Berlin – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat erneut Fehler der deutschen Russland-Politik der vergangenen Jahrzehnte eingeräumt. „Wir sind in vielen Punkten gescheitert“, sagte der Bundespräsident am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Wir sind gescheitert mit dem Bemühen, Russland einzubinden in eine europäische Sicherheitsstruktur“, erklärte Steinmeier, der als Kanzleramtsminister unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und später als Außenminister die Beziehungen zu Russland wesentlich mitgestaltet hat.
„Das ist eine bittere Bilanz, vor der wir stehen“, unterstrich Steinmeier angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Warnungen osteuropäischer Länder vor dem Machtstreben des russischen Präsidenten Wladimir Putin hätten ernster genommen werden müssen. Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2, das russisches Gas nach Deutschland transportieren sollte, sei ein Fehler gewesen und habe die Deutschen viel Glaubwürdigkeit bei den Osteuropäern gekostet.
Steinmeier gesteht Fehleinschätzung von Putin ein
Gleichwohl wies Steinmeier den Vorwurf zurück, er habe sich von Putin blenden lassen. Es müsse unterschieden werden zwischen dem Putin, der 2001 im Bundestag geredet und den Eindruck erweckt habe, es gebe die Chance für einen gemeinsamen Weg zu Demokratie und Menschenrechten, und dem „eingebunkerten Kriegstreiber Putin des Jahres 2022“.
Es sei eine Fehleinschätzung gewesen zu glauben, dass Putin am Ende nicht den politischen, wirtschaftlichen und moralischen Ruin seines Landes für seinen „imperialen Wahn“ hinnehmen würde, fügte Steinmeier hinzu. Bereits am Montag hatte sich Steinmeier selbstkritisch zur Russland-Politik der vergangenen Jahrzehnte und seiner eigenen Rolle geäußert.
Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, sieht das Fehler-Eingeständnis von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Umgang mit Russland nur als „ersten Schritt“. „Für uns ist wichtig, dass jetzt Taten folgen diesen Aussagen. Diese Taten fehlen“, sagte Melnyk gestern im Deutschlandfunk. So solle Steinmeier als Staatschef von der Bundesregierung verlangen, „die Lehren zu ziehen aus dem Massaker von Butscha, aus anderen Gräueltaten, die wir Tag und Nacht jetzt in der Ukraine erleben“. Konkret bedeute das unter anderem schärfere Sanktionen und ein Energie-Embargo, sagte der Botschafter.
Steinmeier nennt Festhalten an Nordstream 2 Fehler
Steinmeier, der von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 Außenminister war, hatte am Montag erstmals eigene Fehler und Irrtümer in der Politik gegenüber Russland eingeräumt. „Mein Festhalten an Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler“, sagte er. „Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben.“
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Melynk forderte gestern nicht nur von der Politik Konsequenzen. „Wir glauben, dass das, was in den letzten über zwei Jahrzehnten hier in Deutschland geschehen ist, dringend aufgearbeitet werden muss, und zwar nicht nur politisch, sondern auch auf der Ebene der Gesellschaft und der Medien“, sagte er. Die Frage sei, wie Deutschland energiepolitisch „fast vollständig“ vom russischen Staat abhängig habe werden können. Diese Abhängigkeit müsse die Ukraine nun mit dem Leid ziviler Opfer ausbaden. (epd/dpa)