Frage des TagesWelche Perspektiven haben die Grünen?
- Zwei Wochen vor dem Bundesparteitag der Grünen haben Robert Habeck und Annalena Baerbock ihre Partei offiziell um die Wiederwahl als Parteichefs gebeten.
- Dafür werden ihnen gute Chancen eingeräumt.
- Doch wohin wollen die Grünen inhaltlich?
Berlin – Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident, musste kräftig zurückrudern, nachdem er sich am Donnerstag bei einer Diskussionsveranstaltung im Stuttgarter Theater einen Faux-Pas erlaubt hatte. Auf die Frage, wen er in seiner Partei als Kanzlerkandidaten für geeignet hält, hatte Kretschmann den Namen Robert Habecks genannt. Dessen Co-Parteivorsitzende Annalena Baerbock erwähnte er nicht. Am Freitag stellte Kretschmann eilig klar, dass die Kandidatenfrage derzeit nicht anstehe.
Umfrage
Union und Grüne verlieren einer neuen Umfrage zufolge jeweils zwei Prozentpunkte in der Wählergunst. Laut dem Emnid-Sonntagstrend für die „Bild am Sonntag“ kommen CDU und CSU auf 27 Prozent, die Grünen auf 18 Prozent. Die Grünen rutschen damit erstmals seit Mai dieses Jahres wieder unter die 20-Prozent-Marke. Schwarz-Grün hätte damit keine Mehrheit mehr. Jeweils einen Prozentpunkt legen SPD (16 Prozent), AfD (15 Prozent) und FDP (9 Prozent) zu. Die Linke verharrt wie in der Vorwoche bei 9 Prozent. Befragt wurden 1920 Menschen vom 24. bis 30. Oktober.
Wie halten es die Grünen mit der K-Frage?
Die Aufregung, die ein vergleichsweise kleiner Ausrutscher des erfahrenen Mannes inner- und außerhalb der Partei ausgelöst hat, macht deutlich, wohin die Grünen spätestens 2021 wollen: Wenn nicht ins Kanzleramt, dann auf jeden Fall als nahezu gleichwertiger Partner der Union in die nächste Bundesregierung. Dazu braucht es Geschlossenheit – und nichts könnte diese so sehr gefährden wie eine verfrühte Diskussion über die Kanzlerkandidaten-Frage. Die Grünen wollen die Geschlossenheit, die sie unter der Führung Habecks und Baerbocks nach außen gefunden haben, und die bis zu einem Regierungswechsel verbliebene Zeit nutzen, um sich breiter aufzustellen und als neue linke Volkspartei anstelle der SPD zu empfehlen:
Was sollen die Grünen inhaltlich erreichen?
In einem Leitantrag des Parteivorstands für den Bundesparteitag Mitte November bekennen sie sich eindeutiger denn je zur Sozialen Marktwirtschaft. „Märkte können, wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird“, heißt es darin. „Märkte sind ein mächtiges Instrument“, man müsse ihnen nur den richtigen ökologisch-sozialen Ordnungsrahmen setzen.
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Sehen die Grünen auch Nachteile in der Marktwirtschaft?
Wachstumskritik, die früher regelmäßig die Debatten bei den Grünen beherrscht hat, findet sich im Leitantrag für den Parteitag allenfalls am Rande, auch Verbote wie das des Verbrennungsmotors bei Neuzulassungen ab 2030 spielen nur eine Nebenrolle. Stattdessen führen die Grünen auf 26 Antragsseiten aus, wie sie Klimaschutz, Agrar- und Verkehrswende mit marktwirtschaftlichen Instrumenten konkret umzusetzen gedenken. Das Papier ist durchdrungen vom Pragmatismus. „Die Grünen sind schon länger keine systemkritische Partei mehr. Sie haben im Grundsatz akzeptiert, dass sie ihre ökologischen Ziele ohne Wirtschaftswachstum nicht erreichen können. Aber sie wollen, dass der Staat stärker regulierend eingreift, deshalb sind sie schon auch noch eine linke Partei“, sagt der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker.
Was treibt die Grünen bei ihrer inhaltlichen Neuausrichtung an?
Der „Green New Deal“, konzipiert vom Grünen-Vordenker Ralf Fücks, soll die Wirtschaftskompetenz der Partei stärken, denn die Grünen wissen, hier trauen ihnen die Bürger noch weniger zu als beim Klimaschutz. Um weitere Wähler aus dem bürgerlichen Lager zu gewinnen, reicht die Wahrnehmung als reine Öko-Partei nicht. Deshalb entwirft der Leitantrag nicht nur mal eben ein komplettes neues Geschäftsmodell für die deutsche Wirtschaft. Er enthält auch konkrete Forderungen zur Gründungsförderung, Digitalisierung, den schnelleren Ausbau der Infrastruktur und der Netze. „Wir sind noch nicht Hauptansprechpartner zu diesen Fragen“, sagt Baerbock. Sie habe in ihren ersten beiden Jahren als Parteichefin deshalb besonderen Wert auf engere Kontakte zur Wirtschaft gelegt.