BundestagswahlSechs besondere Wahlkreise in Deutschland
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Berlin – Rund 61,5 Millionen Deutsche – und damit 400.000 weniger als vor vier Jahren – sind für diesen Sonntag aufgerufen, den neuen Bundestag zusammenzustellen. Nur drei Millionen davon kommen als Erstwähler hinzu, während mehr als ein Drittel über 60 Jahre alt ist. Sie können sich ihre Vertreter aus insgesamt 4828 Kandidaten aussuchen – so viele wie seit 1998 nicht mehr –, die von 42 Parteien aufgestellt werden.
Während etwas mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten Frauen sind, sind von den unter den gut 4800 Wahlbewerbern nur 1400 weiblich, weniger als ein Drittel. Gewählt wird – dank der ehrenamtlichen Unterstützung von 650.000 Wahlhelfern – in bundesweit 299 Wahlkreisen, von denen es die meisten in Nordrhein-Westfalen gibt (64 Stück) und die wenigsten in Bremen (zwei Stück).
Wie vielfältig Deutschland ist, lässt sich dabei auch aus den Daten lesen, die der Bundeswahlleiter zu den Wahlkreisen zusammenstellen kann, indem er Zahlen des Statistischen Bundesamtes sowie von Behörden wie Einwohnermeldeämtern, Kraftfahrtbundesamt oder Arbeitsagentur auswertet.
Eine Auswahl besonders typischer und untypischer Wahlkreise – und wie sie politisch so ticken.
Helmstedt-Wolfsburg hat die meisten Autos
(Wahlkreis 51, Niedersachsen)
Mit mehr als 60.000 Arbeitnehmern ist Volkswagen nicht nur der größte Arbeitgeber in Wolfsburg – sondern auch ein politischer Faktor. Seit die Dieselkrise ausbrach, die die abgelaufene Legislatur und den Wahlkampf mitbestimmte, liegen hier die Nerven blank. Kein Wunder: Im Wahlkreis Helmstedt-Wolfsburg – der die Städte und Gemeinden Wolfsburg, Büddenstedt, Helmstedt, Königslutter am Elm, Lehre und Schöningen umfasst – ist man gleich doppelt betroffen: wegen des Hauptarbeitgebers und weil es nirgends in Deutschland so viele Fahrzeuge gibt.
Laut Kraftfahrt-Bundesamt sind hier pro tausend Einwohner 977,4 Pkw zugelassen. Der nationale Durchschnitt liegt bei 668,9. Kein Wunder, dass auch der bisherige Volksvertreter des Wahlkreises eine Verbindung zum Automacher hat: CDU-Mann Günter Lach absolvierte schon seine Ausbildung zum Werkzeugmacher bei VW. Er tritt wieder an und hat gute Chancen. Vor vier Jahren war die CDU hier stärkste Kraft mit 41 Prozent, gefolgt von der SPD mit knapp 35 und den Grünen mit knapp 7, der Rest lag unter 5 Prozent.
Bremen II – Bremerhaven ist Hartz-IV-Hochburg
(Wahlkreis 55)
Tief im Westen und hoch im Norden, da liegen die beiden Wahlkreise mit den höchsten Arbeitslosenzahlen bei dieser Bundestagswahl. Die Negativliste führt Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen an, in Sachen Langzeitarbeitslosigkeit jedoch dicht gefolgt vom Wahlkreis Bremen II, der neben den nördlichen Bremer Stadtteilen auch die kreisfreie Stadt Bremerhaven umfasst. Im Wahlkreis leben, rein statistisch, 162,2 von 1000 Einwohnern von Hartz IV.
Als Grund für die wachsende Zahl der Arbeitslosen wird die Zuwanderung in den letzten zwei Jahren genannt. Die Ergebnisse von 2013 zeigen, dass die SPD dort mit 38,8 Prozent vergleichsweise stark ist – übrigens auch in Gelsenkirchen, wo sie zuletzt mit 44 Prozent ihr bundesweit bestes Ergebnis erreichte. Den Wahlkreis Bremen II vertrat im Bundestag in der endenden Legislaturperiode der frühere Bremer Senator und SPD-Landeschef Uwe Beckmeyer, der zuletzt Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium war. Zur Wahl am Sonntag tritt er nicht erneut an.
In Frankfurt am Main I leben die meisten Ausländer
(Wahlkreis 182, Hessen)
Frankfurt am Main ist sowohl internationale Wirtschaftsmetropole, die Banker und Manager vor allem aus ganz Europa anzieht, als auch eine Einwanderungshochburg. So kommt es, dass in diesem erstmalig mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund hat – also selbst Ausländer ist oder ausländische Wurzeln hat. Bereits 2015 waren mehr als 90 Prozent der weltweit 194 Staatsangehörigkeiten in Frankfurt vertreten.
Frankfurt besteht aus sechs Wahlkreisen mit teils großen sozialen Gegensätze: So verdienen die Einwohner von Frankfurt I deutlich schlechter als im benachbarten Wahlkreis Frankfurt II, auch die Arbeitslosenquote ist höher. Konzentriert man sich allein auf die ausländische Staatsangehörigkeit, dann ist der deutsche Wahlkreis mit den meisten Ausländern „Frankfurt am Main I“, wo dies auf 31,4 Prozent der Bewohner zutrifft – bundesweiter Rekord. Die größte Gruppe sind Menschen mit türkischen Wurzeln, analog zur Bundesebene, wo die rund 720.000 Deutschtürken die größte Gruppe unter den rund 6 Millionen Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund sind.
Im Harz gibt es die meisten Nichtwähler (Sachsen Anhalt)
(Wahkreis 68, Sachsen-Anhalt)
Vor vier Jahren haben sich rund 30 Prozent aller Wahlberechtigen in Deutschland der Stimme enthalten, bei den Landtagswahlen seither war die Beteiligung dann jedoch stets gegenüber dem vorherigen Urnengang gestiegen. Gemessen an 2013 war die Wahlbeteiligung in Ostdeutschland mit 67,6 Prozent grundsätzlich niedriger als im alten Bundesgebiet (72,4 Prozent). Die Hochburg der Nichtwähler lag dabei in Sachsen-Anhalt: Im Wahlkreis Harz gingen seinerzeit 41,1 Prozent nicht zur Wahl. Diejenigen, die im Harz ihre Stimmen abgaben, wählten überwiegend CDU (43,5 Prozent), damals war die Linke noch mit rund 23 Prozent zweite Kraft und die AfD unter ihrem damaligen Bundeschef Bernd Lucke mit 3,8 Prozent weit von der 5-Prozent-Hürde entfernt (aber schon stärker als die Grünen).
Bei der Landtagswahl in diesem Jahr erreicht die AfD dann bereits 24,3 Prozent der Stimmen. Der Bundestagswahlkreis mit der höchsten Beteiligung war vor vier Jahren übrigens ein Berliner: In Steglitz-Zehlendorf gaben fast vier von fünf Wahlberechtigten ihre Stimme ab, womit der Wahlkreis 79 mit 79,8 Prozent Beteiligung deutlich über dem gesamtdeutschen Bundesdurchschnitt von 71,5 Prozent rangiert. Auch ihn holte die CDU.
Berlin-Reinickendorf ist genau im Bundesschnitt
Wahlkreis 77
Die Hauptstadt ist in ein Dutzend Bundestagswahlkreise aufgeteilt, aber einer davon, ganz oben im Nordwesten auf dem Gebiet des ehemaligen West-Berlin, könnte prophetische Kräfte haben: Bei der bisher letzten Bundestagswahl jedenfalls votierten die knapp 182.000 Wahlberechtigten in Berlin-Reinickendorf fast genauso wie alle bundesdeutschen Wähler insgesamt. In keinem anderen Ort Deutschlands wählten die Menschen also so repräsentativ wie im fünftgrößten Berliner Bezirk.
Im Schnitt wichen CDU, SPD, Linkspartei, Grünen, FDP und AfD nur 0,8 Prozentpunkte vom bundesweiten Endergebnis ab. Die Grünen tippten die Reinickendorfer sogar fast punktgenau auf 8,7 Prozent (bundesweit 8,4 Prozent). Kleiner, aber feiner Unterschied: Wäre es nach den Berlinern in Reinickendorf gegangen, wäre die AfD mit 6 Prozent in den Bundestag gekommen – im wahren Leben fehlten ihr dazu 0,3 Prozent der Stimmen. Dass der Wahlkreis das Bundesergebnis insgesamt so gut abbildet, lässt sich vor allem soziodemografisch begründen: Der Bezirk ist sehr ähnlich zusammengesetzt wie die bundesweite Wählerschaft auch.