Düsseldorf – Am Ende ging es nicht mehr. Schon als am Donnerstagmittag für 11.30 Uhr ein Statement von Umweltministerin Ursula Heinen-Esser vor dem CDU-Fraktionssaal im Düsseldorfer Landtag angekündigt wurde, gingen selbst Abgeordnete der schwarz-gelben Koalition fest davon aus, dass dies die letzte Amtshandlung der umstrittenen CDU-Politikerin aus Köln sein würde. Doch da wählte sie noch die Vorwärtsverteidigung.
Sie nehme ihre Aufgaben „weiter wahr“, erklärte die 56-Jährige selbstbewusst, flankiert von CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen. Es dauerte noch bis zum Abend, bis Heinen-Esser noch einmal an gleicher Stelle auftreten musste und reumütig ihren Rücktritt verkündete: „Es gibt kein Verständnis für mein Vorgehen und mein Verhalten.“
CDU-Chatgruppen: Parteikollegen halten Rücktritt für unausweichlich
Zwischenzeitlich entlud sich nach Informationen unserer Redaktion der Unmut in diversen internen CDU-Chatgruppen. Eine noch nachmittags versendete „Sprachregelung“ zur Verteidigung Heinen-Essers wurde als grotesk abgetan. Parteifreunde redeten auf Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ein, er müsse endlich die Reißleine ziehen.
Ein Rücktritt sei unausweichlich, „sonst geht das alles hier den Bach runter“, warnte ein altgedienter Parlamentarier auf dem Landtagsflur. Fünf Wochen vor der Wahl bringe Heinen-Essers abenteuerliche Krisenkommunikation die Arbeit „der gesamten NRW-Koalition“ in Verruf, schimpfte er.
Eine Ministerin mit Geschichte
Ursula Heinen-Esser, 56, ist gebürtige Kölnerin. Die Diplom-Volkswirtin war von Ende der 90er-Jahre bis Anfang der 2000er stellvertretende Vorsitzende der Kölner CDU, von 1998 bis 2013 saß sie im Bundestag. Bei der Landtagswahl 2012 war sie Bestandteil des Schattenkabinettes von CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen, der aber scheiterte – aus Heinen-Essers Job als Ministerin für Bundesangelegenheiten und Europa wurde nichts. Im Nachgang erklärte sie, ihr Landtagsmandat nicht wahrnehmen zu wollen und lieber im Bundestag in Berlin zu bleiben.
Für Aufsehen hatte sie 2013 gesorgt, als sie offen mit ihrer Brustkrebserkrankung umging. Im selben Jahr war sie nicht mehr zur Bundestagswahl angetreten, sie wollte mehr Zeit mit ihrer damals sechsjährigen Tochter verbringen. Ursula Heinen-Esser war von 2016 bis 2018 Geschäftsführerin der Bundesgesellschaft für Endlagerung. (mhe)
Auch in der Kölner CDU, Heinen-Essen ist Kölnerin, raunten einige Mitglieder: „Das kann eigentlich nicht ohne Konsequenzen bleiben.“ Auch öffentlich wollte sich am frühen Nachmittag in Köln keiner vor Heinen-Esser stellen: weder Kreispartei noch Junge Union, Frauen-Union oder Senioren-Union zu Heinen-Esser äußern. Nach dem Rücktritt sagte Parteichef Bernd Petelkau: „Dass sie nach der Flut nicht in NRW war, war der Situation sicherlich nicht angemessen.“
Ursula Heinen-Esser feiert kurz nach Flut in NRW auf Mallorca
Wenige Stunden zuvor hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ enthüllt, dass Heinen-Esser im Sommer 2021 – wenige Tage nach der schlimmsten Hochwasser-Katastrophe der Landesgeschichte – auf Mallorca den Geburtstag ihres Mannes mit einer illustren Gäste-Schar gefeiert hat. Kommunalministerin Ina Scharrenbach war dabei, Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner und die damalige Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (alle CDU).
Das könnte man angesichts einer biblischen Katastrophe mit 49 Todesopfern und Schäden in Höhe von 13 Milliarden Euro wenig pietätvoll finden, aber irgendwie unter „Privatsache“ abhaken. Allerdings war die Geburtstagsfeier nur die vorerst letzte von mehreren Varianten, die Heinen-Esser über ihr Agieren in den Flut-Tagen schon präsentiert hatte. In den Sozialen Netzwerken trendete „Mallorca-Gate“.
Der Untersuchungsausschuss des Landtags konnte mühsamen rekonstruieren, dass die Umweltministerin im Juli 2021 lediglich für einen Tag ihren Mallorca-Urlaub unterbrochen hatte und zur einer Sonderkabinettssitzung nach Düsseldorf zurückgekehrt war.
Zu den Beweggründen, schnell wieder zurück nach Mallorca zu fliegen, hatte Heinen-Esser Verschiedenes angeführt: Ihre 15-jährige Tochter sei mit vier gleichaltrigen Freunden zurückgeblieben, die sie habe zurückholen müssen. Ihrem 76-jährigen Mann sei die Betreuung nicht zuzumuten gewesen. Nach mehreren Schleifen kam heraus, dass sie ihren Urlaub planmäßig zu Ende gebracht hatte. Und ihr Mann gab am 23. Juli eben jene Geburtstagsfeier, zu der die Kabinettskollegen anreisten. Darunter Scharrenbach, die eigentlich Heinen-Essers Urlaubsvertretung in der Krise übernommen hatte.
Thomas Kutschaty von der SPD nennt Rücktritt „überfällig“
SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty nannte den Rücktritt „überfällig“. Die gesamte Reise samt Geburtstagsfeier sei „instinkt- und pietätlos“ gewesen. Ins gleiche Horn stießen die Grünen, die sich lange zurückhaltend geäußert hatten. Fraktionschefin Verena Schäffer machte umgehend deutlich, dass mit Heinen-Essers Rücktritt auf Raten keineswegs die Aufklärung beendet sei. Nun fokussiere sich alles auf Heimatministerin Scharrenbach, die laut Kutschaty „mitten in einer Krise die Insel der Heimat vorgezogen hat“.
Scharrenbach, immerhin Nummer zwei der NRW-CDU hinter Wüst, sei im Dienst gewesen und habe ihre Amtsgeschäfte auch über das Wochenende wahrgenommen, versicherte ein Sprecher auf Anfrage. Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner bestätigte ebenfalls, dass er an der Geburtstagsfeier auf Mallorca teilgenommen hatte. Der Minister sei in der Zeit „vollumfänglich arbeitsfähig und immer erreichbar“ gewesen, so ein Sprecher.
Für Wüst kommt das alles zur Unzeit. Eigentlich wollte er als fürsorglicher Landesvater im Wahlkampf punkten. Nun ist er nach Christina Schulze Föcking (CDU), die 2018 über eine peinliche Hacker-Affäre stürzte, schon die zweite Umweltministerin in der laufenden Legislaturperiode los.