Bei Wind und Regen setzt die Polizei die Räumung des besetzten Dorfs fort. Am zweiten Tag drang die Polizei in Häuser und Höfe ein. Die meisten Aktivisten ließen sich gewaltlos von den Einsatzkräften abführen.
Aktivisten im TunnelSo lief Tag 2 der Räumung in Lützerath
Eckhardt Heukamps Haus ist jetzt leer. Nach und nach bringt die Polizei die Aktivisten heraus, die den Hof des „letzten Bauern von Lützerath“, noch besetzt hatten. Sie kämpfen zum Teil mit den Tränen. Auf der Straße weht ihnen Regen ins Gesicht, der an diesem Tag von einem scharfen Wind über Lützerath geblasen wird und den Ort an mancher Stelle geradezu im Schlamm versinken lässt. Noch hängt das große Transparent mit der Aufschrift „1,5°C heißt: Lützerath bleibt!“ an der braunroten Ziegelsteinwand. Aber aus Sicht der Aktivisten ist jetzt auch das wichtigste Gebäude des Ortes in der Hand der Polizei – und damit von RWE.
Einen Tag nach dem Beginn der Räumung hat die Polizei weitere Gebäude gesichert – darunter auch den sogenannten Paulahof, eine Anlaufstelle, ein sogenannter „Safe Space“, ein sicherer Ort, für queere Menschen.
Auch in der Nacht zu Donnerstag wurde geräumt, berichten die Aktivisten auf Telegram. Allerdings nicht ohne Widerstand: So musste die Polizei mehrere Menschen aus sogenannten Lock-Ons befreien. Als Lock-On werden Aktionen bezeichnet, bei denen sich Aktivisten festkleben oder anketten. Das habe die Räumung um einige Stunden verzögert. So soll sich etwa eine Person im Rollstuhl vor Ort festgekettet haben. Eine Frau musste aus einem Auto befreit werden – sie hatte ihre Arme im durch Löcher im Fußboden einbetoniert. Zwei andere steckten mit ihren Armen in Fässern. Eine Polizeisprecherin spricht von mehreren Menschen, die sich aneinandergekettet hatten. Wegen des starken Regens und Winds wollten die ihren Protest eigentlich aufgeben. Doch sie konnten ihre Fesseln nicht selber lösen und mussten die Polizei um Hilfe bitten.
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Weitere Aktionen im Umland von Lützerath
Für den Donnerstag waren auch Aktionen aus dem Umland angekündigt. Eine Demonstration zog vom Ort Keyenberg in Richtung Lützerath. Dabei wichen die Protestierenden von der Route ab und blockierten die Zufahrtsstraße nach Lützerath. Unter den Demonstrierenden, die die Polizei daraufhin festsetzte, war auch Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer. Die äußerte sich in einem Interview mit dem Fernsehsender Phoenix kritisch über die nächtliche Räumung. „Das ist hochgradig gefährlich, provoziert Müdigkeit und Schlafentzug, der ebenso wie Dunkelheit zu Verletzungen führt.“ Dass die Polizei einen von RWE gestellten Bus nutze, um Gefangene abzutransportieren, sei ebenfalls fragwürdig. „Das wirft ganz große Fragen auf zur Verstrickung von Polizei und RWE.“ Weiterhin sei es zu massiven Einschränkungen für die Presse gekommen.
Wie viele Aktivistinnen und Aktivisten nach dem ersten Tag der Räumung noch auf dem Gelände sind, konnten vor Ort weder die Polizei noch die Aktivisten genau einordnen. Zora Fotidou, Pressesprecherin von „Lützerath lebt“ möchte am Telefon auch nur mutmaßen: „Als die Räumung begann, waren wir ungefähr 400. Jetzt dürften es zwischen 250 und 300 sein, aber das kann nicht genau sagen.“ Derweil gehe die Räumung mit „bedenklicher Geschwindigkeit“ weiter. „Das ist vor allem bei den Baumhäusern gefährlich, weil die einstürzen können.“ Vanessa Arlt, Sprecherin der Polizei Münster, spricht ebenfalls von einer zügigen Räumung: „Wir kommen gut voran. Die vorderen Höfe sind bereits frei, im hinteren Bereich sitzen noch einige auf den Dächern.Die Hausbesetzer hätten durchaus mit Pyrotechnik geworfen, es seien jedoch weder Aktivisten noch Einsatzkräfte verletzt worden. Viele der Demonstranten ließen sich friedlich abführen. Die Polizisten begleiteten sie zu einem Zelt am Dorfrand, wo ihre Personalien aufgenommen wurden.
Aktivisten verschanzen sich in einem selbst gebauten Tunnel
Womöglich kommen nun auf einige der Aktivisten Strafanzeigen zu, sagte eine Polizeisprecherin. Der nächste Schritt sei nun, die letzten Demonstranten aus den Baumhäusern und von den Dächern zu holen. Dazu nutzt die Polizei unter anderem Hebebühnen und fällte Bäume. Die Wasserwerfer, kamen der Sprecherin zufolge aber noch nicht zum Einsatz.
Auf die Zerstörung der Baumhäuser und Hütten reagierten die Aktivisten abgeklärt: „Es ist schade, dass wir uns – so wie es aktuell aussieht – nicht durchsetzen konnten. Aber in unseren Augen haben wir trotzdem etwas gewonnen, allein durch die Aufmerksamkeit, die wir auf diese Ungerechtigkeit gelenkt haben.“ Alle angesprochenen Aktivisten waren sich an dem Tag sicher: „Wir bleiben bis zum Schluss.“
Dass sie diese Aussage durchaus ernst meinen, bestätigte am Nachmittag eine Ankündigung auf dem Telegram-Kanal der Aktivsten . Im Lützerather Wäldchen seien Menschen in einem unterirdischen Tunnel. Wenn die Polizei mit schweren Maschinen darüber fahre, bestehe Lebensgefahr. In einem Video aus dem Tunnel schildern die Aktivisten ihre Taktik. Sie sind in dem Tunnel selbst noch in einem Rohr angekettet, das in einer tragenden Wand befestigt ist. „Wenn sie (die Polizei) dieses Lock-On öffnen wollen, müssen sie erst die ganze Decke der Kammer stützen, weil die sonst einsturzgefährdet ist.“ Die Polizei bestätigt das kurz darauf auf ihren Twitter-Kanal. „Wir haben Kenntnis von einer angeblichen Tunnelanlage unter dem Gelände in Lützerath. Die Richtigkeit dieser Informationen wird derzeit von uns geprüft.“
Wie lange die Räumung von Lützerath noch dauert, ist unklar. Von einem kurzfristigen Ende des Einsatzes ging die Polizei am Donnerstagnachmittag aber nicht aus. „Wir wissen nicht, wann der Einsatz zu Ende ist“, sagte ein Polizeisprecher. (mit dpa)