Anna-Maija Mertens, Geschäftsführerin von Transparency International Deutschland, glaubt, dass der Korruptionsfall im Europäischen Parlament um Eva Kaili kein Einzelfall bleibt.
Korruption im EU-ParlamentDer Fall Eva Kaili – nur die Spitze des Eisbergs?
Der Fall der 44-jährigen Vizepräsidentin des Europa-Parlaments Eva Kaili dürfte nach Ansicht von Transparency International nur die Spitze des Eisbergs sein. „Es ist unwahrscheinlich, dass es sich dabei um einen Einzelfall handelt, denn selten wird nur eine Person bestochen. Denn was beabsichtigen Drittstaaten wie Katar? Sie wollen politische Entscheidungen beeinflussen und nutzen dafür auch unlautere Mittel. Die Regel ist leider, je länger untersucht wird, desto mehr Fälle kommen dann zum Vorschein“, sagt Anna-Maija Mertens, die Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation, zum Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Sie erinnert an den Fall der sogenannten „Aserbaidschan-Connection“ im Europarat.
Hintergrund: 30 bis 40 EU-Abgeordnete waren über Jahre auf Reisen nach Aserbaidschan eingeladen und mit Gastgeschenken, darunter teurem Kaviar, wertvollen Seidenteppichen, Gold und Silber sowie hohen Geldbeträgen überhäuft worden. Auch deutsche Politiker um die ehemalige CDU-Abgeordnete Karin Strenz und Eduard Lindner (CSU) gehörten dazu. „Es ist naiv zu glauben, Länder würden von Korruption verschont“, sagt Mertens. „Es geht nicht um diese Leute. Wir Menschen sind das Problem, Menschen sind anfällig für Korruption.“
Wie damals wurde auch im aktuellen Fall der EU-Parlamentarierin Kaili das Geld auf geradezu archaische Weise übergeben, was Korruptionsbekämpferin Mertens überrascht: „Ganz altmodisch war da von Säcken voller Geld die Rede. Heute gibt es da längst raffiniertere Strategien über verschlungene Wege.“
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Als ersten Schritt gegen Korruption fordert die gebürtige Finnin zunächst umfassendere Risikoanalysen. „An welchen Ecken der Gesellschaft wird die meiste Macht ausgeübt? Wo werden Gelder bewegt, kommen Menschen zusammen? So kommt man den Einfallstoren für Korruption schnell auf die Spur“, ist Mertens überzeugt. Und konkretisiert: „In der öffentlichen Wahrnehmung wird das EU-Parlament oft als machtlose Institution dargestellt. Die Korruptionsfälle zeigen aber, dass dort viel bewegt wird, sonst würden autokratische System dort nicht ansetzen.“
Unabhängige Ethikkommission gefordert
Neben vorbeugenden Risikoanalysen fordert Transparency International vor allem Einrichtungen wie eine unabhängige Ethikkommission. „Vorhandene Instrumente gegen Korruption wie ein Lobbyregister, die bislang auf freiwilligen Einträgen basieren und von den Parlamenten geführt werden, müssen von unabhängigen Institutionen überprüft werden.
Bei politischen Entscheidungsfindungen muss der ‚legislative Fußabdruck‘ überprüft werden. Das bedeutet, welche Treffen gab es vor der Entscheidung des oder der Abgeordneten? Vor allem, wenn es wie im Fall eines belgischen Abgeordneten zu plötzlichen Meinungsumschwüngen über Katar kommt. Eben hat er das Land noch kritisiert, kurze Zeit später argumentiert er, ‚jetzt müsse aber auch mal Ruhe sein‘“. Es bedürfe in den Parlamenten einer „unabhängigen Kontrollinstanz, wie der Schiedsrichter beim Fußball“.
Lobbyismus muss verteidigt werden
Bleibt der Fall der EU-Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili folgenlos, dann befürchten die Korruptionsbekämpfer von Transparency International schwere Folgen für die Demokratie. Mertens: „Es ist Zeit aufzustehen, den Kampf für Demokratie aufzunehmen. Auch der Lobbyismus, der eine wichtige Funktion hat, muss verteidigt werden – es geht um seinen Ruf und und seine Abgrenzung zur Korruption.“