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Früher Ifo-Chef Sinn„Deutschland ist dabei, durch seine extremistische Klimapolitik die eigene Industrie zu ruinieren“

Lesezeit 8 Minuten
ARCHIV - Hans-Werner Sinn, der Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, spricht am 09.12.2015 in der Bundespressekonferenz in Berlin. Foto: Michael Kappeler/dpa (zu dpa "Ifo-Chef Sinn: Zuwanderung von Flüchtlingen stoppen" vom 18.03.2016) +++ dpa-Bildfunk +++

Streitbarer Professor: Hans-Werner Sinn

Verbrenner-Verbot und Aus für Atomstrom? Im Interview mit Tobias Schmidt fordert der frühere Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn einen drastischen Kurswechsel der Klimaschutzpolitik.

Herr Professor, die Ampel beschleunigt den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv. Sie hat die Wind- und Solar-Euphorie noch nicht gepackt?

Emotionen sind bei dem Thema deplatziert. Die Begrenzung der Erderwärmung ist eine enorme Herausforderung für die Menschheit. Aber mit bloßer Gesinnungsethik kommen wir dem Ziel nicht näher. Auch nicht, indem wir uns Elektroautos kaufen.

Ein mit Ökostrom betanktes E-Auto stößt kein CO2 aus…

Das tut auch kein Auto mit einem konventionellen Motor, wenn es mit E-Fuel fährt. Elektroautos wurden nicht durch Marktprozesse eingeführt, sondern durch die Politik, vor allem das allmähliche Verbrennerverbot der EU. Dieses Verbrennerverbot bewirkt keine globale Senkung der CO2-Emissionen, wenn das hierzulande eingesparte Öl andernorts verbrannt wird. Das aber ist zu erwarten, weil es auf den Weltmärkten gehandelt wird. Ähnliches gilt für andere Brennstoffe, die international gehandelt werden wie Steinkohle und Erdgas, nicht aber für die Braunkohle, die nicht gehandelt wird. Wenn wir auf den Abbau deutscher Braunkohle verzichten, bleibt der Kohlenstoff in der Erde. Klasse. Verbrauchen wir indes in Europa weniger Öl, senken wir damit die Weltmarktpreise, und bei fallenden Preisen werden diese Mengen von Menschen und Firmen in anderen Ländern der Erde gekauft. Sinkender Öl-Verbrauch in Deutschland und Europa bringt dem Klima überhaupt nichts?

In Asien, Afrika oder den USA werden noch mehr spritschluckende Autos gefahren, und die dortige Wirtschaft setzt ihren C02-intensiven Wachstumskurs immer weiter fort. Die billige Energie stärkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit der dortigen Industrien, während die europäische Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit verliert.

Auf Preisstürze würde die Opec nicht mit einer Drosselung der Produktion reagieren?

In den 40 Jahren bis Corona ist das nie passiert, obwohl es immer mal wieder Perioden gab, in denen Teile der Welt in der Rezession waren, so dass ihre Nachfrage nach Brennstoffen nachließ, was massive Preisstürze verursacht hatte. Die Produktionsdrosselung wegen des Corona-bedingten globalen Nachfrage-Schocks war die einzige Ausnahme, denn sie fand gleichzeitig überall auf der Welt statt. In der Pandemie hat die OPEC erstmals mit einer Senkung der Fördermengen reagiert, denn sie konnte nun nirgendwohin ausweichen. Das heißt, nur eine weltweit koordinierte Einschränkung der Ölnachfrage würde zu weniger CO2-Ausstoß führen. Alleingänge bedeuten lediglich, dass andere Teile der Welt exakt so viel mehr Öl kaufen und CO2 emittieren, wie wir einsparen.

China verfeuert Kohle wie nie zuvor

Das Pariser Klimaschutzabkommen sieht eine weltweit koordinierte Einschränkung vor. Hat es sich in Luft aufgelöst?

In Paris haben sich nur 61 von 191 Ländern zu Mengeneinschränkungen verpflichtet. Sie standen für gerade mal ein Drittel des C02-Ausstoßes der Welt. Mit gezählt sind die USA, die das Abkommen aber gar nicht ratifiziert haben. Vor allem China verfeuert Kohle wie nie zuvor und stößt mehr C02 aus als alle entwickelten Länder der Erde zusammen. Und jetzt haben wir den Krieg und große internationale Spannungen. Das Gas und Öl, das wir Putin nicht mehr abnehmen, fließt nach China. Mit unserer grünen Politik senken wir die Weltmarktpreise und subventionieren Chinas schmutzige Industrie. China profitiert von unseren Sanktionen und wird noch stärker. Wer mit einem moralischen Zeigefinger nach China fährt und die Spannungen zwischen den Blöcken verstärkt, lässt die Bereitschaft der Chinesen, das verbilligte Öl, das wir ihnen überlassen, aus Umweltgründen nicht zu kaufen, gegen null sinken.

Also Hände in den Schoß legen und abwarten, bis die Polkappen abgeschmolzen und viele Weltregionen verglüht sind?

Nein, den außenpolitischen Moralismus unterlassen und den Ausgleich mit China suchen.

Wäre es nicht etwas spät für die Menschheit, wenn wir mit dem Klimaschutz anfangen, wenn alle Kriege und Konflikte beendet sind?

In der Tat. Also sollten wir mit einer neuen Entspannungspolitik gegenüber den großen Mächten dieser Erde sofort beginnen.

Eine erfolgreiche Energiewende in Deutschland würde keine Nachahmer finden?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Realität ist eine andere. Deutschland ist dabei, durch seine extremistische Klimapolitik die eigene Industrie zu ruinieren, und wir setzen damit ein Negativbeispiel für die ganze Welt. Die Schwellenländer werden einen Teufel tun, uns zu folgen, wenn wir unsere Unternehmen mit Energieverboten aus dem Land jagen und den Lebensstandard der Bevölkerung ruinieren. Das Gerede von der Vorbildfunktion und den Wettbewerbsvorteilen, die wir durch diese Politik angeblich generieren, ist Propaganda.

Verbotspolitik statt Förderung des Erfindergeists

Deutschland baut tolle Autos, die auf der ganzen Welt verkauft werden. Warum soll das nicht mit Elektrolyseuren, CCU-Anlagen oder Wasserstoff-Kraftwerken funktionieren? Was ist daran überheblich, das zu versuchen?

Nichts. Lassen wir unsere Unternehmen und Ingenieure probieren. Aber warum müssen wir dazu Verbote aussprechen, anstatt den Erfindergeist mit CO2-Preisen anzuregen. Aus für Atomstrom, für Kohle, für den Verbrenner, schließlich für Gas. Die Verbotspolitik ist einfach, aber ineffizient. Dafür mussten die Abgeordneten nicht viel wissen. Es reichte die gute Moral. Wir sollten mit diesem Unsinn aufhören, und Techniken erst dann auslaufen lassen, wenn skalierbare Anlagen und Systeme errichtet sind, die wirklich funktionieren und billigere Energie liefern.

Welchen Sinn macht eine CO2-Bepreisung, wenn die USA und China nicht mitmachen?

Keinen, das stimmt. Das gleiche gilt jedoch auch für den dirigistischen Ansatz, nur dass der mehr kaputt macht als CO2-Preise und auch nichts bewirkt.

Was macht dann Sinn?

Sinn macht es, wie Kanzler Olaf Scholz um die Welt zu fliegen und mühsam einen Klimaclub zu gründen. Das ist die einzige Option, die wir haben. Wenn das nicht klappt, dann klappt gar nichts.

Putins Macht gründet auch auf fossilen Ressourcen, die an Wert verlieren, sollte es einen globalen CO2-Preis geben. Ja, Putins Gas und Öl verlieren perspektivisch an Wert, deswegen hasst er die Klimapolitik. Das gilt für die gesamte OPEC, die ihre Felle davonschwimmen sieht. Leider bedeutet das im Zweifel, dass sie versuchen wird, ihre Ressourcen schnell noch zu verkaufen, bevor es zu spät ist. Das beschleunigt den Klimawandel noch. Deshalb ist es wichtig, einen weltumfassenden Klimaklub mit den USA, China und Indien schnell zu gründen. Wir müssen den Einfluss derer, die ihre Außenpolitik mit dem moralisierenden Zeigefinger betreiben, unterbinden. Die Erderwärmung zu bremsen ist wichtiger als die Frage, wo welche Ländergrenzen gezogen werden. Die würden sowieso überrannt, wenn es auf der Erde zu heiß würde.

Eine Volkswirtschaft als Versuchskaninchen

Würde die Chance für den Klimaclub nicht wachsen, wenn es schon eine funktionierende postfossile Wirtschaft gäbe?

Ja, sicher. Vielleicht sollten wir das mit dem Saarland ausprobieren, oder mit einer Region in Bayern: 100 Kilometer, einen rechtlichen Zaun drum, ein Experimentierfeld für die grüne Welt. Wenn’s schiefgeht, können wir das durchfinanzieren. Und wenn’s klappt, wird’s zum Modell für die Weltrettung. Aber im Ernst: Gerade wird eine ganze Volkswirtschaft mit 83 Millionen Einwohnern zum Versuchskaninchen für alternative Technologien gemacht. Das ist verwegen.

Billiger Ökostrom ist doch längst ein Standortfaktor. Siehe Tesla, Intel oder Northvolt, die sich im Windkraft-reichen Norden Deutschlands ansiedeln.

Stimmt, aber der Standortfaktor rührt daher, dass Strom aus anderen Regionen in den Dunkelflauten Ersatz liefert. Müssten die Windstromlieferanten selbst die Versorgungssicherheit herstellen, wäre es aus mit der Wettbewerbsfähigkeit des Windstroms. Je mehr wir beim Strom vom Wetter abhängig werden, desto wichtiger wird es, die anderen Stromquellen grundsätzlich für die Dunkelflauten in Bereitschaft zu halten. Das kostet Geld, und diese Kosten sind ursächliche Kosten des grünen Stroms. Nur werden sie den Verbrauchern nicht unmittelbar angerechnet.

Grüner Wasserstoff ist kein Ausweg?

In der Theorie könnte grüner Wasserstoff zum postfossilen Stromspeicher werden. Aber das ist nicht nur technisch extrem herausfordernd, sondern auch extrem teuer, denn die Schleife vom Strom über den Wasserstoff zurück zum Strom vernichtet drei Viertel der Energie. Eine Wärmepumpe, die in einer Dunkelflaute läuft, während derer der Strom aus grünem Wasserstoff gewonnen wird, braucht mehr Primärenergie als eine Ölheizung, und ein E-Auto braucht dann mehr Primärenergie als ein Diesel.

Schaffen wir den Totalausstieg aus den fossilen Brennstoffen bis 2045?

Keine Chance. Deutschland ist in den vergangenen 30 Jahren beim Einsparen von Emissionen gut voran gekommen. Das lag am Untergang der DDR-Industrie. Um den Erfolg zu wiederholen, müssten wir die westdeutsche Industrie auch noch untergehen lassen. Das wollen wir hoffentlich nicht.

Wie lange haben wir Zeit?

Es gibt keinen Grund zur Panik. Die Erderwärmung ist gefährlich. Aber zu behaupten, die Welt verglühe, wenn wir nicht in den nächsten zwei, drei Jahren den Schalter umlegen, ist Unfug. Auch der Weltklimarat hat kürzlich dargelegt, dass es keine Gefahr einer unaufhaltsamen Selbstbeschleunigung gibt, nur die freilich auch nicht geringe Gefahr dauerhaft höherer Temperaturen. Es gibt kein CO2-Restbudget, bei dessen Überschreitung alles untergeht. Die Welt braucht eine grüne Transformation, um von den fossilen Brennstoffen wegzukommen. Wir müssen den Temperaturanstieg verlangsamen, aber beharrlich und mit kühlem Kopf. Das ist grundsätzlich machbar, wenn sich alle beteiligen. Wer in Europa einen unilateralen Totalausstieg fordert, desavouiert die gesamte grüne Bewegung.

„Mit dem moralischen Zeigefinger geht das nicht“

Wenn Sie an Ihre Enkelkinder denken, macht Sie der Klimawandel beklommen?

Die Erderwärmung ist eine Geißel, das ist so. Größere Sorgen mache ich mir um die politische Stabilität, zumal sie selbst die Voraussetzung für eine erfolgreiche Klimapolitik ist.

Machen Sie es sich nicht zu einfach?

Im Gegenteil. Es ist einfach zu sagen, wir müssen unbedingt was tun, und sich in Selbstkasteiung zu üben. Effektiver wären Bemühungen, Konflikte abzubauen, um damit die Bereitschaft zu einer Beteiligung an einem weltweiten Klimaklub zu stärken. Mit dem moralischen Zeigefinger geht das nicht.

Also ethische Grundsätze aufgeben?

Nein, doch sich den Fakten beugen. Wegen des weltweiten Handels mit Brennstoffen kann man die Moral nur einmal in die Waagschale werfen, entweder beim Klimaschutz oder bei den Menschenrechten.

Dann sollte sich Deutschland für eine Kapitulation der Ukraine einsetzen?

Das ist ein gewagter Schluss. Ich finde, die Nato macht es richtig: Sie zeigt Putin, dass Geländegewinne nur zu einem sehr, sehr hohen Preis zu haben wären, damit er sich auf den Frieden einlässt.