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Rundschau-Debatte des TagesWie weit geht Friedrich Merz beim Bürgergeld?

Lesezeit 4 Minuten
Friedrich Merz mit nachdenklichem Blick.

Droht mit der Blockade des Bürgergeldes: CDU-Chef Friedrich Merz.

In knapp zwei Monaten soll das Bürgergeld Hartz IV ablösen. Heute will die Ampel das Gesetz im Bundestag mit ihrer Mehrheit beschließen. Im Bundesrat könnte die Union das Projekt stoppen. Doch um welchen Preis?

Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU scheint es ernst zu meinen. Wenn die Ampel-Fraktionen heute mit voraussichtlich großer Mehrheit das neue Bürgergeld beschließen, ist noch nicht gesagt, dass es kommt – und vor allem wann. Der CDU-Partei- und Fraktionschef will der Reform im Bundesrat die Zustimmung verweigern. Das Bürgergeld würde zur Hängepartie.

Das Problem

Das Gesetz, das die Hartz IV-Reformen von 2005 an entscheidenden Stellen verändern wird, ist zustimmungspflichtig im Bundesrat, da Länder und Kommunen in erheblichem Umfang an den Kosten beteiligt sind. Nun ist Friedrich Merz kein Ministerpräsident, die CDU in den Ländern entscheidet jeweils selbst. Doch in mehreren Ländern, in denen sie mitregiert, wird die Merz-Linie geteilt, wonach die Reform das Ende des Prinzips „Fördern und Fordern“ bedeute.

Von den 69 Stimmen im Bundesrat müssten in der Sitzung am Montag mindestens 35 Ja-Stimmen für die Mehrheit zusammenkommen. Die Länder mit Unionsbeteiligung haben 39 Stimmen. Würden sie sich alle enthalten, fiele die Reform durch.

Der Vermittlungsausschuss

Aus Unionskreisen hört man, dass ein Durchfallen der Reform ein wahrscheinliches Szenario ist. Dann müsste der Vermittlungsausschuss angerufen werden und einen Kompromiss finden, der sich derzeit nicht abzeichnet.

Oppositionschef Merz hat angeboten, zunächst nur die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze zu beschließen und über die große Reform zu einem späteren Zeitpunkt nochmal zu reden. Darauf will sich die Ampel-Koalition aber nicht einlassen.

Das Interesse der SPD

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spricht immerhin von der größten sozialpolitischen Reform der vergangenen Jahre. Für die Sozialdemokraten soll das neue Bürgergeld endgültig einen Schlussstrich ziehen unter die Hartz-IV-Reformen, dem Trauma der Partei seit ihrer Einführung im Jahr 2005.

Der Paradigmenwechsel

Kern der Reform ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel: statt der möglichst schnellen Vermittlung in Arbeit, die oft einen Drehtüreffekt zur Folge hatte, soll durch Berufsausbildung und Weiterbildung die langfristige und nachhaltige Rückkehr auf den Arbeitsmarkt im Vordergrund stehen. Sanktionen bei Verweigerung sollen erst später zum Zuge kommen, Vermögen bis zu einer Höhe von 60000 Euro in den ersten zwei Jahren verschont bleiben. Weniger Druck, stattdessen Kundenbetreuung auf Augenhöhe.

Außerdem sollen die Regelsätze um 50 Euro auf dann 502 Euro erhöht werden – eine Anpassung an die Inflation, die ohnehin hätte kommen müssen.

Gegenseitige Vorwürfe

Sowohl für die Ampel als auch für die Union ist das Blockieren nicht ohne Risiko. Es wird mit harten Bandagen gekämpft. SPD-Chef Lars Klingbeil warf Merz die Verbreitung von „Fake News“ und Methoden à la Donald Trump vor, weil dieser Leistungsbezieher und Geringverdiener gegeneinander ausspiele. Merz sieht im gelockerten Sanktionsregime und den Schonvermögen den Weg geebnet hin zu einem „bedingungslosen Grundeinkommen“.

„Das Bürgergeld hat mit dem Vorschlag der Ampel keine Chance im Bundesrat“, sagte auch Christian Bäumler, Vize-Vorsitzender des CDU-Arbeitnehmerflügels (CDA). Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU) forderte „substanzielle Nachbesserungen“. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warf CDU und CSU im Gegenzug „Lügen“ und „parteitaktische Spielchen“ vor.

Kompromiss noch möglich

Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, geht davon aus, dass ein Kompromiss im Vermittlungsausschuss zustande kommt und das Bürgergeld wie geplant zum 1. Januar starten wird. „Ich sehe dem Vermittlungsausschuss entspannt entgegen.“ Alle Argumente der Union gegen das Bürgergeld entbehrten „jeglicher Fakten“. „Aber wir sind gesprächsbereit“, fügte er hinzu. „Ein Kompromiss ist möglich. Wir haben Vorschläge gemacht, jetzt ist die Union am Zug.“

Der Zeitdruck

Die Zeit drängt, um die wegen der hohen Inflation notwendige Anpassung der Regelsätze zum 1. Januar auf den Weg zu bringen. Merz will sich nicht nachsagen lassen, diese verhindert zu haben. Doch an wem es am Ende hängen bleiben würde, wenn die Erhöhung der Regelsätze in Zeiten gestiegener Kosten verschoben werden muss, ist nicht ausgemacht.

Noch mehr Kritik

Kritik am Bürgergeld gab es vom Paritätischen Gesamtverband und vom Sozialverband VdK. Nach Berechnungen des Paritätischem müsste der Regelsatz statt auf 502 auf mindestens 725 Euro angehoben werden, „um wirksam vor Armut zu schützen“, hieß es vom VdK. (Mit dpa)


Kirchenvertreter appellieren an Parteien

Der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, hat die Parteien aufgefordert, sich zügig über die Einführung eines Bürgergelds zu einigen. Der Streit darüber komme angesichts der Inflation und der Teuerungen im Lebensmittel- und Energiebereich nicht zur rechten Zeit, erklärte der Vertreter der katholischen Bischöfe bei der Bundesregierung am Mittwoch in Berlin. Die Reform werde von den Wohlfahrtsverbänden ausdrücklich begrüßt, so der Prälat. Dabei bestehe Einvernehmen, dass die Erhöhung der Regelbedarfe überfällig und bei der Reform „sehr moderat oder auch zu moderat ausgefallen ist“. Auch die Diakonie hatte die Parteien zu einer Beilegung des Konflikts aufgerufen. Eine Möglichkeit, sich zu einigen, wäre laut Jüsten zum Beispiel, eine Klausel, nach der die Wirkungen des Gesetzes überprüft werden. (kna)