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„Die Bürokratie frisst uns auf“Warum es lange dauern kann, bei der Bundeswehr anzuheuern

Lesezeit 4 Minuten
Rekruten beim Gelöbnis: Wer zur Bundeswehr möchte, muss mitunter mit langen Wartezeiten rechnen.

Rekruten beim Gelöbnis: Wer zur Bundeswehr möchte, muss mitunter mit langen Wartezeiten rechnen. 

Die Bundeswehr leidet unter einem chronischen Personalmangel, der durch ineffiziente Bürokratie und langsame Bearbeitungsprozesse verstärkt wird.

Wie viel darf es sein? Rund 20.000 Soldaten, die der Bundeswehr im Moment nach offiziellen Zielvorgaben fehlen? 500.000 Mann, wie es dem Reservistenpräsidenten und ehemaligen CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg im vorigen Sommer vorschwebte? Oder gar eine Million, wie er mittlerweile fordert? Einig sind Soldaten und Beobachter sich in einem: Bei der Bundeswehr herrscht Personalmangel. Doch der Militärdienst kommt kaum mit der Einstellung der aktuellen Bewerber hinterher.

„Die Bürokratie frisst uns auf“, sagt etwa Manfred Schreiber, Oberst der Reserve. Er ist Präsident des niedersächsischen Reservistenverbandes und auf Bundesebene als Vizepräsident für die Ausbildung zuständig. Zusätzlich ist er noch Kommandeur des Heimatschutzregimentes 3, das in Nienburg ansässig ist, wo er 1000 Reservisten und 50 hauptberufliche Soldaten anführt. Diese werden hauptsächlich eingesetzt, um Bundeswehrstandorte und Truppenbewegungen zu bewachen. Dabei kommen auch Ungediente zum Einsatz.

Bundeswehr: Folgen der „Friedensdividende“ führen heute zu Problemen

Schreiber regt sich laut eigener Aussage schon seit Dienstantritt in den Achtzigern über unnötige bürokratische Flaschenhälse auf. Der Prozess beginnt beim Karrierecenter der Bundeswehr. Diese übernehmen die Aufgaben, die früher von den Kreiswehrersatzämtern ausgeführt wurden. „Man hat dort sehr viel Personal abgebaut, als die Weltlage noch friedlicher war“, sagt Schreiber. Als „Friedensdividende“ bezeichnet man diese Einsparungen nach dem Kalten Krieg in Bundeswehrkreisen.

Die Folge: „Die Personalabteilung der Bundeswehr ist chronisch unterbesetzt“, beobachtet Schreiber. Dabei kommt eine Menge Arbeit hinzu: Mittlerweile sei die Zahl der Bewerber „signifikant“ gestiegen, erklärt eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln, wo das Personalmanagement der Bundeswehr angesiedelt ist. Sie verzeichnet ein Plus von 19 Prozent zwischen 2023 und 2024. „Im Durchschnitt beträgt die Zeitdauer vom Eingang einer Bewerbung bis zur Durchführung des Assessmentverfahrens rund sieben Wochen“, schreibt sie unserer Redaktion.

Für den Oberst ist das Problem jedoch ein anderes: „Unsere Reservisten müssen sich bei der Bearbeitung hinten anstellen“, sagt er. Bis es für sie zur Musterung geht, dauert es laut Schreiber sechs bis zwölf Monate. Sein Regiment schafft es, diese Zeit zu reduzieren, indem es Bewerbern hilft, ihre Unterlagen zusammenzustellen und sie schon mal prüft. Das Karrierecenter muss sie dann nur noch einpflegen.

Budneswehr: Zu wenig Ärzte für die Musterung

Auch an Ärzten für die Musterung mangelt es bei der Bundeswehr. Man behilft sich mit Vertragsärzten, doch auch diese haben wenig Zeit. „Schließlich müssen die sich auch um ihre eigenen Praxen kümmern“, berichtet Schreiber. Zudem kann der Arzt, der die Musterung durchführt, auch Untersuchungen beim Facharzt anordnen, die den Prozess weiter verlängern können. „Frauen müssen zum Beispiel vom Gynäkologen überprüfen lassen, ob sie nicht schwanger sind“, so der Vize des Reservistenverbandes.

Bewerber müssen laut „Beorderungssicherungsüberprüfungsgesetz“ geheimdienstlich überprüft werden, wenn sie Zugang zu Waffen und Munition bekommen. Dafür haben die Soldaten in spe eine „Elektronische Sicherheitserklärung“, kurz ELSE, auszufüllen. Dabei müssen Bewerber 35 Fragen beantworten, um eine Verwicklung mit ausländischen Geheimdiensten und verfassungsfeindlichen Organisationen auszuschließen. Dort sollen auch alle Vermieter der letzten fünf Jahre angegeben werden, darüber hinaus Informationen über Reisen in der Bundesrepublik feindlich gesinnte Staaten. Auswerten muss diese Informationen der Militärische Abschirmdienst.

Die Personalabteilung der Bundeswehr ist chronisch unterbesetzt.
Manfred Schreiber, Oberst der Reserve und Vizepräsident des Deutschen Reservistenverbandes

Der kommt mit dieser Aufgabe jedoch kaum hinterher, auch weil jeder Soldat alle fünf Jahre neu überprüft werden muss: „Für das Jahr 2023 wurden beispielsweise 62.809 Sicherheitsüberprüfungen beantragt und 57.375 abgeschlossen“, schreibt ein Sprecher des zuständigen Bundesamtes.

Acht Prozent der Anträge sind also liegengeblieben. 2024 habe sich die Zahl der zu bearbeitenden Anträge noch einmal um 18 Prozent auf 67.976 erhöht. Genaue Zahlen zur Bearbeitungszeit will der Geheimdienst jedoch nicht herausgeben. Nur so viel: „Der Militärische Abschirmdienst (MAD) unternimmt hohe Anstrengungen zur Verkürzung der Bearbeitungszeiten von Sicherheitsüberprüfungen.“ Dazu gehöre zusätzliches Personal, die Digitalisierung und „kontinuierliche Prozessoptimierung“.

Wenn alle Hürden bewältigt und ein Dienstposten für den Soldaten gefunden wird, kann die Ausbildung losgehen. Zumindest, wenn alles nach Plan läuft. Doch momentan ruht etwa die „Ausbildung für Ungediente“ für Neubewerber. „Durch die Reorganisation der Bundeswehr befindet sich auch die Ausbildung Ungedienter in der Umstellung“, schreibt eine Sprecherin des Heeres auf Anfrage unserer Redaktion. Ihre Teilstreitkraft ist seit dem 1. April für die Heimatschutzkommandos und damit auch für ihre Ausbildung zuständig.

Im laufenden Jahr soll die Ausbildung „mit den bereits ausgeplanten Durchgängen“ weiter stattfinden. Dabei gehe es um rund 500 Plätze. „Eine endgültige Entscheidung des BMVg, wie die Ausbildung Ungedienter in Zukunft durchgeführt werden soll, steht noch aus“, heißt es allerdings vom Heer.