- Die Corona-Infektionszahlen steigen und steigen – und nach aktuellen Daten nicht mehr nur bei Ungeimpften.
- Woran liegt das? Und vor allem: Welche Folgen hat das auch für Menschen mit Impfschutz?
Berlin – Die Corona-Zahlen explodieren, die Intensivstationen laufen wieder voll – und der Großteil der Menschen, die dort landen, ist ungeimpft. Politiker und Mediziner sprachen daher zuletzt öfter von einer „Pandemie der Ungeimpften“. 2G-Regeln wurden diskutiert oder bereits eingeführt. Dabei sollen nur noch Geimpfte oder Genesene Zutritt zu Veranstaltungen oder Gastronomie bekommen. Doch trägt die Annahme überhaupt noch, dass ein Ausschluss Ungeimpfter aus einigen Bereichen ausreicht, um die Situation einzufangen?
In einem sind sich viele Wissenschaftler, Intensivmediziner und auch das Robert-Koch-Institut (RKI) einig: Die Corona-Impfung schützt effektiv vor schweren Verläufen. „Viele schwere Erkrankungen und Todesfälle hätten verhindert werden können, wenn die Zielgruppen früher und vollständiger geimpft worden wären“, sagt der Braunschweiger Epidemiologe Gérard Krause. Auch der Infektiologe Mathias Pletz vom Uniklinikum Jena betont: „Das Hauptproblem sind nach wie vor die schwer erkrankten Ungeimpften, denn der Flaschenhals, das sind die Intensivstationen.“
Alle tragen zur Pandemie bei
Viele Experten machen aber auch klar: Wer geimpft ist, kann trotzdem zum Pandemiegeschehen beitragen. „Es ist in diesem Herbst und Winter trügerisch zu glauben, dass ein Geimpfter sich nicht infizieren kann und das Virus nicht an seine Großmutter weitergeben kann, die vielleicht noch keine Booster-Impfung bekommen hat“, sagt der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Auch wenn es am Anfang vielleicht so ausgesehen habe, aber der Begriff „Pandemie der Ungeimpften“ sei nie richtig gewesen. Auch Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, sagt: „Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen – auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger.“
Die Delta-Variante hat viele Annahmen über den Haufen geworfen. Im Frühjahr habe man gesehen, dass es durch die Impfung einen Schutz sowohl vor dem schweren Verlauf als auch vor einer Infektion gab, erklärt Streeck. Erst später seien weitere Daten hinzugekommen. „Daher wurde da nicht falsch kommuniziert, sondern das Wissen hat sich mit der Zeit einfach verändert.“ Drosten macht zudem klar, dass sich die Delta-Variante trotz Impfung verbreiten könne. Der Verbreitungsschutz lasse hier schon nach zwei bis drei Monaten nach.
Zahlen zu Infektionen trügerisch
Der Anteil vollständig Geimpfter an den Corona-Fällen mit Symptomen ist in den letzten Wochen deutlich gestiegen. Bei den Menschen ab 60 Jahren, also der Altersgruppe, die relativ früh mit dem Impfen dran war, lag der Anteil laut RKI in den vergangenen Wochen (11. Oktober bis 7. November) sogar bei über 60 Prozent. Die Zahl kann aber leicht zu Missverständnissen führen, denn es gibt in dieser Altersgruppe überhaupt nur noch wenige Ungeimpfte. Nach RKI-Angaben sind es nur rund 13 Prozent.
Dass Geimpfte zwar erkranken können, aber ein sehr viel niedrigeres Risiko haben, belegt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, mit zwei Zahlen: Ungeimpfte Menschen ab 60 Jahren haben eine drei- bis viermal so hohe Wahrscheinlichkeit für eine Covid-Infektion mit Symptomen wie Geimpfte in diesem Alter. Und das Risiko für Ungeimpfte dieses Alters, in eine Klinik zu kommen, ist sogar siebenmal höher.
Die Braunschweiger Epidemiologin Berit Lange löst das vermeintliche Paradox der steigenden Zahl von Impfdurchbrüchen angesichts einer steigenden Impfquote so auf: „Keine Impfdurchbrüche gibt es nur dort, wo niemand geimpft ist“, sagt sie. „Wenn umgekehrt 100 Prozent der Menschen geimpft wären, dann müssten auch 100 Prozent der Corona-Fälle auf den Intensivstationen Impfdurchbrüche sein. Das Entscheidende ist: Es wären dann absolut viel weniger Fälle als jetzt.“
Beschränkungen auch für Geimpfte
Trotz der Kampagnen für rasche Auffrischungsimpfungen bei Älteren müssen sich angesichts der Lage wohl auch vollständige Geimpfte wieder auf mehr Regeln gefasst machen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plädiert etwa dafür, für Veranstaltungen ein 2G-Plus-Modell anzuwenden – also auch Geimpfte und Genesene nur mit einem Schnelltest zuzulassen. Nach Ansicht einiger Forscher reicht das aber nicht. Es brauche mindestens 2G mit Maske, sagt Infektiologe Pletz. „Das muss man versuchen in die Köpfe zu bringen: Dass 2G nicht heißt, dass man ohne Maske in großen Mengen in Innenräumen sitzt.“
Auch die Wiedereinführung von Kontaktbeschränkungen könnte aus Sicht von Experten dazu beitragen, die Welle zu brechen. „Wir werden nicht darum herumkommen“, meint etwa Streeck. Er sagt auch voraus, „dass man Großveranstaltungen vielleicht nicht mehr durchführen kann – oder wenn, dann nur unter strengen Auflagen“. Und auch Drosten betont: „Mangels Alternativen wird man wegen der Ungeimpften wieder in kontakteinschränkende Maßnahmen gehen müssen.“ Übrig bleibe dann ein 2G-Modell, sprich: ein Lockdown für Ungeimpfte, wie er jetzt schon in Österreich gilt. Ob das aber rechtlich haltbar sei, wisse er nicht, so Drosten. Und: „Ob das noch im November die Inzidenz senkt – ich habe da meine Zweifel.“ (dpa)