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Die neue Grünen-SpitzeDas Kanzleramt bleibt fest im Blick

Lesezeit 4 Minuten

Kämpferische Rede aus den eigenen vier Wänden: Ricarda Lang musste wegen einer Corona-Infektion zu Hause bleiben.

Berlin – Mit frischem Spitzenpersonal richten sich die Grünen in der neuen Rolle als Regierungspartei im Bund ein. Die bisherige Vize-Parteichefin Ricarda Lang (28) steht im neuen Vorsitzenden-Duo für eine klar linke Agenda, der Realo Omid Nouripour (46) hat Spaß an der gelegentlichen Provokation – zum Beispiel mit einem Seitenhieb auf Altkanzler Gerhard Schröder zum Ausklang seiner Bewerbungsrede beim Online-Parteitag am Samstag.

Selbstkritik wegen Corona-Boni

Grünen-Bundesschatzmeister Marc Urbatsch hat im Rückblick Fehler bei der Genehmigung von Corona-Boni durch den Parteivorstand an sich selbst eingeräumt. „Klar ist: Mit dem Wissen von heute würden wir solch einen Beschluss nicht mehr fassen“, so Urbatsch bei der Vorstellung des Partei-Haushalts. „Parteiinterne Kritik daran ist nachvollziehbar und berechtigt.“ Vor kurzem war bekannt geworden, dass die Berliner Staatsanwaltschaft wegen Anfangsverdachts der Untreue gegen den Bundesvorstand der Grünen ermittelt. Den Bonus in Höhe von 1500 Euro pro Person hat der Vorstand inzwischen zurückgezahlt, die Regeln wurden geändert. (dpa)

„Als Student habe ich gekellnert, heute kann ich besser kochen als Lars Klingbeil und Friedrich Merz“, sagt er über die Vorsitzenden von SPD und CDU. „Ich bitte um euer Vertrauen.“ Damit spielt Nouripour auf einen Spruch Schröders an. Der SPD-Politiker hatte einst gesagt, in einem rot-grünen Bündnis sei klar, wer Koch und wer Kellner sei. Doch die Grünen, das betonen sie immer wieder, sehnen sich trotz Platz drei bei der Bundestagswahl im September nach wie vor nach dem erstmaligen Einzug ins Kanzleramt.

Sein Ziel sei es, die Partei voranzubringen, um „wieder in der K-Frage mitspielen zu können“, erklärt Nouripour. Nicht weniger kämpferisch gibt sich die designierte Co-Parteichefin Lang, die wegen einer Corona-Infektion nicht auf der Bühne im Berliner Velodrom steht, sondern sich wie die mehreren Hundert Delegierten per Internet von zu Hause zuschalten muss.

Austarierung als Regierungspartei

„Ich sehe aus, wie ich aussehe, und ich bin verdammt stolz, Politik in einer Partei zu machen, in der nichts davon darüber entscheidet, was mir politisch zugetraut wird“, sagt sie. Lang wird in sozialen Medien immer wieder angefeindet für ihre Positionen und ihr Erscheinungsbild. Sie ist eine der jüngsten Grünen-Vorsitzenden aller Zeiten.

Die beiden scheidenden Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock, seit Dezember Minister in der Ampel-Regierung mit SPD und FDP, sind am Freitagabend verabschiedet worden. Nach 16 Jahren Opposition im Bund muss die Partei nun das Verhältnis zwischen Partei, Fraktion und den eigenen Ministern austarieren.

Lang wirbt für Kompromissbereitschaft. „Wir machen Politik doch nicht nur, um uns auf die Schulter zu klopfen“, sagt sie. Es gehe darum, zu gestalten, nicht „mit einer weißen Weste“ am Rand zu stehen. „Bei der Corona-Krise und auch bei der Klimakrise gibt es kein Abwarten“, fügt sie hinzu. Auch die Verbesserung der Lage von Familien mit geringem Einkommen sei ihr ein wichtiges Anliegen.

Lang erhält ohne Gegenkandidatin 75,93 Prozent der abgegebenen Stimmen, Nouripour kommt gegen zwei Mitbewerber auf 82,58 Prozent. Die digitalen Voten müssen per Briefwahl bestätigt werden, was bis zum 14. Februar geschehen soll.

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Doch bei allem Glück über die lang ersehnte Verantwortung ist auch Misstrauen gegenüber der Macht zu spüren. Während es die CDU lange als Selbstverständlichkeit begriff, dass Kanzlerin Angela Merkel zugleich Parteivorsitzende war, ist den Grünen die Trennung von Parteiamt und Mandat ein heiliger Grundsatz. Ein Vorstoß für eine noch striktere Trennung scheitert. Vor allem von älteren Grünen kommen Vorschläge, die die Macht der Basis gegenüber Regierungsmitgliedern und Abgeordneten stärken sollen. Jüngere Delegierte konzentrieren sich eher auf Forderungen nach ambitionierteren Klimaschutz-Maßnahmen, Unterstützung für die Rettung von Migranten und Entlastungen für Menschen mit sehr niedrigen Einkommen.

Rein optisch wirkt der Parteitag sachlicher als üblich. Die üblichen Hintergrundfotos von wogenden Wäldern und lichtdurchfluteter Natur fehlen, in der Dekoration überwiegen klare Linien in Pastellfarben. So wenig Sonnenblume ist selten bei Grünen-Parteitagen. Stattdessen schwenken gewählte und scheidende Top-Politiker bunte Tulpensträuße. Im Großen und Ganzen sind die Grünen ziemlich zufrieden mit sich. (dpa)