Es geht um den größten Steuerraub in der bundesdeutschen Geschichte. Doch die Ermittler könnten im Kampf gegen die Betrüger unterliegen. Was steckt dahinter?
Staatsanwaltschaft KölnKommen Cum-Ex-Betrüger mit Deals davon?
Der frühere NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) könnte sich zurücklehnen und seinen Ruhestand genießen. Stattdessen ist er ein unruhiger Mahner. Er warnt davor, dass der größte Steuerraub in der bundesdeutschen Geschichte für viele der Täter mit komfortablen „Deals“ enden könne. Biesenbach setzt bei diesem Thema sogar seinen Nachfolger Benjamin Limbach (Grüne) unter Druck. Das ist ungewöhnlich. Ex-Minister fahren ihren Nachfolgern selten in die Parade.
Cum-Ex lässt dem Juristen aus Hückeswagen aber keine Ruhe. Biesenbach hatte einst die für diese Ermittlungen hauptsächlich zuständige Staatsanwaltschaft Köln personell aufgerüstet, von drei auf 36 Stellen. Seit einiger Zeit sieht er die Gefahr, dass die Ermittlungen ins Stocken geraten und die Behörde im Kampf gegen die mächtigen Steuerbetrüger unterliegen könnte. Er stellte im Frühjahr sogar eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den damaligen Leiter der Staatsanwaltschaft.
Seine Motivation beschreibt der 75-Jährige so: „Der kleine, private Steuerzahler hat keine Chance, wenn auffällt, dass er eine fehlerhafte Steuererklärung abgegeben hat. Dann holt der Staat gleich die große Keule heraus. Bei Cum-Ex drohen Verfahrenseinstellungen, obwohl hier im großen Stil und mit massiver krimineller Energie systematisch Milliarden Euro hinterzogen wurden“, sagt Biesenbach. Es dürfe nicht nach dem Motto zugehen: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. „Ich möchte verhindern, dass diese Verfahren irgendwann eingestellt werden. Hier geht es um die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats.“
Alles zum Thema Deutscher Bundestag
- Ex-Bundesminister auf Lesetour Was Jürgen Trittin (Grüne) mit Blick auf die ZUE in Frechen rät
- Rundschau-Debatte des Tages Ist die Krankenhausreform noch zu retten?
- Historische Tradition Neuwahl kollidiert mit jahrhundertealtem Karneval in Damme
- Bundestagswahl FDP nominiert Markus Herbrand für Wahlkreis Euskirchen-Rhein-Erftkreis II
- „Als würde er ihn auslachen“ Europa schimpft, Moskau feixt – Kanzler nach Putins „wahrer Antwort“ im Kreuzfeuer
- Ukraine-Krieg Hat sich Scholz von Putin einschüchtern lassen?
- Bundesparteitag Brantner und Banaszak sind die neue Grünen-Chefs
Es knirscht seit einiger Zeit in der Kölner Behörde. 34 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind hier aktuell mit Cum-Ex-Verfahren beschäftigt, darunter eine besonders Erfahrene: Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die Leiterin der Hauptabteilung H.
Es soll interne Machtkämpfe geben, die auf die Staatsanwältin zielen
Laut WDR und „Manager Magazin“ soll es interne Machtkämpfe geben, die auf Brorhilker persönlich zielen. Kein Gerücht ist, dass die Staatsanwaltschaft monatelang nicht auf Aufforderungen des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses in Hamburg, wichtige Dokumente herauszugeben, reagieren konnte oder wollte. Erst als die Hamburger mit Klage vorm Bundesverfassungsgericht drohten und NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) massiv angingen, wurden die Dokumente gegen heftigsten Widerstand in der Staatsanwaltschaft vom Ministerium eingefordert.
Im Justizausschuss des Landtags berichtete Limbach von ernsten Konflikten: „Es war gegenüber dem U-Ausschuss nicht darstellbar, dass die größte Staatsanwaltschaft des Landes nach Monaten nicht wenigstens zu einer Teillieferung von Unterlagen oder auch zu einer nachvollziehbaren Erklärung für das Ausbleiben der Lieferung in der Lage war.“
Man muss wohl dankbar dafür sein, dass in Köln überhaupt Spezialisten in diese komplizierte Ermittlungsarbeit eintauchen. Der frühere finanzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick, sagt sogar, die Kölner leisteten „heroische“ Arbeit. „Die Staatsanwaltschaft Hamburg ist bei Cum-Ex ein Totalausfall. Die wollte nicht ermitteln. Bisher kam auch in Stuttgart und in München keine Anklage zustande. Die Konzentration auf Köln ist der Tatsache geschuldet, dass andere Staatsanwaltschaften ihre Arbeit nicht gemacht haben“, sagt Schick. Er leitet den Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“, eine Kampagnenorganisation, die sich als Gegengewicht zur Finanzlobby versteht und in der sich auch Peter Biesenbach und der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) engagieren.
Unbekannt ist, wie intensiv sich die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Köln um die Cum-Ex-Ermittlungen kümmern können. Peter Biesenbach befürchtet Schlimmes. „Cum-Ex-Ermittlungen macht man nicht mal eben nebenbei. Das ist ein Fulltime-Job. Das schafft man nicht mit Berufsanfängern und Teilzeitkräften. Man braucht dazu erfahrene Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die nicht das Gefühl haben dürfen, beruflich auf einem Abstellgleis zu sein. Bedauerlicherweise gibt es keine Anreize für Staatsanwälte, sich um Cum-Ex-Ermittlungen zu kümmern.“ Bei den Ermittlungen zu den „Panama Papers“ sei dies anders gewesen. „Nach den mir zugetragenen Informationen wurden dort alle Staatsanwälte befördert“, so Biesenbach.
Norbert Walter-Borjans, der als Finanzminister einst mit dem Ankauf von Steuer-CDs Schlagzeilen machte, beschreibt das Cum-Ex-Problem so: „Stellen wir uns das Steuersäckel als prall gefüllten Sack mit kleineren und großen Löchern vor. Jedes davon ist eines zu viel. Aber auf die kleinen sichtbaren Schlupflöcher gucken im Zweifel fünf Finanzbeamte. Auf der Rückseite des Sacks ist aber ein riesiges Loch, aus dem das Geld in Strömen fließt, und es fehlen die Mittel, um dagegen wirkungsvoll vorzugehen.“ Das sei wie die Rückseite des Mondes, die von der Erde aus keiner sehen könne.
Ein Freifahrtschein für die Finanzkriminalität der Zukunft
„Finanzwende“-Chef Schick befürchtet faule Kompromisse. Es gebe „Kräfte“, die auch bei Cum Ex so vorgehen wollten, wie es früher in Fällen von Wirtschaftskriminalität üblich gewesen sei: „Man macht einen Deal, zahlt ein bisschen Geld, und dann wird das Verfahren eingestellt. Sollte es bei Cum-Ex auch so kommen, wäre das ein Freifahrtschein für Finanzkriminalität der Zukunft.“
Schick meint, die Staatsanwaltschaft Köln benötige erstens mehr Personal für Cum Ex, zweitens die komplette Freistellung dieser Ermittler von anderen Aufgaben und drittens die volle politische Unterstützung. Im Grunde fehle aber in Deutschland für solche komplexen Steuerdelikte eine Bundesbehörde, vergleichbar mit dem Bundeskriminalamt, die solche Ermittlungen an sich ziehen könne.