- Friedrich Merz ist Kandidat für den Bundesvorsitz der CDU. Im Interview spricht er über die digitale Wahl, die Frauenquote und Querdenken-Demos
- Das Gespräch führten Gregor Mayntz und Kerstin Münstermann in Berlin
Herr Merz, die CDU will am 16. Januar ihren neuen Vorsitzenden wählen. Aller Voraussicht nach digital. Für wie rechtssicher halten Sie die Wahl?Merz: Es ist ohne Zweifel eine juristische und eine technische Herausforderung. Aber wenn die CDU eine moderne Partei sein will, dann wollen wir zeigen, dass wir so etwas können – auch digital. Und die Partei braucht für das Wahljahr dringend eine neue Führung. Wir sind schon jetzt am Rande eines vernünftigen Zeitplans.
Ist der 16. Januar 2021 also in Stein gemeißelt?
In Stein gemeißelt ist in diesem Leben wenig. Aber alle drei Kandidaten haben sich auf dieses Datum verständigt – wir sollten es jetzt auch einhalten.
Warum wartet die Union nicht bis Ostern? Dann könnte man CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur in einem klären.
Wir wollen uns ja nicht nur personell, sondern vor allem konzeptionell und inhaltlich auf die Bundestagswahl vorbereiten. Alle anderen Parteien sind uns da schon etwas voraus. Nach dem Parteitag haben wir dafür dann nur noch acht Monate, das ist nicht zu viel.
Die scheidende Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer beklagte, es gebe einen ruinösen Wettbewerb, die Partei dürfe auch keinen Wahlkampf wie in den 80er Jahren führen. Trifft Sie der Vorwurf?
Nach meiner Einschätzung teilt keiner der drei Kandidaten diese Analyse. Wir haben einen ganz normalen innerparteilichen Wettbewerb um die Führung der CDU. Kompetitiv ja, aber nicht ruinös.
Halten Sie an Generalsekretär Paul Ziemiak fest?
Meinen Vorschlag zur Besetzung dieses wichtigen Amtes werde ich den Delegierten unterbreiten sobald die Einladung für den Parteitag herausgeht.
Wie werden Sie nach einem Sieg mit den „erheblichen Teilen des Establishments“ umgehen, der Sie verhindern wollte?
Dann bin ich ja selbst Teil des Parteiestablishments (lacht). Wir werden sicher alle gut zusammenarbeiten.
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Sind Ihnen bei diesem Vorwurf die Nerven durchgegangen?
Im Gegenteil. Das war eine sachliche Analyse und ganz ruhig im Vortrag. Ich habe nüchtern die Lage beschrieben.
Könnte CSU-Chef Markus Söder Kanzler?
Diese Aufgabe gehört ganz grundsätzlich zur Jobbeschreibung eines jeden Vorsitzenden von CDU oder CSU.
Die Koalition hat sich auf eine Frauenquote für Vorstände geeinigt, nach langem Widerstand der Union. Ein richtiger Schritt aus Ihrer Sicht?
Die Einigung stößt zur Recht bei vielen auf Skepsis. Die Zielgröße Null der Unternehmen kann natürlich nicht richtig sein. Aber nehmen Sie folgendes Beispiel: in einem vierköpfigen Vorstand geht der Technik-Vorstand in den Ruhestand. Dafür findet sich partout keine Frau, weil es in Deutschland einfach zu wenige in den technischen Berufen gibt. Dann müssten der Finanzvorstand, der Personalvorstand oder der Vorstandsvorsitzende gehen, damit eine Frau in den Vorstand kommt. Das ist lebensfremd. Ich bestreite das Problem nicht, aber es gibt erheblichen Beratungsbedarf in den Details.
Wie sehen Sie die AfD nach den jüngsten Zwischenfällen mit dem Einschleusen von Störern in den Bundestag?
Das entspricht meinem Bild von dieser Partei. Gegen solche Personen muss man hart vorgehen. Leider wird mit den neuen Auflagen für das Mitbringen von Gästen auch die Freiheit aller anderen Abgeordneten eingeschränkt, die sich an die Regeln halten.
Sollte der Verfassungsschutz die gesamte Partei beobachten? Als Vorbereitung für ein Parteiverbot?
Weder mit Beobachtungen noch mit Verboten wird aus dieser Partei etwas Besseres. Wir müssen es schaffen, dass sich die Wählerinnen und Wähler solchen Parteien, solchen Gruppierungen und auch den dahinter stehenden Verschwörungstheorien nicht weiter zuwenden. Ich habe noch nie etwas von Parteiverboten gehalten. Wir wissen, welche Verrenkungen unternommen werden mussten, um das NPD-Verbot durchzusetzen. Es ist die Aufgabe aller demokratischen Parteien, im politischen Diskurs dafür sorgen, dass nicht zu viele Menschen in die extreme Richtung abdriften.
Bei „Querdenken“-Demos ist das Abdriften sehr genau zu beobachten. Sollte man in Pandemie-Zeiten zu Einschränkungen kommen?
Ich bin an dem Tag in der vergangenen Woche mit der S-Bahn ins Büro gefahren und am Reichstag an der Demonstration vorbeigekommen. Darunter waren viele ganz normale bürgerliche Leute, die von den Corona-Regeln nicht überzeugt sind. Allerdings mischen sich „Reichsbürger“, „Querdenker“ und wie sie alle heißen deutlich sichtbar unter diese Demonstranten und radikalisieren die ganze Versammlung. Die Menschen haben das gute Recht, gegen Gesetze und Verordnungen zu demonstrieren, und das muss auch so bleiben. Wenn sie sich nicht an die Regeln halten, muss die Polizei die Versammlung auflösen. Aber ich halte nichts davon, große Teile der Bevölkerung pauschal zu stigmatisieren.
Wie war Ihre Feststellung zu verstehen, den Staat gehe es nichts an, wie Sie Weihnachten feiern. Wollen Sie selbst entscheiden, wen und wie viele Sie ins Haus holen?
Die Formulierung habe ich in einigen Zeitungen so oder ähnlich wiedergefunden, auch in manchem Kommentar. Es muss gerade zu Weihnachten Räume für das Privatleben und die Familien geben, die der Staat grundsätzlich nicht kontrolliert. Er darf und sollte für die Weihnachtstage auf das Verantwortungsgefühl der Menschen im Land setzen.
Wie beurteilen Sie die am Mittwoch getroffenen Regelungen für einen weiteren Lockdown.
Ich habe immer zu den Vorsichtigen gehört und sage auch heute: Mit Blick auf die nach wie vor schwierige Infektionslage sind diese Regeln meines Erachtens angemessen. Für das Weihnachtsfest im Familienkreis wurde eine gute Lösung gefunden. Und dass große Silvesterpartys nicht stattfinden können, war den meisten Menschen im Land sicher schon vorher klar. Feuerwerk im kleinen Kreis bleibt ja trotzdem erlaubt, das finde ich auch sinnvoll.
Es wird erneut teuer, der Bundesfinanzminister muss höhere Schulden aufnehmen. Kleistern wir die Corona-Wunde nur zu`?
Ich mache mir den Satz von Olaf Scholz, dass wir uns alles leisten können, ausdrücklich nicht zu Eigen. Es ist richtig, dass den Betrieben und Arbeitnehmern in der akuten Phase der Pandemie geholfen wird. Nach der Corona-Krise müssen wir aber rasch zurückkehren zu ausgeglichenen Haushalten. Denn die junge Generation muss diese ganzen Schulden irgendwann bezahlen, das dürfen wir nicht vergessen.
Erfüllt die Biden-Präsidentschaft den Transatlantiker mit Hoffnung?
Es empfindet wohl fast jeder in der westlichen Welt als Erleichterung, dass es einen Wechsel im Weißen Haus gibt. Wir sollten uns trotzdem keine Illusionen machen. Joe Bidens Präsidentschaft wird schwierig, vor allem, wenn die Republikaner im Senat die Mehrheit behalten. Er dürfte auch erhebliche Auseinandersetzungen mit seiner eigenen Partei bekommen, die in den letzten Jahren sehr weit nach links gerückt ist. Ich rechne nicht damit, dass wir den Geist des Freihandels in Washington in neuer Blüte erleben Aber der Ton wird sich mäßigen, wir können zu vernünftigen Umgangsformen zurückkehren und die Biden-Präsidentschaft wird sich wieder an gemeinsamen Werten orientieren.
Als Trump noch glaubte, gewonnen zu haben, sagten Sie, Sie kämen mit ihm klar. Kämen Sie auch mit Biden klar?
Ich habe gesagt, dass jeder deutsche Regierungschef mit jedem amerikanischen Präsidenten klarkommen muss. Das wird mit Biden vermutlich einfacher sein. Auch wenn es Meinungsunterschiede gibt, werden wir sie in einem vernünftigen Ton miteinander austragen.
Hatten Sie schon Kontakt mit dem Übergangsteam Bidens?
Ja, und ich habe auch bereits die ersten Einladungen bekommen. Ich kenne den neuen Außenminister und die neue Finanzministerin seit vielen Jahren sehr gut. Aber Besuche werden natürlich erst ab der dem Frühjahr stattfinden können.
Haben Sie Signale, dass der Truppenabzug aus Deutschland abgesagt wird?
Ich vermute, dass er nicht so umgesetzt wird, wie Trump ihn angekündigt hat.
Wie bewerten Sie es, dass sich Trump so schwer damit tut zu weichen?
Seine jüngsten Äußerungen zeigen, dass nun offenbar genug Druck auf ihn ausgeübt wird. Er wird vielleicht versuchen, einen letzten, einigermaßen würdevollen Schritt zu tun. Ich setze darauf, dass er sich nicht mit hässlichen Bildern verabschieden will. Er wird gehen, aber 72 Millionen Trump-Wähler bleiben und ihre Repräsentanten in den Parlamenten auch. Das wird die amerikanische Demokratie weiter erheblich beschweren.
Rechnen Sie damit, dass er in vier Jahren für eine zweite Amtszeit ins Rennen geht?
Na ja, Trump wäre in vier Jahren so alt wie Biden heute. Das ist nicht völlig ausgeschlossen, und deshalb gibt es allen Grund, dieser neuen Regierung Erfolg zu wünschen.
Was bedeutet der dort von China geschaffene größte Freihandelsraum der Welt für uns?
Wir müssen dem Thema größte Aufmerksamkeit schenken. Die nun verbundenen Staaten erwirtschaften heute schon ein Drittel des weltweiten Bruttoinlandsproduktes. Sie wollen in zehn Jahren 50 Prozent erreichen. Das ist die am dynamischsten wachsende Region der Welt. Das wollten wir in Europa eigentlich mal sein Wir müssen uns jetzt anstrengen, und wir sollten mit der neuen amerikanischen Regierung zu einer gemeinsamen Einschätzung und auch zu einer Strategie gegenüber dieser stark wachsenden Region kommen.
Ähnlich argumentiert die Bundeskanzlerin. Sie will schnell durch die Corona-Krise kommen, um China nicht einen noch größeren Vorsprung zu lassen.
Ich teile das voll und ganz. Es gibt allen Grund, Corona schnell hinter uns zu lassen, wie es im asiatischen Raum schon geschieht, und uns wieder diesen Themen zuzuwenden.
In der Niederlage zeigt sich Größe. Trump tut sich schwer damit. Wie würden Sie mit einer Niederlage umgehen? Im Team des neuen Vorsitzenden mitwirken?
Ich habe 2018 gesagt, dass ich bereit bin, der Regierung und der Partei zu helfen. Das habe ich im Rahmen dessen, was beide gewünscht haben, auch getan. Mein Angebot steht, aber ich gehe fest davon aus, dass ich die Abstimmung am 16. Januar gewinne.