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Vor dem ParteitagWie viel Grün steckt noch in den Grünen?

Lesezeit 4 Minuten

Da war die grüne Welt noch in Ordnung: Robert Habeck und Annalena Baerbock beim Parteitag vor der Wahl 2021.

  1. AKW-Weiterbetrieb, Waffenlieferungen, Koalitionskrach.
  2. In der Regierung, so scheint es, kommt der Partei ein Markenkern nach dem anderen abhanden.
  3. Nun droht in Bonn ein turbulentes Wochenende.

Berlin – Erstmals seit fast drei Jahren kommen die Grünen wieder in Präsenz zu einem Bundesparteitag zusammen, von Freitag bis Sonntag in Bonn. Russlands Ukraine-Krieg hat auch sie mitten in die „Zeitenwende“ gestürzt. Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck stehen im Zentrum der vielen Krisen. Wirklich „grün“ regieren die beiden nicht. Fliegt ihnen der Pragmatismus in Bonn um die Ohren? Eine Analyse, was vom Parteitag zu erwarten ist.

Die Sache mit dem Atomstrom

Der Parteitag soll eigentlich Habecks Plan absegnen, die zwei im Süden stehenden AKW wegen der Energiekrise bis Ende März am Netz zu lassen und das dritte AKW im Emsland Ende des Jahres abzuschalten. Aber der Koalitionspartner FDP besteht darauf, alle drei Atommeiler bis 2024 am Netz zu lassen, um Blackouts zu vermeiden und die Strompreise zu drücken.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) versuchte bis zuletzt, den Streit zu schlichten. Eine diskutierte Möglichkeit: Der Habeck-Plan wird beschlossen, allerdings ergänzt um eine Vereinbarung, wonach im Dezember erneut geprüft werde, ob der Emsland-Meiler doch am Netz bleiben muss. Die Grünen-Spitze zog im Vorfeld eine rote Linie: „Es werden keine neuen Brennelemente bestellt.“ Das ließe einen Weiterbetrieb für wenige Wochen zu. Auch dafür dürfte der Parteitag im Zweifel grünes Licht geben.

Baerbock und Habeck überstrahlen die Chefs

Eigentlich sind Parteitage ja Hochämter für die Parteichefs. Dem grünen Spitzenduo Ricarda Lang und Omid Nouripour ist es freilich bislang nicht ansatzweise gelungen, aus dem Schatten der Vorgänger Baerbock und Habeck zu treten. Das finden die beiden „Neuen“ auch gar nicht schlimm, solange die Wahlergebnisse stimmen, und unterstützen den Realo-Kurs der beiden Minister nach Kräften.

14,5 Prozent bei der Niedersachsen-Wahl: Das war deutlich besser, als viele befürchtet hatten, nachdem vor allem Habeck mit seiner vermurksten Gas-Umlage massiv ins Feuer geraten war. Ein Plus von 5,8 Prozentpunkten reicht jedenfalls absolut aus, um die Sonderstellung von Baerbock und Habeck zu stützen, all den geschleiften Grünen-Grundsätzen zum Trotz. Bei der Frage, wen von den beiden die Grünen ins nächste Rennen ums Kanzleramt schicken, tippen die meisten in der Berliner Blase derzeit auf ihn. (tob)

Tatsächlich hat FDP-Chef Christian Lindner seinem Kontrahenten Habeck mit dem Beharren auf den AKW-Weiterbetrieb einen Gefallen getan. Schon zwei der drei AKW drei Monate länger am Netz zu lassen, hätte an der Basis seiner Anti-Atomkraft-Partei zu Proteststürmen führen können. Indem Habeck die viel weitergehende Forderung der Liberalen nun abblockt, erscheint er den eigenen Leuten als standhaft.

Die eigentliche Frage, also ob wir den Atomstrom nicht wirklich brauchen, um durch diesen und den nächsten Winter zu kommen, spielt bei den Grünen einen erstaunlich kleine Rolle. Man sei „guten Mutes“, dass man auch so hinkomme, heißt es an der Parteispitze. Das Thema steht in Bonn schon am Freitag auf der Agenda, allerdings erst am Abend.

Frieden schaffen mit mehr Waffen

„Frieden schaffen ohne Waffen“? Das war vorgestern. Tatsächlich gehört Grünen-Ikone Anton Hofreiter zu denjenigen, die immer wieder am lautesten danach riefen, die Ukraine auch mit Kampf- und Schützenpanzern zu beliefern, um Wladimir Putins Truppen zurückzudrängen. Außenministerin Baerbock ist erst kürzlich auf die Linie von Kanzler Scholz umgeschwenkt, keine deutschen Alleingänge zu wagen.

Der Ukraine-Krieg steht am Samstag auf dem Programm, das wird der Baerbock-Tag. Sie wird mit Forderungen konfrontiert werden, endlich mit Putin über einen Frieden zu verhandeln. Allerdings sind die Pazifisten bei den Grünen in die Defensive geraten. Dass Baerbock vom Parteitag unter Druck gebracht werden könnte, ihre Linie der maximalen Unterstützung für die Ukraine zu ändern, ist nicht abzusehen. Auch Toni Hofreiter steht nicht auf der Rednerliste.

Wie schwierig das ist mit einer „wertegeleiteten Friedenspolitik“, zeigt ein anderer Vorgang: Vor kurzem segnete die Ampel einen Rüstungsdeal mit Saudi-Arabien ab, dem Land also, das im Jemen Krieg führt. Baerbock verteidigte das Geschäft zwar im Interview mit unserer Redaktion, weil es keine direkten Waffenlieferungen gebe und es um ein „europäisches Gemeinschaftsprojekt“ gehe, das man nicht torpedieren könne. Robert Habeck konnte aber nicht ausschließen, dass die von Deutschland ausgerüsteten Kampfjets der Saudis im Jemen Bomben abwerfen. Die Diskussion darüber wird für Baerbock vermutlich einer der heikelsten Parteitagsmomente.

Und was ist mit dem Klimaschutz?

Um den Kampf gegen die Erderwärmung geht es am Sonntag. Bekanntlich schafft es auch die Ampel bislang nicht, die CO2-Minderungsziele einzuhalten. Das Klimaschutz-Sofortprogramm kommt nicht voran, dafür wird wieder kräftig Stein- und sogar Braunkohle verfeuert. Proteste der Grünen-Basis gegen „ihren“ Klimaschutzminister Habeck gibt es trotzdem praktisch nicht.

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Immerhin wollen Luisa Neubauer und andere grüne Fridays-for-Future-Aktivisten mit Parteitagsanträgen den Klimaschutz wieder auf die Agenda heben. So wird ein 100-Milliarden-Investitionspaket für erneuerbare Energien verlangt. Und der Parteitag soll das Ziel des Koalitionsvertrages bekräftigen, bis 2030 komplett aus der Braunkohle auszusteigen. Konkreteren Anträgen, etwa dem nach einem Sonntagsfahrverbot alle 14 Tage, werden hingegen keine Chancen eingeräumt. Ist ja mit der FDP im Bund eh nicht zu machen.