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Scheinreferenden beendetAnnexion besetzter Gebiete in Ukraine steht bevor

Lesezeit 4 Minuten

Stimmabgabe unter bewaffneter Beobachtung: Szene aus einem Wahllokal in der ostukrainischen Region Luhansk.

Moskau – Die Scheinreferenden in mehreren ukrainischen Gebieten über einen Anschluss an Russland sind beendet. Die russischen Besatzer präsentierten am Dienstag erste Ergebnisse der völkerrechtswidrigen Abstimmungen. Nach Auszählungen in Wahllokalen in Russland hätten jeweils mehr als 97 Prozent der aus Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja stammenden Wähler für einen Beitritt ihrer Heimatregionen zu Russland gestimmt, hieß es. Zur Stimmabgabe aufgerufen waren seit Freitag auch ukrainische Flüchtlinge in Russland.

Auch aus den besetzten Gebieten selbst wurden in Moskau hohe Zustimmungswerte gemeldet: In Cherson hätten sich ersten Angaben zufolge mehr als 87 Prozent der Wähler für einen Beitritt zu Russland ausgesprochen, in Saporischschja mehr als 92 Prozent. Damit dürfte in den kommenden Tagen eine Annexionswelle in der Ost- und Südukraine beginnen.

Bewohner zum Urnengang gezwungen

Die Scheinreferenden werden weltweit nicht anerkannt, weil sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze und ohne demokratische Mindeststandards abgehalten wurden. Beobachter hatten auf zahlreiche Fälle hingewiesen, in denen die Bewohner der besetzten Gebiete zum Urnengang gezwungen wurden.

„Sozialtourismus“-Vorwurf von Merz: NRW-Ministerin verteidigt Ukrainer

NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) hat Kritik von CDU-Chef Friedrich Merz (Foto) an einem angeblichen „Sozialtourismus“ von Menschen aus der Ukraine nach Deutschland scharf zurückgewiesen. „Auch wenn Herr Merz sich mittlerweile für seine Wortwahl entschuldigt hat, so bleibt doch ein bitterer Nachgeschmack angesichts der Lage in der Ukraine und der Ängste, die auch Menschen, die hier Schutz gefunden haben, um Angehörige, Freunde und ihre Heimat haben“, sagte Paul unserer Redaktion am Dienstag.

Merz hatte Empörung hervorgerufen, als er am Montagabend bei „Bild TV“ behauptet hatte: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ Der CDU-Vorsitzende hatte einen Zusammenhang hergestellt zum rechtlichen Status von ukrainischen Kriegsflüchtlingen in Deutschland. Seit Juni erhalten sie nicht mehr die vergleichsweise niedrige Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern sind praktisch Hartz-IV-Bewerbern gleichgestellt.

Nach Populismusvorwürfen aus anderen Parteien und sogar einer raschen Distanzierung innerhalb der Union machte Merz einen Rückzieher: „Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung“, schrieb er bei Twitter. Er habe lediglich darauf hinweisen wollen, „dass wir zunehmende Probleme haben mit der Unterbringung und auch mit der Betreuung von Flüchtlingen und dazu Probleme bekommen mit einer größer werdenden Zahl von Asylbewerbern“. Dabei bleibe er.

Die SPD warf Merz vor, AfD-Taktik anzuwenden. „Er will bewusst einen politischen Kulturkampf vom Zaun brechen und mit immer neuen Grenzverschiebungen den Diskurs nach rechts verschieben“, kritisierte die parlamentarische Geschäftsführerin im Bundestag, Katja Mast. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann bezeichnete Merz’ Äußerung als „anstandslos und schäbig“ und seine nachgelieferte Erklärung als „windelweich“. FDP-Fraktionschef Christian Dürr nannte den Vorwurf „absolut deplatziert“.

In Düsseldorf wurde derweil bestritten, dass es überhaupt das von Merz genannte Problem eines missbräuchlichen Bezugs von Sozialleistungen durch Ukrainer gibt. Man habe „keine Hinweise auf das beschriebene Phänomen“, so das NRW-Flüchtlingsministerium. (tb/dpa)

Im nächsten Schritt wird erwartet, dass die von Moskau eingesetzten Besatzungsverwaltungen offiziell bei Kremlchef Wladimir Putin die Aufnahme in russisches Staatsgebiet beantragen. Der Kreml hatte mitgeteilt, dass dies schnell geschehen könnte. Putin hatte vor Beginn der Referenden betont, dass die Gebiete danach komplett unter dem Schutz der Atommacht Russland stünden.

Erneute Drohung mit Atomwaffen aus Moskau

Der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Ex-Präsident Dmitri Medwedew, betonte am Dienstag, dass Moskau die Gebiete verteidigen werde – und zwar „auch mit strategischen Atomwaffen“. Die Vorsitzende des russischen Föderationsrats, Valentina Matwijenko, erklärte kurz nach dem Ende der fünftägigen Urnengänge, das Oberhaus des Parlaments könnte am kommenden Dienstag über den Beitritt der vier besetzten ukrainischen Gebiete zu Russland entscheiden. Zuvor war spekuliert worden, Putin könnte schon an diesem Freitag in einer Rede vor beiden Kammern des russischen Parlaments die Annexion formell bekanntgeben.

Neuer Krimbezirk geplant

Russland hat offenbar schon konkrete Pläne für die Einverleibung der ukrainischen Gebiete: Geplant sei die Bildung eines neuen föderalen „Krimbezirks“, berichtete die russische Zeitung „Wedomosti“ unter Berufung auf Quellen im Föderationsrat. Dieser Bezirk solle die bereits 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim sowie die besetzten Teile der Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk umfassen.

Die Nato warnte Russland vor einem Anschluss. „Diese Gebiete gehören zur Ukraine“, stellte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf Twitter klar. „Die Nato-Bündnispartner unterstützen die Souveränität der Ukraine und ihr Recht auf Selbstverteidigung ohne Wenn und Aber“, betonte Stoltenberg. Die Scheinreferenden hätten „keine Legitimität und sind eine eklatante Verletzung internationalen Rechts“.

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Als Reaktion auf die Scheinreferenden will die EU Sanktionen gegen die Verantwortlichen in den russisch kontrollierten Gebieten der Ukraine verhängen. Peter Stano, Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, sagte in Brüssel, es werde „Konsequenzen für alle Personen haben, die an der Organisation dieser illegalen Referenden beteiligt sind“. (dpa/afp)