Angesichts des erwarteten Anstiegs der Corona-Zahlen im Herbst sollen sich die Schulen gezielt vorbereiten, sagt Bettina Stark-Watzinger im Interview mit Rena Lehmann und Stefanie Witte. Doch lässt das geplante Infektionsschutzgesetz des Bundes dafür genug Spielraum?
Frau Stark-Watzinger, Dauerlüften im Klassenzimmer wegen Corona und Energiesparen – wie soll das im kommenden Winter zusammenpassen?
Wir müssen pragmatisch handeln: Schülerinnen und Schüler dürfen nicht leiden, wenn eine Energieknappheit eintritt. Schulen müssen offen bleiben und mit Energie versorgt werden. Das Lüften kann man durch den Betrieb geeigneter technischer Anlagen unterstützen. CO2 -Ampeln können anzeigen, wann Fenster geöffnet und auch wieder geschlossen werden sollten.
Die deutschen Amtsärzte fordern bundesweit einheitliche Corona-Regeln für Herbst und Winter. Die Bundesregierung sollte klare Vorgaben machen und einheitliche Grenzwerte festlegen, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Johannes Nießen, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Eine hohe Akzeptanz für die Maßnahmen werde es nur geben, wenn die Regeln für alle nachvollziehbar seien. Es müsse klar sein, ab wann die Länder etwa eine Maskenpflicht in Innenräumen oder in Schulen vorschreiben.
Ein Ampelsystem könnte dies aus Sicht der Amtsärzte gewährleisten: Bei einer Inzidenz unter 500 und weniger als 1000 Covid-Intensivpatienten bundesweit sowie „keinerlei besorgniserregenden Hinweisen aus den Abwasseranalysen“ sei man im grünen Bereich, so Nießen. „Liegen die Werte darüber, sollte man alarmiert sein und bei Veranstaltungen in Innenräumen Masken vorschreiben.“ Bei einer Inzidenz über 1000 und mehr als 5000 Covid-Intensivpatienten sollte die Ampel auf Rot springen. „Dann sollten keine Ausnahmen von der Maskenpflicht mehr möglich sein, und es muss über weitergehende Maßnahmen entschieden werden.“ (dpa)
Müssen Schulen im Fall einer temporären Schließung, etwa aufgrund einer neuen, aggressiven Covid-Variante, digitalen Fernunterricht anbieten können?
Flächendeckende Schulschließungen darf es nicht mehr geben. Die Wissenschaft geht davon aus, dass sich der Winter angesichts der jetzt bekannten Varianten bewältigen lässt. Ich gehe vom Besten aus, aber man muss sich auch auf das Schwierigste vorbereiten. Sollte es lokal gehäufte Ausfälle bei Lehrkräften geben, kann es punktuell zu Schulschließungen kommen. Jetzt, im Sommer, ist Zeit, die Schulen auf den Winter vorzubereiten, beispielsweise mit CO2 -Ampeln und guten Kommunikationswegen zu den Eltern. Zur Vorbereitung gehören aber auch digitale Stresstests, die zeigen sollen, ob es möglich ist, etwa Kindern in Quarantäne digitalen Unterricht zumindest anzubieten.
Könnten die Universitäten einen Beitrag zum Energiesparen leisten, indem sie ein weiteres Online-Semester anbieten?
Hochschulen müssen offen bleiben. Ein reines Digitalsemester lehne ich ab. Eine Universität lebt vom Austausch, von der Diskussion. Das ist auch der Wunsch der Studierenden wie der Lehrenden. Das Campusleben vor Ort ist wichtiger Bestandteil eines Studiums.
Zahlreiche FDP-Abgeordnete wollen den Plänen für ein neues Infektionsschutzgesetz nicht zustimmen. Wie halten Sie es persönlich damit?
Ich bin selbst Parlamentarierin und habe mir in den letzten Jahren manchmal ein lebendigeres Parlament gewünscht. So etwas wie Ausgangssperren hätte es nie geben dürfen. Insofern finde ich eine breite Debatte gut. Wir haben dazu jetzt erste Vorschläge vorgelegt, an denen wir aber sicher noch weiterarbeiten werden. Wir streben in jeder Hinsicht eine verhältnismäßige Bekämpfung der Pandemie an. Deshalb ist mir auch so wichtig, dass in den Schulen keine generelle Maskenpflicht herrscht. Wie weitere Ausnahmen aussehen, werden wir im Parlament debattieren.
Maskenpflicht
63 Prozent der Menschen sind für eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr für Herbst und Winter. Laut Umfrage des Instituts YouGov unterstützen 58 Prozent dies auch in Fernzügen und Flugzeugen. Eine Maskenpflicht beim Einkaufen befürworten 46 Prozent, für Schulen tun dies jedoch nur noch 29 Prozent. (dpa)
Wird die Corona-Politik zum Spaltpilz für die Ampel-Koalition?
Nein, die Corona-Politik wird nicht zum Spaltpilz. Die Debatte im Parlament spiegelt die Breite der Debatte in der Bevölkerung wider. Diese nehmen wir natürlich auch wahr, und wir werden sie auswerten. Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Es ist natürlich Quatsch, wenn aktuell verschiedentlich behauptet wird, dass sich alle Bürger nun alle drei Monate impfen lassen sollen. Eine solche Pflicht ist nicht Teil der Überlegungen, das wäre unverhältnismäßig. Und dem würde ich auch nie zustimmen.
Sind die Ausnahmen für frisch Geimpfte nicht eine Aufforderung zur vierten Impfung für alle und zur Auffrischung alle drei Monate?
Mein Verständnis war immer, dass die Ausnahmen nicht so zu verstehen sind, dass sich dann die Leute alle drei Monate impfen lassen sollen. Ich habe ebenfalls deutlich gemacht, dass ich eine solche Maßnahme auch nicht mittragen würde. Das ist auch medizinisch unsinnig.
Die Frage, wie lange ein ausreichend hoher Immunschutz besteht, sollte jetzt im parlamentarischen Verfahren geklärt werden. Ob man sich impfen lässt oder nicht, bleibt die Entscheidung jeder Bürgerin und jedes Bürgers. Hinsichtlich der vierten Impfung vertraue ich auf die Einschätzung und Empfehlungen der Stiko.
Sollten sich die Schülerinnen und Schüler impfen lassen?
Da ich die Impfung an sich für ein wichtiges Instrument bei der Bekämpfung von Corona halte, habe ich entlang der Empfehlung der Stiko ein niederschwelliges, freiwilliges Impfangebot für Schülerinnen und Schüler gefordert.
Was meinen Sie? Kann der Corona-Herbst aus Sicht der Schulen kommen? Bitte schreiben Sie uns: Dialog@kr-redaktion.de oder Kölnische Rundschau, Leserbriefe, Postfach 102145, 50461 Köln.