Köln – Berivan Aymaz schaut nach vorne. Als Opfer will sich die Kölner Landtagsabgeordnete der Grünen nicht sehen. Sie will weitermachen. So wie vorher, vor der Attacke türkischer Medien auf sie und die Demokratie. Im Mai hatte die integrationspolitische Sprecherin Kritik daran geübt, dass das Land NRW in der Kommission für den islamischen Religionsunterricht wieder mit der umstrittenen Ditib zusammenarbeiten will. Kritik, die von der türkischen Regierung nicht gerne gesehen ist. Die Folge: Artikel in den regierungsnahen türkischen Zeitungen „Sabah“ und „Yeni Akit“, die die Politikerin als „Feind der Türkei“ und „PKK-Sympathisantin“ bezeichneten. „Berivan, wir kennen dich“, hieß es dort. Der deutsche Staatsschutz erkannte die Gefahr und meldete sich bei Aymaz.
Diffamierungen sind an der Tagesordnung
Diffamierungen wie diese sind kein Einzelfall und in den genannten Zeitungen an der Tagesordnung. Immer wieder, und laut aktuellem Verfassungsschutzbericht immer häufiger, versuchen ausländische Regierungen Einfluss in Deutschland zu nehmen. „Ziel dieser Kampagnen ist es, Menschen in Angst zu versetzen, ihre Arbeit zu diskreditieren und sie zu stigmatisieren“, sagt Aymaz. Häufig betroffen sind Wissenschaftler, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen oder eben Politiker, die einen Blick auf die Entwicklungen in der Türkei haben.
Neben Berivan Aymaz traf es in der Ditib-Debatte – nicht zum ersten Mal – Grünen-Politiker Cem Özdemir. Nachdem der Bundestag 2016 die an den Armeniern begangenen Massaker während des ersten Weltkriegs als Völkermord einstufte, richtete sich der türkische Präsident Erdogan direkt an die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten und bezeichnete sie als „Terroristen“. 2017 schrieb die Zeitung „Yeni Akit“ über ein Bild von Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Schlimmer als Hitler“.
Bundestagswahl
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble befürchtet den Versuch der Einflussnahme aus dem Ausland auf den kommenden Wahlkampf und die Meinungsbildung für die Bundestagswahl. „Die Gefahr ist relativ groß“, sagte der CDU-Politiker. „Wir wissen, was mit Fake News alles angestellt werden kann. Und wir wissen aus der Erfahrung zurückliegender Wahlen in anderen Ländern, dass hier ein richtiger Propagandakrieg geführt wird.“
Es gebe einen großen Teil der Bevölkerung, „der zwar an sich gut integriert ist, aber sich – was legitim ist – aus ausländischen Medien informiert.“ Ein Medium wie Russia Today sei aber kein Sender, der den Grundsätzen von Medienfreiheit entspreche, sagte er. Der Zustand der Pressefreiheit in Ländern wie Russland oder der Türkei habe Einfluss Wähler in Deutschland.“ (dpa)
Die Wortwahl der türkischen Medien wiederholt sich. Häufig machen die Zeitungen die Akteure zum „Feind der Türkei“. Dies solle die in Deutschland lebenden türkischen Nationalisten anstacheln. Mit Feinden gehe man schließlich entsprechend um. Bereits seit vielen Jahren wird Aymaz zudem aufgrund ihrer Kritik an der türkischen Regierung und ihres Einsatzes für die kurdische Minderheit in der Türkei in sozialen Medien angefeindet. Aymaz hat selbst kurdische Wurzeln.
Auch aus anderen Ländern gibt es Gegenwind. Im Verfassungsschutzbericht NRW heißt es: „In den meisten Fällen geht es darum, ein regierungsfreundliches politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Umfeld im Ausland zu schaffen und Kritik an der eigenen Regierung und Politik zu unterbinden.“ Schwerpunkt im Bericht sind die nachrichtendienstlichen Aktivitäten Russlands, Chinas, der Türkei und des Iran. Zu den Methoden gehören auch Spionage und Cyberangriffe.
Breite Solidarität für Berivan Aymaz
Als Sprecherin für Internationales beschäftigt sich Aymaz auch mit der Situation in diesen Ländern. „Es gibt zahlreiche Maßnahmen, die parallel im Zusammenspiel eingesetzt werden können, um Akteure mundtot zu machen“, sagt sie. Manchmal bekommen Betroffene bei der Einreise in die Türkei Probleme und werden festgesetzt, manchmal werden Angehörige in der Türkei zum Druckmittel.
Viel zu lange habe man über solche Drohungen aus dem Ausland hinweg geschaut, sagt Aymaz. „Die Haltung war: Das sei ein innertürkischer oder ein türkisch-kurdischer Konflikt.“ Aber darum gehe es nicht. „Das ist ein Konflikt zwischen Demokraten und Antidemokraten. Wenn versucht wird, Menschen einzuschüchtern, dann hat das Auswirkungen auf unseren demokratischen Diskurs.“
Zum Beispiel wenn sich Politiker nach Drohungen zurückziehen. „Völlig menschlich und nachvollziehbar“, findet Aymaz das. Sie selbst hat das nicht getan. „Unsere Sicherheitsbehörden müssen diese Aktivitäten mit der nötigen Sensibilität analysieren und schnell und umsichtig handeln. Es gibt aber noch viel mehr vergleichbare Fälle, gerade auch in der Lokalpolitik. Um dem zu begegnen, benötigen die Sicherheitsbehörden auch die entsprechende Ausstattung.“
Erfreulich sei die breite Solidarität aus der Politik und aus allen Teilen der Gesellschaft gewesen. Auch die demokratischen Fraktionen des Kölner Stadtrates verurteilten „die Hetze und die Drohungen gegen unsere ehemalige Ratskollegin“. NRW-Innenminister Herbert Reul versicherte in der Zeitung „Die Welt“: „Wir werden alle – auch von Deutschland ausgehenden – Versuche solcher Einschüchterungen genauestens beobachten und dagegen vorgehen, wo immer es geboten ist.“
All das könne Menschen ermutigen, sich nicht einschüchtern zu lassen, sagt Aymaz. Die Betroffenen dürften nicht das Gefühl haben, unverstanden zu sein und alleine zu stehen. „Ich werde diesem Geschehen, wohlwissend, dass es ernst zu nehmen ist, nicht mehr Raum bieten, als es verdient. Mir ist es wichtig, meinen Kernthemen weiter nachzugehen.“ Dazu gehört die Kritik an der Aufnahme der Ditib in die Religionskommission. Ein Thema, bei dem Berivan Aymaz weiter kämpfen wird. Auch mit Gegenwind.