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AnalyseWas die 4-Tage-Woche wirklich bringen würde

Lesezeit 4 Minuten
schiffbauer bei der Arbeit

Drei von fünf Deutschen (61 Prozent) stehen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov einer Vier-Tage-Woche zum Schutz von Arbeitsplätzen in der Corona-Krise offen gegenüber.

  1. Der aktuelle Ruf nach kürzeren Arbeitszeiten knüpft an Traditionen an.
  2. Einst ging es um menschliche Arbeitsbedingungen, dann um die Senkung der Arbeitslosigkeit .
  3. Wenn da nicht ein Denkfehler wäre...

Düsseldorf – In der Corona-Krise stehen Firmen unter Druck. Hunderttausende könnten ihren Job verlieren. Um das zu vermeiden, bringt die IG Metall eine Vier-Tage-Woche ins Gespräch. Doch das stößt nicht überall auf Zuspruch. Sind verkürzte Arbeitszeiten wirklich die Lösung?

Der Kampf um die Arbeitszeit stand schon am Anfang der Gewerkschaftsbewegung. Und er geht immer weiter, auch wenn die Arbeitsbedingungen heute gemessen an früher paradiesisch sind. Gerade hat Jörg Hofmann, Chef der IG Metall, vorgeschlagen, in der nächsten Tarifrunde über die Vier-Tage-Woche zu reden. Das soll Firmen in der Corona-Krise ebenso helfen wie Autoherstellern im Strukturwandel.

Vom Elf-Stunden-Tag zur Fünf-Tage-Woche

In der Verkürzung der Arbeitszeit sah die Gewerkschaft schon immer ihre wichtigste Aufgabe. Doch die Begründung hat sich gewandelt: In den ersten Jahrzehnten ging es um menschliche Arbeitsbedingungen. Seit den 70er Jahren setzt die IG Metall auf Arbeitszeitverkürzung im Kampf gegen Arbeitslosigkeit.

1891, im Gründungsjahr der Vorläufer-Gewerkschaft, arbeiteten die Industrie-Beschäftigten elf Stunden am Tag, und das sechs Tage die Woche. Erst 1914 setzte sich der Zehn-Stunden-Tag durch. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte der Kampf um die Fünf-Tage-Woche. „Samstags gehört Vati mir“, hieß der vielleicht beste Slogan, den sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) je ausgedacht hat. Die Kampagne zündete: Ab 1959 galt für die Bergleute die Fünf-Tage-Woche, ab 1967 gehörte auch der Papi in der Metallindustrie samstags seinen Kindern.

Kritik und Umfrage

Kritik

Der Bund Katholischer Unternehmer (BKU) hält die Vier-Tage-Woche für das falsche Instrument zur Beschäftigungssicherung in der momentanen Krise. Die Wirtschaft sei angeschlagen, jedoch seien bereits deutliche Erholungstendenzen sichtbar.

Eine Vier-Tage-Woche verschärft laut Ansicht des BKU die wirtschaftlichen Probleme nur zusätzlich. Arbeitgebern würden weitere Kosten aufgebürdet – und das in einer Zeit, in der viele Unternehmen ums Überleben kämpfen. Der BKU kritisiert auch den Vorschlag einer staatlichen Subventionierung. „Die Idee einer Vier-Tage-Woche ist nicht nachhaltig und letztendlich ein Kredit. Unsere Kinder werden eines Tages die Rechnung dafür übernehmen müssen und das ist einfach nicht gerecht“, sagt Oliver Schillings, stellvertretender Bundesvorsitzender. (EB)

IG Metall

Die IG Metall ist mit 2,3 Millionen Mitgliedern die größte Gewerkschaft in Deutschland. Sie hat diese zu Arbeitszeitwünschen befragt: Jeder Fünfte will demnach seine Vollzeit-Arbeit auf weniger als 35 Stunden reduzieren. 82 Prozent finden es gut, wenn sie ihre Arbeitszeit für Kindererziehung oder Pflege vorübergehend absenken können.

Wichtig ist für die Beschäftigten auch, dass die Arbeitszeit planbar ist. Deutschland lag 2018 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34,9 Stunden etwas unter dem europäischen Durchschnitt. Dieser liegt derzeit bei 37,1 Stunden. (anh

Dann kam die Wende: In den 70er Jahren stieg die Zahl der Arbeitslosen. Roboter zogen in die Fabriken ein und machten Arbeitskräfte entbehrlich. Wie verteilt man immer weniger Arbeit auf die gleiche Zahl von Menschen? Jeder arbeitet weniger. Nach diesem Dreisatz startete die IG Metall 1977 ihre nächste Kampagne: den Kampf um die 35-Stunden-Woche. Nach zähen Verhandlungen, rief die IG Metall 1984 zum großen Streik. Sieben Wochen dauerte dieser, dann einigte man sich auf einen Fahrplan. Seit 1995 ist die 35-Stunden-Woche in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie Norm.

Die Vier-Tage-Woche als Mittel gegen die Krise

Die Vier-Tage-Woche als Mittel der Krisenbekämpfung setzte auch Volkswagen ein, als in den 90er Jahren Zehntausende Arbeitsplätze bedroht waren. Peter Hartz, Vater der Agenda 2010, war damals Personalvorstand, Jürgen Peters der harte Verhandler auf der anderen Seite. Am Ende einigte man sich auf eine Verkürzung der Arbeitszeit um 20 Prozent, während die Löhne nur um zehn Prozent sanken. Teilweiser Lohnausgleich, heißt das.

Daran will Jörg Hofmann nun mit seinem Vorstoß anknüpfen: Wieder soll die Vier-Tage-Woche Unternehmen in der Not retten und Arbeitgebern wie Beschäftigten einen Beitrag abverlangen. Auch diesmal dürfte der Kampf hart werden. Vielen Firmen steht das Wasser bis zum Hals, einen Lohnausgleich können sich viele nicht leisten. Hinzu kommt ein Denkfehler: Konzepte zur Umverteilung der Arbeitszeit unterstellen, dass der Arbeitszeit-Kuchen immer kleiner wird, weshalb es für jeden nur noch ein kleineres Stück Arbeit geben kann. Auf lange Sicht ist das aber nicht so: Die Sorge, der Gesellschaft könne die Arbeit ausgehen, hat sich bislang noch immer als unbegründet erwiesen.

Woran könnte der Vorstoß der IG Metall scheitern?

Die Herausforderung für die Gesellschaft in der Digitalisierung ist eine andere: Wie geht sie mit der Fragmentierung der Arbeit um? „Geteilte Schicht“, nennen es Händler, wenn ein Beschäftigter morgens drei Stunden arbeiten darf und abends noch einmal vier. Und was tut die Gesellschaft gegen das digitale Prekariat? Die Tarifbindung bei Lieferdiensten und Logistikfirmen ist nämlich viel zu gering, als dass auch das Kind vom DHL-Boten erfolgreich fordern könnte, Papi solle ihm gehören.