Köln – Für den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki (64) könnte es ein Befreiungsschlag, aber auch ein Desaster werden. Am heutigen Donnerstag legt der Strafrechtler Björn Gercke ein Gutachten über Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln seit 1975 vor, das auch Vertuscher unter den Bistumsverantwortlichen beim Namen nennt. Endlich - nach einjähriger Verzögerung. Und für Woelkis Zukunft hängt viel davon ab, wie plausibel die Ergebnisse dieses - zweiten - Untersuchungsauftrags sind und ob ihm selbst Fehler im Umgang mit Tätern und Opfern nachgewiesen werden oder nicht.
Erster Bericht wegen „methodischer Mängel“ verschoben
Eigentlich sollte die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) schon im März vergangenen Jahres über ihre eineinhalbjährigen Recherchen in Personal- und anderen Akten berichten. Doch erst verschob das Erzbistum kurzfristig den anberaumten Pressetermin und gab dann im Herbst die Veröffentlichung ganz auf - wegen „methodischer Mängel“. Befürchtet wurde zudem, dass Persönlichkeitsrechte der Genannten verletzt werden könnten.Daraufhin schwoll die Kritik an, Woelki wolle Erkenntnisse zurückhalten und Führungskräfte schützen. „Ich erwarte keine Schonung - im Gegenteil“, versicherte der Kardinal nach dem Gutachter-Wechsel. Er drang damit ebenso wenig durch wie Gercke mit seiner Beteuerung: „Das Gutachten wird für das Erzbistum ungemütlich werden.“
Auch Rücktritte sind ausdrücklich möglich
Es geht um viel; Rücktritte sind nicht ausgeschlossen. Anders als das im vergangenen Jahr vorgestellte WSW-Gutachten für das Bistum Aachen kommen nicht nur verstorbene oder im Ruhestand lebende Bischöfe oder Generalvikare in den Fokus. Diesmal stehen aktuelle Amtsträger im Mittelpunkt, darunter nicht weniger als vier amtierende Bischöfe.An erster Stelle Woelki selbst. Wie hat er als Erzbischof bei Fällen sexualisierter Gewalt gehandelt? Welche Rolle spielte er als früherer Kölner Weihbischof? In dieser Funktion erfuhr er zum Beispiel 2011 von Missbrauchsvorwürfen gegen einen befreundeten Pfarrer, der ihn dennoch ein Jahr später zu seiner Kardinalserhebung in Rom begleiten durfte.
Wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Kölner Erzbischof sichtete Woelki 2015 dann die Akten von auffällig gewordenen Geistlichen, darunter auch die des beschuldigten Pfarrers. Kritiker werfen dem Kardinal vor, eine kirchenrechtliche Voruntersuchung und eine Meldung nach Rom unterlassen zu haben. Der verteidigt sein Vorgehen mit der fortgeschrittenen Demenz des inzwischen verstorbenen Pfarrers, der Fragen zu den Vorfällen gar nicht mehr hätte beantworten können.
Handeln von Stefan Heße wird thematisiert
Überprüft wird aber auch das Handeln des jetzigen Hamburger Erzbischofs Stefan Heße (54), der seit 2006 Personalchef und von 2012 bis 2015 Generalvikar in Köln war. In öffentlich gewordenen Teilen des WSW-Gutachtens ist zu lesen, dass er eine „indifferente“ und „von fehlendem Problembewusstsein“ geprägte Haltung gegenüber Missbrauchsopfern an den Tag gelegt habe. Heße weist die Anschuldigungen zurück und hält den Verfassern vor, sie „hätten gründlicher arbeiten können“. Wie genau die Münchner Kanzlei gearbeitet hat, sollen Journalisten, Betroffene und andere Interessierte erfahren, aber erst nach Vorstellung der Gercke-Expertise.
Mit Spannung erwartet werden auch die Gutachter-Aussagen zu den Kölner Weihbischöfen Ansgar Puff (65) und Dominikus Schwaderlapp (53). Puff hatte von Mai 2012 bis August 2013 und damit für relativ kurze Zeit die Personalabteilung geleitet. Schwaderlapp war acht Jahre lang - von 2004 bis 2012 - Generalvikar von Woelkis Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner (1933-2017).
Was wusste Kardinal Meisner wirklich?
In einigen bekannt gewordenen Missbrauchsfällen deutet vieles darauf hin, dass Meisner schuldig gewordene Kleriker wieder in der Seelsorge einsetzte und kirchenrechtlich vorgeschriebene Verfahren pflichtwidrig unterließ. Zudem habe er immer wieder öffentlich betont, er habe „nichts gewusst“ von den Missbrauchsfällen, obwohl die Akten klar belegten, dass er darüber informiert gewesen sei. Bei all dem stellt sich die Frage, ob und inwieweit Schwaderlapp involviert war.
Daneben dürften Gercke und sein Team auch den langjährigen Generalvikar Norbert Feldhoff (81) und den seit 1995 amtierenden Leiter des Kölner Kirchengerichtes, Günter Assenmacher (69), in den Blick nehmen. Beide haben - genau wie Schwaderlapp - zu ihrer möglichen Rolle bislang eisern geschwiegen.
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Grundsätzlich gilt es aus Sicht vieler Fachleute, die historische Perspektive zu beachten, da sich die Erkenntnisse zum Thema Missbrauch über die Jahrzehnte wandelten. Einig sind sich die Experten aber darin, dass es spätestens mit dem Jahr 2002 und den damals erlassenen Leitlinien der Bischofskonferenz nicht mehr zu entschuldigen war, wenn leitende Geistliche Missbrauchstäter an einen neuen Ort versetzten und es dort zu neuen Übergriffen kam.Woelki versichert immer wieder, dass er die Ergebnisse des neuen Gutachtens wie die des alten nicht kenne und auch nicht vor der Präsentation zu sehen bekommen werde. Um persönliche Konsequenzen geht es daher erst wenige Tage nach der Präsentation - am Dienstag kommender Woche gibt es eine weitere Pressekonferenz. (kna)