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Bistum Aachen veröffentlicht Namen von MissbrauchstäternBischof erwartet Verunsicherung und Entsetzen

Lesezeit 5 Minuten
28.09.2022, Hessen, Fulda: Helmut Dieser, Bischof von Aachen und Vorsitzender der bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexuellen Missbrauchs und von Gewalterfahrungen, spricht nach einer Pressekonferenz zur weiteren Arbeit des Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs im Rahmen der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz mit Journalisten. Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Entscheidung nach langer Abwägung: Der Aachener Bischof Helmut Dieser (Archivfoto von 2022).

Das Vorgehen ist beispiellos: Das Bistum Aachen hat die Namen von 53 – überführten oder mutmaßlichen – Missbrauchstätern veröffentlicht. Warum wurde so entschieden? Und wie will sich das benachbarte Erzbistum Köln verhalten?

Klaus Hemmerle fand große Worte: Als einen „der am meisten in seinem Rat und Wort geschätzten Priester des gesamten Diözesanklerus“ würdigte der Aachener Bischof (verstorben 1994) den früheren Weihbischof August Peters, der 1986 kurz vor seinem 55. Geburtstag einem Krebsleiden erlegen war. Und Hemmerle rühmte an Peters die „Transparenz seines Wesens und Wirkens für den nahen und liebenden Gott“.

Seit Mittwoch weiß die Öffentlichkeit, dass es mit der Transparenz doch nicht so weit her war. Der Name des Weihbischofs steht auf einer Liste mit 53 Missbrauchstätern und mutmaßlichen Tätern (davon 52 Priester), die das Bistum Aachen veröffentlicht hat. Was ist der Hintergrund dieser Maßnahme?

Warum hat das Bistum Aachen die Namen veröffentlicht?

Um die Nennung solcher Namen hat es in Aachen erhebliche Auseinandersetzungen gegeben. Man habe sie seit Monaten gefordert, erklärt der Betroffenenrat des Bistums Aachen und begrüßt dementsprechend die Entscheidung. Mehrere Namen, die auf der Liste stehen, waren schon länger publik – etwa der von Hans Peter Menke (Aachen, Inden, Übach-Palenberg) oder von Hubert Peters, der in den 1970er Jahren einen Messdiener in Aachen unzählige Male bedrängte. Auch der Fall des Eschweiler Pfarrers Leonhard Meurer gehört dazu, der seine letzte Station als Subsidiar in Kerpen-Brüggen verbracht hatte. Meurer hatte vier Mädchen vergewaltigt.

In all diesen Fällen waren es Medien, nicht das Bistum selbst, die die Namen zuerst nannten. Jetzt haben Bischof Helmut Dieser und sein Generalvikar Andreas Frick eine grundsätzlich andere Entscheidung getroffen: Eine Namensliste, wie sie jetzt für Aachen vorliegt, ist deutschlandweit beispiellos.

„Diesen Schritt tun wir nicht leichtfertig, sondern nach langem Abwägen und verbunden mit vielen flankierenden Maßnahmen“, sagte Dieser gestern und machte deutlich, welche Probleme die Bistumsleitung sah: Datenschutzrechte, die Unschuldsvermutung bei fehlenden Beweisen und die Gefahr einer Stigmatisierung in Fällen, in denen sich ein Vorwurf im Nachhinein als unbegründet erweisen sollte. Zudem führe so eine Namensnennung auch bei Personen, die mit dem Beschuldigen verbunden waren, zu Verunsicherung und Entsetzen. Aber, so Dieser: „Auf der anderen Seite stehen die Erwartung von Aufarbeitung und Gerechtigkeit.“ Daher gehe man einen weiteren Schritt und mache „für keinen mutmaßlichen Täter eine Ausnahme, ganz gleich, welchen Rang er zeitlebens einnahm“. Er verstehe, dass die Nennung des Namens von Weihbischof Peters „für viele ein Schock“ sein müsse. Auch der Betroffenenrat äußert „Entsetzen“ über den Fall Peters.

Welche Kriterien galten für die Erwähnung?

Seit der Gründung des Bistums Aachen 1930 haben hier 1290 Priester gearbeitet. Gegen 126 von ihnen, also nahezu zehn Prozent, gab es seither Vorwürfe hinsichtlich sexualisierter Gewalt. Warum wurden nur 52 Priesternamen veröffentlicht?

Generalvikar Frick hat die Kriterien genannt. Zunächst: Auf der Liste stehen nur vor mindestens zehn Jahren Verstorbene. Als Täter aufgenommen werden Personen, gegen die ein kirchliches oder gerichtliches Strafurteil vorliegt. Wo es kein Urteil gibt, gilt laut Frick: „Wenn mindestens ein Antrag auf Anerkennung des Leids vorliegt, der in Bezug auf die Person, die beschuldigt wurde, positiv beschieden wurde, dann sprechen wir von einem mutmaßlichen Täter.“ Das bedeutet, dass die Liste künftig erweitert werden kann.

Allerdings enthält die Liste nur Namen und keine Angaben über Delikte und deren Ahndung. Dieser verweist auf die Notwendigkeit, Betroffene vor Retraumatisierung zu schützen. Sie müssten „jederzeit die Hoheit über ihre eigene Biografie haben“. Übrigens hatte auch das Bistum Essen, als es den Namen von Franz Kardinal Hengsbach publizierte, die Vorwürfe nicht konkretisiert: Die Angaben der betroffenen Frauen blieben vertraulich.

Die Liste verweist aber auf Aufrufe, mit denen nach weiteren Informationen gesucht wird und die über die Einsatzorte und -zeiten informieren. Daraus wird klar, wer als überführter und wer als mutmaßlicher Täter gilt – „mutmaßlich“ trifft auf Peters zu, der ja nie verurteilt wurde. Die Vorwürfe betreffen seine Zeit in der Pfarrseelsorge.

Gibt es jetzt auch ein weiteres Gutachten?

Vor drei Jahren hat die Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl ein Gutachten über den Umgang mit sexualisierter Gewalt im Bistum Aachen seit 1965 vorgelegt. Wie in anderen Gutachten ist die Darstellung anonymisiert. Die Gutachter hatten alle damals bekannten Fälle durchgearbeitet, aber (anders als später das Kölner Gercke-Gutachten) nur 14 davon exemplarisch geschildert – der Fall Meurer etwa steht unter Nummer neun. Die Vorwürfe gegen Peters lagen damals noch nicht vor. Wird es angesichts der Liste eine Nachbegutachtung geben? Darüber, so Bischof Dieser, sollte die Unabhängige Aufarbeitungskommission für sein Bistum entscheiden.

Ist das Aachener Vorgehen Vorbild für andere Bistümer?

Bevor er mit den Namen an die Öffentlichkeit ging, hat Dieser die anderen deutschen Bischöfe auf ihrer Frühjahrs-Vollversammlung in Wiesbaden informiert. Er ist selbst Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, sieht sein Vorgehen aber nicht als Modell für ein gemeinsames Regelwerk: Am Ende müsse jeder einzelne Bischof die Entscheidung darüber verantworten, sagte er der Rundschau. Bisher hat kein anderes deutsches Bistum einen Weg wie in Aachen gewählt, auch wenn in Einzelfällen Namen genannt wurden wie der von Hengsbach oder der des früheren Sternsinger-Präsidenten Winfried Pilz in Köln.

Auf solche Nennungen verweist auch das Erzbistum Köln gegenüber der Rundschau. Man habe die Aachener Mitteilung mit großem Interesse gelesen, will aber auch künftig in jedem Einzelfall abwägen, ob das durch gesetzliche Persönlichkeitsrecht zurücktreten könne, um die Rechte und den Schutz der Betroffenen effektiv zu gewährleisten. „Bevor Namen genannt werden, muss in jedem Einzelfall ein intensiver Prüf- und Beratungsprozess zuvor stattgefunden haben.“

Welche Perspektiven sieht das Bistum für die Zukunft?

Dieser ist überzeugt, dass man „eine vergangene Epoche unserer Kirche“ aufarbeite: „Heute blieben die Strategien der Täter, mit denen sie ihre Verbrechen anbahnen und wiederholt begehen konnten, nicht mehr unbemerkt und ohne Konsequenzen.“ Er ruft zur Mitteilung von eigenem Wissen über Beschuldigte auf, äußert aber auch Verständnis für Betroffene, die den Namen des Täters nicht nennen wollen.

Betroffene, Angehörige und Zeugen können sich vertraulich an eine Hotline des Bistums Aachen wenden (0241 / 452-225) oder die Internetpräsenz www.missbrauch-melden.de nutzen.