Köln – Militär- und Sicherheitsexperten zeigen sich in ihren ersten Reaktionen auf die Teilmobilisierung, die der russische Präsident am Mittwochmorgen verkündet hat, nur wenig beeindruckt. „Tagesbefehl muss lauten: Nicht abschrecken lassen, weiter machen“, schrieb der Kölner Politikwissenschaftler Carlo Masala auf Twitter. Seines Erachtens sei der Schritt des Kremls ein „Eingeständnis, dass in der Ukraine aus russischer Sicht ein ziemliches Desaster droht“, erklärte Masala in einem weiteren Tweet.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Thomas Jäger. „Putin macht das, was er von Beginn des Krieges an tat, er schürt Angst“, sagte der Politikwissenschaftler von der Universität Köln gegenüber „n-tv“. Mit Blick auf Putins Begründungen für die weitere Eskalation erklärte Jäger, der russische Präsident baue ein „Lügengebilde“ auf. Putin sei innenpolitisch in einer schwierigen Lage. „Die ganzen Monate über wurde gesagt, das geht alles nach Plan. Und erst als nicht mehr zu verhehlen war, dass nichts nach Plan lief, kommt es jetzt zu dieser Eskalation.“
Reaktionen auf Putin: „Nicht abschrecken lassen, weiter machen“
Dass Putin sich für eine Teil- und nicht für eine Generalmobilmachung entschied und das mit der Behauptung, der Westen wolle Russland „schwächen, auseinanderdividieren und zerstören“ begründete, ließ unterdessen auch Strategieforscher Philipps O’Brien von der schottischen Universität St. Andrews vermuten, dass der russische Staatschef „Angst vor der Reaktion der russischen Öffentlichkeit“ habe. Schließlich wäre die Entscheidung, sich zu verteidigen, in einer „freien Gesellschaft“ einfach, wenn sie den von Putin an die Wand gemalten Bedrohungen ausgesetzt wäre.
„Der Krieg wird jetzt auf russischer Seite zunehmend von Leuten geführt, die nicht dort sein wollen“
Den Blick auf die konkreten Folgen von Putins Entscheidung richteten derweil die Kriegsforscher Lawrence Freedman und Rob Lee. „Ich vermute, dass die angekündigte Mobilisierung die Probleme der russischen Streitkräfte an der Front eher verschlimmern als lösen wird“, schrieb Freedman in einer ersten Einordnung der Vorgänge. Es gehe dem Kreml mit seinem Schritt nach wie vor um „Abschreckung“.
„Kurzfristig könnten diese Schritte ausreichen, um einen Zusammenbruch der russischen Streitkräfte zu verhindern“, erklärte unterdessen Lee. „Andernfalls hätte Russlands Personalmangel in diesem Winter katastrophale Ausmaße annehmen können.“ In seinen Augen sei die Folge von Putins Entscheidung, dass der „Unterschied in Moral, Zusammenhalt und anderen kritischen Faktoren“ zwischen ukrainischen und russischen Kräften noch mehr zugunsten der Ukrainer verstärkt werde.
„Der Krieg wird jetzt auf russischer Seite zunehmend von Leuten geführt, die nicht dort sein wollen.“ Auch Lee sieht in Moskaus Eskalationsstrategie derweil das „Eingeständnis, dass Russlands Krieg gescheitert ist und eine Veränderung herbeigeführt werden musste.“
Auch Olaf Scholz sieht Grund für Eskalation in militärischem Scheitern Russlands
„Jetzt wird die Abstimmung in den Nato-Staaten eng geführt werden müssen, wie man darauf reagiert“, erklärte unterdessen Jäger mit Blick auf die möglichen Folgen der russischen Entscheidung. In ersten Stellungnahmen haben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und weitere westliche Staatenlenker Putins Schritt zunächst einhellig verurteilt.
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Auch beim angenommen Grund für den Schritt stimmte der Kanzler mit den Militärexperten überein. „Das alles kann man sich nur erklären vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der russische Angriff auf die Ukraine nicht erfolgreich verlaufen ist“, sagte Scholz. (das)