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Ukraine-KriseWelche Rolle spielen Russland und die Nato in dem Konflikt?

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Jens Stoltenberg (r), Nato-Generalsekretär, und Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, nehmen an einer Pressekonferenz im Nato-Hauptquartier teil.

Köln – Kommt es zum Militärschlag Russlands gegen die Ukraine? Droht ein neuer Krieg in Europa? Die Sorge davor wächst. Russland setzt seine Truppenbewegungen in Richtung der Ukraine offenbar unverändert fort. „Wir sehen, dass sie nach und nach immer mehr Streitkräfte – Artillerie, Kampftruppen, Kampfpanzer – in die Nähe der ukrainischen Grenze bringen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg unlängst. Russlands Präsident Wladimir Putin konterte: „Im Fall einer Fortsetzung der ziemlich aggressiven Linie unserer westlichen Kollegen werden wir mit adäquaten militärisch-technischen Maßnahmen antworten, werden auf die unfreundlichen Schritte hart reagieren.“ Wie konnte es so weit kommen? Ein Überblick.

Was ist der Auslöser des Streits zwischen den beiden Staaten?

Im Kern des Konflikts zwischen Russland und der seit Dezember 1991 unabhängigen Ukraine geht es um die zentrale Frage, in welche Richtung sich das Land für die Zukunft orientiert – Richtung Westen und Europäischer Union oder doch eher in Richtung einer engeren Anbindung an den großen Nachbarn im Osten?

Im November 2013 gipfelte der politische Grundsatzstreit in der Weigerung des damaligen prorussischen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Janukowitsch hatte sich bei Wahlen zuvor gegen die proeuropäische Politikerin Julia Timoschenko durchgesetzt. Die Vereinbarung mit der EU hätte das Land über umfassende Freihandelsvereinbarungen enger an die Union gebunden; zudem hätte sich die Ukraine der europäischen Sicherheits- und Steuerpolitik angenähert.

Der Führung in Moskau war das Abkommen ein Dorn im Auge. In der Folge kam es in der Ukraine zu heftigen Protesten, die schließlich in massive gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften sowie prowestlichen und prorussischen Demonstranten mündete. Bei den Ausschreitungen auf dem Maidan, dem zentralen Platz in der Hauptstadt Kiew, starben mehr als 100 Menschen. Präsident Janukowitsch, der vom Parlament abgesetzt wurde, floh nach Russland.

Was ist in der Ostukraine los?

Das Machtvakuum in der Ukraine nutzte der Kreml 2014 aus, um seinen Einfluss in Teilen des Landes auszuweiten. Im Osten der Ukraine kam es zu Unruhen, die offensichtlich aus Moskau mitgesteuert wurden. In der Industrieregion Donbass riefen russlandtreue Separatisten die Volksrepubliken Donezk und Lugansk aus, die aber weder von der ukrainischen Regierung noch international anerkannt wurden.

Im Minsker Abkommen von 2015 versprachen die Konfliktparteien, ihre schweren Waffen zurückzuziehen und einen Waffenstillstand auszurufen. Russland musste zusagen, die Kämpfer der Separatisten in der Ostukraine nicht weiter zu unterstützen. Die Ukraine verpflichtete sich, den Regionen im Osten des Landes mehr politische Rechte zu gewähren. Nur wenig von dem wurde wirklich umgesetzt. Nahezu täglich kommt es bis heute zu von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dokumentierten Waffenstillstandsverletzungen. Laut den ukrainischen Streitkräften operieren knapp 30000 russische Söldner und Kämpfer der kremlnahen Militär- und Sicherheitsfirma Wagner im Donbass. Bislang sind den jahrelangen Kämpfen nach Angaben der Vereinten Nationen rund 13000 Menschen zum Opfer gefallen, darunter etwa 3000 Zivilisten. Mehrere Tausend wurden verletzt. Viele Menschen habe ihre Dörfer verlassen.

Welche Rolle spielt das Tauziehen um die Krim?

Weite Teile der Bevölkerung auf der Krim-Halbinsel im Schwarzen Meer waren in der Vergangenheit prorussisch eingestellt. Das nutzte Moskau Anfang 2014 entsprechend aus: Mithilfe russischer Soldaten, die jedoch ohne Hoheitszeichen operierten, gelang es dem Kreml, die Krim zunehmend von der Ukraine loszueisen. Kasernen der ukrainischen Streitkräfte wurden blockiert, strategisch wichtige Orte wie der Flughafen wurden besetzt und lokale Politiker unter Druck gesetzt.

Anfang März beschloss das neu eingesetzte Regionalparlament den Anschluss der Krim an die Russische Föderation. In einem Referendum entschied sich die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit dafür, zu Russland gehören zu wollen. Die ukrainische Regierung , die EU und die USA erkennen das Ergebnis bis heute nicht an; sie halten das Referendum für illegal.

Tatsächlich erlaubt die Verfassung der Ukraine keine Abstimmungen über die Veränderung der Grenzen des Landes. Für den Westen ist das russische Vorgehen völkerrechtswidrig. Eine Rückgabe der Krim erscheint aber zunehmend unwahrscheinlich, Russland investiert dort massiv und hat die Halbinsel inzwischen über eine 19 Kilometer lange Brücke direkt mit Russland verbunden. Auch Gas und Strom bezieht die Bevölkerung mittlerweile aus Russland.

Seit der Annexion der Krim ist Russland vom Format der acht mächtigen Industrienationen G8 ausgeschlossen und mit zahlreichen internationalen Sanktionen belegt.

Warum ist die Krim für Moskau so wichtig?

Die Halbinsel im Schwarzen Meer hat für Russland vor allem zwei Bedeutungen: eine symbolische und eine militärische. Im Jahr 1954 hat Russlands damaliger Präsident Nikita Chruschtschow die Krim an die Sozialistische Sowjetrepublik Ukraine übertragen. Das gilt dem heutigen Staatschef Putin als historischer Fehler. Das militärische Interesse hat geografische und strategische Gründe. In der Vergangenheit war vertraglich geregelt, dass Russland seine Schwarzmeerflotte auf der Krim stationieren darf. Mit einer proeuropäischen Ausrichtung der Ukraine wäre die Zukunft dieser Abmachung ungewiss. Mit einer Krim in russischer Hand kann Moskau die Annäherung der Ukraine an die Nato behindern.

Unterstützen Deutschland und die USA die Ukraine militärisch?

Aus Angst vor einer Eskalation des Konflikts in der Ostukraine hat der Westen lange gezögert, Waffen an Kiew zu verkaufen. Schließlich gelang es der ukrainischen Regierung aber, einige Verteidigungssysteme zu erwerben, darunter Vorrichtungen für US-Panzerabwehrraketen und türkische Drohnen. Offiziell haben die USA das ukrainische Militär bisher mit Militärhilfe im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar gestützt.

Die Ukraine hat Deutschland jüngst dafür kritisiert, Lieferungen von Waffensystemen zur Verteidigung im Rahmen der Nato-Zusammenarbeit blockiert zu haben. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verwies hingegen auf „das Gebot der Deeskalation“ und betonte zugleich die Solidarität mit der Ukraine. Seitens der EU gibt es Überlegungen, eine robuste militärische Ausbildungsmission für die Ukraine auf den Weg zu bringen.

Was verlangt Russland vom Westen?

Moskau bestreitet die Vorbereitung einer Invasion und wirft der Regierung in Kiew und der Nato Provokationen vor. Von dem Westbündnis forderte Putin zuletzt eine schriftliche Erklärung zu Sicherheitsgarantien sowie einen Verzicht auf eine Osterweiterung. Ein entsprechendes von Moskau vorgeschlagenes Abkommen soll die Spannungen abbauen.

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In Washington reagierte man eher ablehnend. Man könne keinem Land vorschreiben, welchem Bündnis es beitreten wolle. Tatsächlich hat die Ukraine einen Nato-Beitritt als Ziel in der Verfassung verankert. In Moskau sorgt seit Langem für Unverständnis, dass der Westen einerseits Bewegungen russischer Truppen auf ihrem eigenen Staatsgebiet kritisiert, andererseits aber Sicherheitsbedenken des Kremls wegen Militärmanövern, Waffensystemen und Soldaten von Nato-Staaten in Osteuropa nicht berücksichtigt. Das russische Verteidigungsministerium hat eine massive Zunahme von Manövern, eine Vielzahl von westlichen Schiffen im Schwarzen Meer sowie Zwischenfälle im Luftraum beklagt.

Wie will der Westen einen neuen Krieg in Europa verhindern?

Angesichts des jüngsten Aufmarsches russischer Truppen und schwerer Waffen an der Grenze zur Ukraine drohen die USA und die EU mit „schwerwiegenden Konsequenzen“, ohne diese jedoch näher zu umreißen. Denkbar wären weitere Wirtschaftssanktionen bis hin zum Ausschluss Russlands aus dem globalen Zahlungssystem Swift; damit wäre die russische Wirtschaft weitgehend vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten. Während das im Westen als „nukleare Option“ gilt, geben sich russische Banker gelassen; man werde auch ohne Swift klarkommen. Deutschland könnte zudem die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2 untersagen.