Union und SPD sind drauf und dran, ihr 500-Milliarden-Sondervermögen diese Woche mit Hilfe der Grünen durch Bundestag und Bundesrat zu bringen. Warum sowohl die Schuldenpolitik als auch die Rentenpläne vor allem zu Lasten der jüngeren Generationen gehen, erklärt der in Bochum lehrende Wirtschaftsweise Martin Werding.
Martin WerdingWirtschaftsweiser zerpflückt schwarz-rote Finanzpläne

Prof. Martin Werding lehrt Sozialpoltiik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum und gehört dem Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an.
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Herr Werding, auf einer Skala von 1 bis 10, wie zufrieden sind Sie mit dem Sondierungspapier von Union und SPD, also der Basis für die laufenden Koalitionsverhandlungen?
Für mich ist es eine 3, ich bin nicht sonderlich zufrieden.
Kern ist das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur aller Art. Wie sicher können wir sein, dass das Geld wirklich nur für Zukunftsinvestitionen ausgegeben wird?
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Überhaupt nicht, das ist ja das große Problem. Für uns im Sachverständigenrat ist ein Sondervermögen nicht der richtige Ansatz, weil dadurch der Kernhaushalt entlastet wird, wenn man nicht zusätzliche Vorkehrungen trifft. Dass die Investitionen wirklich zusätzlich sind und dass man darauf achtet, welche Investitionen am ehesten Wachstum schaffen, bleibt offen.
Könnten die Koalitionäre solche Regeln nicht nachholen?
Durch ihre Strategie, das noch vor der Zusammensetzung des neuen Bundestages durchs Parlament zu bringen, entsteht eine enorme Eile. Und die nimmt ihnen die Zeit, hier gründlicher zu arbeiten. Die Einigung mit den Grünen vom letzten Freitag bringt gewisse Fortschritte, nämlich klarere Zweckbindungen und eine Betonung der Zusätzlichkeit der Ausgaben. Aber strikt verbindlich und überprüfbar sind solche Festlegungen auch nicht.
Bei der Finanzpolitik sollte man grundsätzlich ein gewisses Misstrauen gegenüber den Regierenden haben, weil sie in der Regel immer mehr ausgeben wollen als zur Verfügung steht, das ist einfach unsere langjährige Erfahrung.
Trauen Sie Union und SPD nicht zu, das Geld trotzdem so auszugeben, wie es am zukunftsträchtigsten ist?
Bei der Finanzpolitik sollte man grundsätzlich ein gewisses Misstrauen gegenüber den Regierenden haben, weil sie in der Regel immer mehr ausgeben wollen als zur Verfügung steht, das ist einfach unsere langjährige Erfahrung. Deshalb haben wir im Sachverständigenrat zusätzliche Regeln gefordert, bisher leider vergeblich.
Da alle Militärausgaben über einem Prozent des BIP nicht mehr der Schuldenbremse unterliegen und der Wehretat über zwei Prozent des BIP steigen soll, kommen Experten auf weitere 500 Milliarden Euro und mehr in den kommenden zehn Jahren. Reden wir am Ende über eine Billion, die Schwarz-Rot an Schulden aufnehmen will?
Das kommt darauf an, wie viel am Ende für Verteidigung ausgegeben wird. Aber ja: Da liegen Ausgaben von rund einer Billion Euro in den kommenden zehn Jahren in der Luft. Ich würde die Wehrausgaben aber schon ausklammern.
Warum?
Weil bei allem, was wir aus den USA von Trump und Vance hören, klar ist, dass wir deutlich mehr in unsere Verteidigung investieren müssen. Das noch im alten Bundestag abzusichern, ist so kurz vor der Konstituierung des neuen Bundestags natürlich grenzwertig. Ich halte es aber für vertretbar, weil wir hier wirklich eine neue Lage haben.
Was man von unserer kaputten Infrastruktur nicht sagen kann.
Nein, das ist keine Notlage, sondern seit Jahrzehnten bekannt. Es zeigt eigentlich nur, dass die Politik ein grundlegendes Problem hat, zukunftsorientiert zu handeln. Wir sehen in der Infrastruktur Investitionen im Nettonull-Bereich, was bedeutet, dass nicht mehr instandgesetzt wird, als gleichzeitig an anderer Stelle verschleißt. Das war übrigens schon vor Einführung der Schuldenbremse so, die kann man dafür also nicht verantwortlich machen.
Immer nur auf die Enkel zu verweisen, ist an dieser Stelle Folklore. Denn hier droht binnen Jahren der Verlust der Manövrierfähigkeit unseres Staates.
Eine Billion Euro Neuverschuldung – was bedeutet das für die Generationengerechtigkeit in Deutschland? Lösen wir unsere Probleme auf Kosten unserer Kinder und Enkel?
Das ist nur ein Aspekt. Eine stark steigende Verschuldung engt schon in wenigen Jahren unsere Handlungsspielräume ein. Es fallen Zinsen an, die ja allein aufgrund der Ankündigung des Sondervermögens um 0,25 Prozentpunkte gestiegen sind, und die Sonderverschuldung muss getilgt werden. Mittelfristig werden die Spielräume im Haushalt dadurch deutlich enger. Immer nur auf die Enkel zu verweisen, ist an dieser Stelle Folklore. Denn hier droht binnen Jahren der Verlust der Manövrierfähigkeit unseres Staates.
Also keine Generationenfrage? Wir reden immerhin davon, die Schulden des Bundes von derzeit 1,7 Billionen Euro mal eben um eine Billion zu erhöhen.
Ja natürlich, da kann einem schon angst und bange werden. Aber man muss die Billion schon durch zehn teilen und nun vor allem darauf schauen, wofür das Geld ausgegeben wird. Würde es tatsächlich zukunftsorientiert investiert und für mehr Wachstum sorgen, dann wäre das auch für die jungen Generationen gut. Und die Schulden würden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nicht so stark steigen.
Um Generationengerechtigkeit geht es immer auch bei der Rente. Hier plant die Groko Verbesserungen wie eine Erhöhung der Mütterrente. Zugleich soll das Rentenniveau stabil bleiben und das Rentenalter unangetastet bleiben. Wie generationengerecht ist das?
Überhaupt nicht. Die Regelaltersgrenze müsste ab 2031 weiter angehoben werden. Das müsste in dieser Legislatur entschieden werden, alles andere wäre zu kurzfristig. Jetzt bleibt alles beim Alten, zugleich wird das Rentenniveau auf Wunsch der SPD fixiert. Das nimmt die älteren Generationen komplett raus aus der Verteilung der Lasten der demografischen Alterung. Es sind dann wirklich nur die Jüngeren, die mit ihren Beiträgen und Steuern dafür aufkommen müssen, dass die Demografie die Rentenausgaben steigen lässt. Ihre Beiträge werden jetzt, da die Babyboomer nach und nach in Rente gehen, stark steigen.
Es sieht aber danach aus, dass erneut die Kinder die Erhöhung für ihre Mütter selbst zahlen. Das ist nicht im Sinne einer gerechten Lastenteilung zwischen Jung und Alt.
Gleiche Mütterrente für alle Jahrgänge, ist das nicht gerecht?
Man kann das machen, es angesichts der schwierigen Lage aber auch lassen. Wenn man es macht, müssten die rund 4,5 Milliarden jährlich aus dem Bundeshaushalt finanziert werden und nicht über die Beiträge. Es sieht aber danach aus, dass erneut die Kinder die Erhöhung für ihre Mütter selbst zahlen. Das ist nicht im Sinne einer gerechten Lastenteilung zwischen Jung und Alt.
Die Idee der höheren Mütterrente war ja einst, den gebärfähigen Frauen einen Anreiz zu geben, mehr Kinder zu kriegen, daher galt sie nur für Mütter von Kindern ab dem Geburtenjahrgang 1992. Die Erhöhung für die älteren Jahrgänge kommt nun Müttern zugute, die 55 oder älter sind. Da zieht die Idee, mehr Kinder für mehr Rente zu kriegen, nicht mehr. Das ist jetzt sehr zynisch, oder?
Aber es ist ein richtiger Gedanke. Die meisten Frauen, die jetzt davon profitieren, sind bereits in Rente. Meine Mutter ist fast 91 und bekommt nun 60 Euro mehr im Monat, die sie vermutlich an ihre Enkel verteilen wird. Wie gesagt: Kann man machen. Was man aber wissen muss: Die neue Erhöhung kostet in den nächsten 20 Jahren rund 100 Milliarden Euro, hinzu kommen 500 Milliarden Euro durch die Haltelinie der SPD für das Rentenniveau. Das sind die Summen, die der Rentenversicherung genau in der Zeitspanne fehlen, in der die Babyboomer in Rente gehen.
Union und SPD wollen Subventionen ausbauen oder gekürzte wieder einführen, Stichworte sind Pendlerpauschale, Agrardiesel, Dienstwagenprivileg, Mehrwertsteuersenkung für Gastronomen, Strompreis-Entlastungen usw. Was für ein Signal ist das?
Kein gutes. Bei den gewaltigen Herausforderungen, vor denen wir stehen, dürfen wir nicht über viele kleine Posten Geld ausgeben, das der Staat gar nicht hat. Man kann bei den Strompreisen etwas tun, um die Betriebe zu entlasten. Das gleiche gilt für Entlastungen bei der Unternehmenssteuer und der Einkommensteuer. Das sind schon wichtige Themen, die mittelfristig für mehr Wachstum sorgen können . . .
. . . dem Staat aber erst einmal Einnahmen wegnehmen.
Genau. Auch für Steuersenkungen braucht man so große finanzielle Spielräume, dass ich nicht verstehen kann, warum man so viele neue kleine Löcher aufreißt, durch die der Staat das Geld verliert, das er für seine großen Vorhaben braucht.
Wo gespart werden soll, ist noch nicht erkennbar, fast der einzige Punkt ist die Streichung des Bürgergelds für Menschen, die Stellenangebote ablehnen. Wie viel kann das sparen?
Das muss ja immer im Einzelfall entschieden und dokumentiert werden, um den Vorgaben des Verfassungsgerichts zu genügen - deshalb wird da am Ende nicht viel bei rauskommen. Dass so wieder etwas mehr Zug in die Jobcenter und Dynamik in den Arbeitsmarkt kommt, wäre ja nicht verkehrt. Aber bei der Ersparnis reden wir über einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag. Das gilt auch für die möglichen Ersparnisse durch eine Begrenzung der Zuwanderung.