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Fragen und AntwortenWorum es beim Gutachten des Kölner Erzbistum eigentlich geht

Lesezeit 4 Minuten
Kardinal Woelki schaut traurig

Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln

Köln – Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat viel Kritik auf sich gezogen, weil er ein erstes Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen nicht veröffentlichen ließ und ein zweites in Auftrag gab. Dieses wird am Donnerstag präsentiert. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet wichtige Fragen:

Warum hat Kardinal Woelki ein Gutachten in Auftrag gegeben?

Die 2018 veröffentlichte Studie der deutschen Bischöfe ergab für das Erzbistum Köln 135 Betroffene sexualisierter Gewalt und 87 beschuldigte Priester in den Akten der Jahre 1946 bis 2014. Weil die bundesweite Erhebung nur stichprobenartig war, beschloss Woelki eine Folge-Untersuchung. Unabhängige Fachleute sollten die Akten des Erzbistums „ungeschönt und ohne falsche Rücksichten“ überprüfen.

Warum hat das Gutachten eine so große Brisanz?

Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) sollte nicht nur Missbrauchsfälle und systemische Fehler in der Bistumsorganisation seit 1975 klar benennen, sondern auch Verantwortliche, die Täter geschützt und Verbrechen vertuscht haben. Das könnte nicht nur verstorbene und ehemalige Amtsträger betreffen, sondern auch amtierende Bischöfe.

Wie genau lautete der Untersuchungsauftrag?

Zu klären war, ob die Diözesanverantwortlichen Missbrauchsfälle im Einklang mit dem kirchlichen oder staatlichen Recht behandelt haben „und/oder dem kirchlichen Selbstverständnis“. Dabei sollte auch überprüft werden, ob ab 2002 - entsprechend den damaligen Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz - alle Hinweise auf mögliche Missbrauchsfälle, die strafrechtlich einen Anfangsverdacht begründen, der Staatsanwaltschaft angezeigt wurden.

Warum hat Woelki das WSW-Gutachten nicht veröffentlichen lassen?

Er bekam Hinweise, dass die Nennung von Verantwortlichen möglicherweise Persönlichkeitsrechte verletzen und dass deshalb Klagen drohen könnten. Zwei auf das „Äußerungsrecht“ spezialisierte Kanzleien kamen zum Ergebnis, dass die Beschuldigten zum Teil nicht ausreichend mit den Vorwürfen konfrontiert worden seien. Die „Grundsätze der Verdachtsberichterstattung“ seien einzuhalten.

Warum hat Woelki sich im Herbst 2020 ganz von WSW getrennt?

Die Experten kamen zum Schluss, dass WSW nicht wesentlich nachgebessert habe. Woelki beauftragte zusätzlich den Kölner Strafrechtler Björn Gercke sowie das Duo aus dem Frankfurter Strafrechtler Matthias Jahn und dem Erlanger Kriminologen Franz Streng mit weiteren Prüfungen des Gutachtens. Sie attestierten WSW, „in der ganzen Methodik, im Aufbau und der grundsätzlichen Herangehensweise den Mindestanforderungen“ nicht zu entsprechen. Gercke bekam den neuen Gutachterauftrag. In der Folge wehrte sich Woelki gegen Vorwürfe, er wolle Verantwortungsträger schützen. Gercke betonte, die Untersuchung werde nicht schonend ausfallen.

Was werfen Jahn und StrengWSW vor?

Aus ihrer Sicht hat WSW die Fakten und deren Beurteilung „nicht deutlich voneinander getrennt“. Begriffe wie „Pflichtwidrigkeit“ oder „mangelnde Opferfürsorge“ blieben unklar. Die Anwälte hätten bei ihrer Begutachtung mehrmals den „objektiven Standpunkt“ verlassen und stellten dadurch ihre Neutralität in Frage. Die 15 ausführlich dargestellten Beispielfälle seien willkürlich ausgesucht.

Wie geht WSW mit der Kritik um?

Die Kanzlei betont, sie habe dem Auftrag zufolge ausdrücklich prüfen sollen, „ob und inwieweit das Verhalten etwaig zu benennender Bistumsverantwortlicher, insbesondere in moralischer Hinsicht, angemessen war“. Der Prüfungsmaßstab sei also auch das kirchliche Selbstverständnis. Diese Bewertungen hätten oft auch eine „deutliche Sprache“ erfordert.

Wie ist die Stimmung im Erzbistum?

Wegen der verzögerten Aufarbeitung übte der Diözesanrat heftige Kritik an Woelki. Er habe als moralische Instanz versagt, so der Vorsitzende Tim Kurzbach. Der BDKJ forderte Woelkis Rücktritt. Auch von etlichen Priestern und aus vielen Gemeinden kamen kritische Rückmeldungen an die Bistumsleitung. Andere brachten ihre Unterstützung für Woelki zum Ausdruck und forderten Fairness in der Berichterstattung.

Was will Gercke anders machen?

Gercke und sein Team wollen jeden einzelnen Fall aus den 236 Aktenvorgängen würdigen. Ausführlicher würden Fälle geschildert, bei denen Pflichtverletzungen nach den Vorgaben des weltlichen und kirchlichen Rechts vorliegen. „Wir erstellen kein moralisch-ethisches Gutachten“, so Gercke. „Wir sind Juristen und bleiben auch bei unserer Disziplin.“ Nach Angaben des Strafrechtlers lassen die Reaktionen des einen oder anderen von ihm befragten Verantwortlichen oder seiner Anwälte „erwarten, dass es äußerungsrechtlich zum Schwur kommen kann“.

In welchem Rahmen wird das Gutachten präsentiert?

Mit der Presse erfährt erstmals auch Woelki von den Ergebnissen. Zu den Konsequenzen wird sich der Kardinal dann am Dienstag kommender Woche äußern. Für den Fall, dass Gercke ihm persönlich Vertuschung nachweist, hat er seine Bereitschaft zum Rücktritt angekündigt. Auch das WSW-Gutachten können Interessierte wie Journalisten und Betroffene einsehen - aber erst nach Präsentation der Gercke-Expertise ab Donnerstag kommender Woche.