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Rundschau-Debatte des TagesBrauchen wir die Rente mit 70?

Lesezeit 4 Minuten

Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf 

  1. Die Ampel-Parteien weisen die Forderung aus den Reihen der Arbeitgeber zurück.
  2. Auch die Union sieht keinen akuten Handlungsbedarf.
  3. Trotzdem schlagen die Wogen hoch.

Berlin – Vertreter der Ampel-Parteien haben den Vorstoß von Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf für eine Erhöhung des Rentenalters auf 70 Jahre abgelehnt. Auch die Unionsfraktion zeigte sich skeptisch. Zuvor hatten Gewerkschaften und Sozialverbände protestiert. Einige Wirtschaftsweise zeigten sich dagegen offen für den Vorschlag.

Was hat Stefan Wolf genau vorgeschlagen?

„Schaut man sich die demografische Entwicklung und die Belastungen der Sozial- und Rentenkassen an, dann sind die Reserven aufgebraucht“, sagte der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir werden länger und mehr arbeiten müssen.“ Wolf geht demnach davon aus, dass das Renteneintrittsalter stufenweise auf 70 Jahre angehoben werden muss – „auch weil das Lebensalter immer weiter steigt“. Ansonsten werde das System „mittelfristig nicht mehr finanzierbar sein“.

Was sagen die Vertreter der Regierungsparteien?

Grünen-Bundestagsfraktionsvize Andreas Audretsch nannte den Vorschlag einer Rente mit 70 zutiefst ungerecht. Derzeit würden rund 15 Prozent aller älteren Menschen sterben, bevor sie überhaupt das gesetzliche Renteneintrittsalter erreichen, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Viele gingen aus Erschöpfung vorzeitig in Rente. Die Idee, Pflegekräfte, Stahlarbeiter oder Feuerwehrleute bis 70 arbeiten zu lassen, zeige, „dass nicht alle bereit sind, die Lebensrealität vieler Menschen zur Kenntnis zu nehmen“.

Der SPD-Arbeitsmarktexperte Michael Gerdes stellte in den RND-Zeitungen klar: „Wer 67 Jahre alt ist, muss in Rente gehen dürfen.“ Eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters bedeute für viele, die nicht länger arbeiten könnten, eine faktische Rentenkürzung. „Das ist ungerecht“, so Gerdes. Wer länger arbeiten wolle, könne auf freiwilliger Basis die Flexi-Rente nutzen, die laut Koalitionsvertrag lukrativer gemacht werden solle.

Ampel-Beschlusslage

SPD, FDP und Grüne haben in ihrem Koalitionsvertrag 2021 eine weitere Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters in der laufenden Wahlperiode ausdrücklich ausgeschlossen. Es wurde seit 2012 schrittweise angehoben und liegt für die Jahrgänge ab 1964 derzeit bei 67 Jahren.

Die drei Parteien haben außerdem vereinbart, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung in dieser Legislaturperiode nicht über 20 Prozent steigen soll. Er liegt derzeit bei 18,6 Prozent, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber je die Hälfte zahlen. (afp)

„Wir plädieren für eine Aktienrente und ein flexibles Eintrittsalter anstelle des Renteneintritts mit 68 Jahren – wie es Schweden vormacht“, hieß es von der FDP-Bundestagsfraktion. „Jeder, der älter als 60 Jahre ist, sollte selbst entscheiden, wann er aus dem Erwerbsleben ausscheidet“, sagte ihr arbeitsmarktpolitischer Sprecher Pascal Kober. „Wer früher ausscheidet, bekommt weniger, wer später ausscheidet, bekommt mehr.“

Wie ist die Haltung der Opposition im Bundestag?

Auch die Unionsfraktion lehnt eine Rente mit 70 ab. „Für die Anhebung der Regelaltersgrenze gibt es keinen akuten Handlungsbedarf“, so der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, Stephan Stracke (CSU). CDU-Arbeitsmarktexperte Axel Knoerig sagte, Wolfs Forderung „trifft nicht die Lebensrealität der Menschen in unserem Land“. Ob längeres Arbeiten überhaupt möglich sei, hänge vom Beruf ab.

Dietmar Bartsch (Linke) verwies auf Österreich: Dort liege „die durchschnittliche Rente 800 Euro höher als hierzulande und sie wird ab 65 Jahren ausbezahlt“, sagte er. „Was Österreich kann, muss auch Deutschland können.“ Vorschläge einer Rente ab 70 und einer 42-Stunden-Woche seien unsozial.

Wie reagieren Gewerkschaften und Sozialverbände?

Vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kam ein „klares Nein“. Eine Erhöhung des Rentenalters sei „nichts anderes als eine Rentenkürzung mit Ansage“, erklärte Vorstandsmitglied Anja Piel. „Viele Beschäftigte schaffen es schon heute nicht, gesund bis zur Rente durchzuhalten.“ „Länger arbeiten belastet die Gesundheit der Beschäftigten, die schon heute unter Stress und hoher Arbeitsdichte leiden“, sagte auch Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, den Funke-Zeitungen. Viel Luft nach oben gebe es für die Arbeitgeber, die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass mehr Beschäftigte gesund die Regelaltersgrenze erreichten.

Auch der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, wies die Forderung zurück. „Um die Rente solidarisch und zukunftsfest zu finanzieren, braucht es stattdessen endlich die Einführung einer Bürgerversicherung, in die alle, auch Selbstständige, Freiberufler, Politiker und Beamte einzahlen“, sagte Schneider dem RND.

Und wie begründen die Befürworter ihre Position?

„Um die Rente auch in Zukunft zu sichern, gibt es drei Stellschrauben: Renteneintrittsalter, Beitragshöhe und Rentenhöhe“, sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. „Man wird nicht umhinkommen, an allen drei Schrauben zu drehen, wenn wir die künftigen Generationen nicht überlasten wollen.“ Das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung forderte auch eine Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit: „Manche möchten mehr verdienen und sind bereit, dafür länger zu arbeiten. Andere wollen eher etwas weniger arbeiten.“

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hält ein höheres Renteneintrittsalter für notwendig. „Die Lebenserwartung steigt und die Gesundheit der Menschen im Alter verbessert sich im Durchschnitt“, sagte Grimm der „Rheinischen Post“. „Das erfordert auch eine Anpassung beim Rentenalter, damit die Rentenversicherung finanzierbar bleibt.“ Parallel müssten die Möglichkeiten verbessert werden, sich entlang des Erwerbslebens weiterzubilden. (afp)