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„Verkürzt und ohne Kontext“Ministerium weist Bericht über „Täuschungen“ bei Akw-Laufzeitverlängerung zurück

Lesezeit 4 Minuten
Aus einem Atomkraftwerk steigen Rauchwolken aus. (Archivbild)

Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld wurde am 27.06.2015 stillgelegt und befindet sich derzeit im Rückbau. (Archivbild)

Die Vorwürfe seitens des Magazins „Cicero“ seien „nicht zutreffend“, wie das Wirtschaftsministerium um von Robert Habeck mitteilte.

Die Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt haben einen Bericht des Magazins „Cicero“ zurückgewiesen, wonach „Netzwerke der Grünen“ die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke „manipuliert“ hätten. Die Darstellung des Magazins sei „verkürzt und ohne Kontext“, entsprechend seien die daraus gezogenen Schlüsse „nicht zutreffend“, teilte das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag mit. Kritik an den Grünen kam von CDU und FDP.

„Cicero“ beruft sich auf Dokumente, die das Magazin auf Grundlage des Umweltinformationsgesetzes nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung übermittelt bekommen habe; es handele sich um zwei „gut gefüllte Aktenordner“. Laut „Cicero“ fanden Fachleute im Bundeswirtschaftsministerium „kaum Gehör“, ihre Einschätzungen seien „ignoriert oder verfälscht“ worden.

Es geht um die Zeit nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar 2022. Damals waren in Deutschland noch drei Atomkraftwerke (Akw) am Netz, die eigentlich Ende 2022 abgeschaltet werden sollten. Als im Sommer die Gaslieferungen aus Russland zunächst gedrosselt und später dann gestoppt wurden, beschloss die Bundesregierung, die Laufzeiten der drei Akw bis Mitte April 2023 zu verlängern.

Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt weisen Bericht des Magazins „Cicero“ zurück

„Zu Nutzen, Chancen, Risiken, Hürden einer möglichen Verlängerung des Betriebs“ der Akw sei innerhalb des Ministeriums, zwischen Ressorts und mit den Kraftwerksbetreibern schon „frühzeitig eine breite, fundierte, offene und kritische Diskussion geführt und verschiedene Argumente gehört und gewogen“ worden, erklärte das Ministerium. „All diese Argumente sind in den Abwägungsprozess, die Meinungsbildung und die Ergebnisse eingeflossen.“

Dabei hätten Abwägungen und Entscheidungen auf den zum jeweiligen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen sowie „in Anbetracht der realen, sich erst im Laufe der Monate verändernden und zuspitzenden Lage“ beruht. Ein von „Cicero“ genannter Vermerk vom 3. März etwa enthalte nur Einzelaspekte.

Bundesumweltministerium weist „ideologisches“ Handeln von sich

Auch das Bundesumweltministerium wies den Vorwurf eines „ideologischen“ Handelns zurück. „Seit dem 2011 im breiten gesellschaftlichen Konsens - Beschluss einer von Union und FDP getragenen Bundesregierung mit SPD und Grünen - beschlossenen Atomausstieg war das Ende des Betriebs der deutschen Atomkraftwerke zum 31. Dezember 2022 geltendes Recht in Deutschland“, heißt es in einer Stellungnahme. „Diese Rechtslage und die zugrunde liegende Bewertung der Atomkraft als nicht mehr hinzunehmendes Risiko“ sei „selbstverständlich zu respektieren“ gewesen.

Die Prüfung der neuen Lage aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und dessen Folgen für die Energieversorgung sei seit Anfang 2022 „sorgfältig und ausschließlich sachorientiert“ erfolgt. „Maßgeblich Sicherheitsfragen“ seien dabei berücksichtigt worden.

Umweltressort spricht von „falschen Informationen“

Das Umweltressort wies auch Vorwürfe zurück, „falsche Informationen“ übermittelt zu haben. Es sei lediglich ein Missverständnis in einem Entwurfstext korrigiert worden. In dem damaligen abschließenden Prüfvermerk, der AFP vorliegt, wurde unter anderem auf das Gebot zum „Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit“ angesichts der auch von der Merkel-Regierung angeführten Risiken der Atomkraft verwiesen.

AFP vorliegende Unterlagen zeigen, dass die drei Akw-Betreiber EnBW, Eon und RWE sich Ende Februar/Anfang März klar gegen eine Laufzeitverlängerung in Form eines sogenannten Streckbetriebs aussprachen. Ab Juni 2022 hätten die Akw-Betreiber diese Aussage aber geändert, wie es aus Ministeriumskreisen hieß: Ein Streckbetrieb sei demnach doch möglich.

Ampelkoalition stritt über die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke

Die Ampelkoalition stritt heftig über diese Laufzeitverlängerung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entschied schließlich, dass die drei Akw noch bis 15. April 2023 laufen sollten. Zu diesem Termin wurden die Anlagen dann abgeschaltet. Gleichwohl gibt es seitdem immer wieder Forderungen aus der Wirtschaft, der FDP und der Union nach einer Rückkehr zur Atomkraft.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann warf mit Blick auf die neuen Berichte den Grünen in der „Rheinischen Post“ vor, sie seien eine „ideologisch getriebene Partei“. Der technologiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Seiter, warf im „Tagesspiegel“ der Leitung des Wirtschaftsministeriums vor, sie habe „offensichtlich die Kompetenz ihrer Fachleute ignoriert“ und forderte eine „zügige und transparente Aufklärung der Vorgänge.“

Der energiepolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Steffen Kotré, sprach von einem „Staatsskandal“ und fordert Wirtschaftsminister Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zum Rücktritt auf. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht brachte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ einen Untersuchungsausschuss ins Spiel. (afp)