtsfonds, ein Sondervermögen zum Ausbau von Kita-Plätzen und eins für digitale Infrastruktur.
Die neuesten Sondervermögen sind Wirtschaftshilfen wegen der Corona-Krise, Aufbauhilfen für Flutopfer, der 100 Milliarden Euro schwere Sondertopf für die Bundeswehr und der Topf für die Energiepreisbremsen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Könnten alle vom Karlsruher Urteil betroffen sein?
Nein - und das aus mehreren Gründen. Zum einen äußerte sich das Bundesverfassungsgericht nur zu schuldenfinanzierten Sondervermögen. Es gibt aber auch Töpfe, die sich durch eigene Einnahmen finanzieren. Ein Beispiel ist das sogenannte ERP-Sondervermögen, das ursprünglich mit Mitteln aus dem Marshall-Plan ausgestattet wurde. Laut Rechnungshof ist aber der überwiegende Teil der Sondervermögen kreditfinanziert - Ende 2022 gab es demnach noch ein Verschuldungspotenzial von rund 522 Milliarden Euro.
Ausgenommen vom Haushaltsurteil dürften im Grunde auch solche Sondervermögen sein, die vor Einführung der Schuldenbremse entstanden. Denn Artikel 143d des Grundgesetzes regelt, dass nur Kreditermächtigungen für die Schuldenbremse angerechnet werden, die nach 2010 bewilligt wurden.
Was ist mit dem Geld für die Bundeswehr?
Auch das ist nach bisheriger Auffassung in der Ampel-Koalition nicht betroffen. Grund ist, dass der Bundestag den mit Krediten in Höhe von 100 Milliarden Euro gefüllten Topf separat im Grundgesetz verankerte. Mit Zustimmung der Union wurde in der Verfassung nicht nur festgeschrieben, wofür das Geld genutzt werden darf, sondern auch, dass die Schuldenbremse hier nicht greift. Darauf hatte besonders die FDP bestanden, um die Mittel extra gut abzusichern.
Was passiert, wenn der Fonds für die Energiepreisbremsen betroffen ist?
Ähnlich wie der vom Bundesverfassungsgericht kritisierte Klima- und Transformationsfonds wurde der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) quasi mit Krediten auf Vorrat ausgestattet. Der Bund bewilligte im Jahr 2022 Kredite in Höhe von 200 Milliarden Euro, um die hohen Strom-, Gas- und Fernwärmepreise abzufedern. Das konnte er, weil die Schuldenbremse durch die Notlage Corona und Ukraine-Krieg in diesem Jahr ausgesetzt war. Das Geld sollte aber nicht nur 2022, sondern auch 2023 und 2024 genutzt werden. Daher fürchtet Wirtschaftsminister Habeck, dass auch der WSF wackelt.
Das könnte noch viel problematischer sein als die Klima-Milliarden, denn allein in diesem Jahr wurden nach Angaben aus dem Wirtschaftsministerium 67 Milliarden Euro an WSF-Krediten ausgezahlt. Rund 103 Milliarden hätten nach den Plänen des Finanzministeriums ins kommende Jahr übertragen werden sollen.
Müssen die Kunden die Hilfen dann zurückzahlen?
Dass in diesem Jahr gewährte Hilfen zurückgezahlt werden müssen, ist unwahrscheinlich. Denn Bundesregierung und Bundestag haben die Energiepreisbremsen beschlossen - wie sie sie finanzieren, ist ihr Problem. Es ist aber denkbar, dass die Bundesregierung die Strom- und Gaspreisbremsen nun vorzeitig streicht. Eigentlich sollten sie nämlich zur Absicherung auch im Frühjahr 2024 noch gelten, obwohl die Preise aktuell nicht so hoch sind. Sollten die Energiepreise nun im Winter erneut anziehen, könnten sie nicht mehr staatlich gebremst werden. „Dann werden wir höhere Gas- und Strompreise und Fernwärmepreise haben“, warnte Habeck.
Wird es in der Anhörung am Dienstag eine eindeutige Antwort geben?
Die Stellungnahmen der Experten wurden am Montag bereits veröffentlicht. Die meisten von ihnen halten Auswirkungen auf das Sondervermögen für die Energiepreisbremsen für denkbar - doch sie äußern sich nicht eindeutig zu den Konsequenzen.
Umstritten ist unter den Experten, was mit dem Haushalt für 2024 passieren soll. Wirtschaftswissenschaftler Jens Südekum sieht den Kernhaushalt nicht betroffen. Er rät: Der Bundestag soll den Etat normal beschließen, auch weil bis Jahresende gar nicht alle offenen Fragen zum Urteil geklärt werden können. Im kommenden Jahr könne es dann einen Nachtragshaushalt geben.
Steuerrechtler Hanno Kube von der Universität Heidelberg dagegen rät scharf davon ab. „Der vorliegende Entwurf des Haushaltsgesetzes 2024 könnte verfassungswidrig sein“, warnt er. Der Bundesrechnungshof hält nicht nur den kommenden, sondern auch den Haushalt dieses Jahres wegen der schon ausgegebenen Energiepreisbremsen-Mittel „in verfassungsrechtlicher Hinsicht für äußerst problematisch“.
Gilt das Urteil nur für die Sondervermögen im Bund?
In der Bundesregierung geht man davon aus, dass das Urteil auch auf die Haushalte der Länder anzuwenden ist. Auch in einigen Bundesländern gibt es schuldenfinanzierte Sondervermögen, die mit ähnlichen Mechanismen funktionieren wie im Bund. Sicher sind die Folgen jedoch auch hier noch nicht. (dpa)