Der Verteidigungsminister äußert sich zur Bedrohung durch Russland, Putins Blick auf Deutschland und der Aufrüstung bei der Bundeswehr.
„Man muss nur Putins Worte nehmen“Pistorius warnt – und nennt Zeitpunkt für möglichen russischen Angriff auf Nato

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat sich in der ARD ausführlich zur Bedrohung durch Russland geäußert. (Archivbild)
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Mit seiner Forderung, dass Deutschland wieder „kriegstüchtig“ werden müsse, hat sich Verteidigungsminister Boris Pistorius nicht nur Freunde gemacht. Nun hat der SPD-Politiker in einem ausführlichen Interview mit der ARD-Journalistin Anne Will erneut über seine Einschätzung der Kriegsgefahr für Deutschland und die Bedrohung, die von Russland ausgeht, gesprochen.
Derzeit drohe keine akute Gefahr eines russischen Angriffs auf die Nato, erklärte Pistorius. In der Zukunft sehe das jedoch anders aus, bekräftigte der Minister. „Nach einem Kriegsende in der Ukraine wird es vier bis acht Jahre dauern“, bis Russland wieder einen Krieg führen könne. „Ab 2029 oder 2030 wäre es theoretisch möglich.“
„Es besteht eine Bedrohung und die kann sich ab 2029 realisieren“
Deutschland habe keine andere Wahl, als sich auf dieses Szenario vorzubereiten, führte Pistorius aus. „Es besteht eine Bedrohung und die kann sich ab 2029 realisieren.“ Das müsse man aus den Worten und Taten des russischen Präsidenten Wladimir Putin schließen, erklärte der Verteidigungsminister, der zu den populärsten Politikern in Deutschland zählt.
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„Man muss nur Putins Worte nehmen“, so Pistorius. Der Kremlchef rede von „der Stunde der Wahrheit“ und einem „unversöhnlichen Kampf um eine neue Weltordnung“. Ebenso spreche Putin von „russischen Territorien, die zurückkommen sollen“ und bedrohe Länder wie Moldau oder das Baltikum, erklärte Pistorius.
Pistorius über Putin: „Er hat auf Kriegswirtschaft umgestellt“
Der Verteidigungsminister sieht jedoch noch weitere klare Anzeichen für einen bedrohlichen Kurs des Kremls: „Er hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und produziert pro Jahr mehr Panzer als die größten europäischen Streitkräfte in Bestand haben“, auch ziele Moskau eine Truppenstärke an, die „doppelt so groß“ sei wie vor dem Angriff auf die Ukraine, führte Pistorius aus. „Man muss davon ausgehen, dass da ein Bedrohungsszenario aufgebaut wird.“
Für Deutschland sei es daher nun wichtig, „alles zu tun“, damit Russland nicht auf den Gedanken komme, einen Angriff auf Nato-Territorium tatsächlich zu wagen, erklärte der SPD-Politiker. „Wir müssen ihn abschrecken.“ Es komme schließlich am Ende nicht nur auf das an, was der Kremlchef wolle, sondern auch auf den Zustand der Nato.
Pistorius spricht über Putins besonderen Blick auf Deutschland
„Es könnten ja Zweifel bei Putin aufkommen, ob die Nato wirklich so geschlossen ist“, sagte Pistorius – auch mit Blick auf den Kurs von US-Präsident Donald Trump. Es gehe ihm nicht um „Angstmache“, sondern darum, dass Deutschland sich „wappnen“ müsse. Die Geschlossenheit der Nato sei dafür sehr wichtig, erklärte Pistorius.

Kremlchef Wladimir Putin bei einem Besuch in Deutschland im Jahr 2013.(Archivbild)
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Deutschland sei unterdessen auch für den Kremlchef ein besonderer Fall, befand der Verteidigungsminister. „Wir waren immer schon besonders empfänglich für bestimmte Einflüsse aus Russland“, sagte Pistorius mit Blick auf Deutschland. „Keine Gesellschaft in Europa ist so ambivalent im Verhältnis zu Russland.“
„Er kennt die deutsche Seele“
Putin wisse das genau, erklärte Pistorius. „Er war im Geheimdienst, er spricht fließend Deutsch, er kennt die deutsche Seele, er hat viele deutsche Freunde in den Gremien seiner Unternehmen, er weiß ziemlich genau, wie die Deutschen ticken.“ Dieses Wissen versuche der Kremlchef zu nutzen, warnte der SPD-Politiker. „Das funktioniert ja auch in Teilen, wenn sie an das BSW denken oder Teile der AfD. Es funktioniert, er findet seine Katalysatoren.“
Auch deshalb bleibe er dabei, dass Deutschland wieder „kriegstüchtig“ werden müsse, führte der Verteidigungsminister im Gespräch mit Will aus. „Unsere Angst vor Krieg ist ja gut, weil Krieg ist etwas Schlechtes“, erklärte Pistorius. „Ich will, dass wir Sorge haben, damit wir alles tun, damit es keinen Krieg gibt und niemand Angst davor haben muss“, begründete der Minister seine mitunter drastischen Worte aus den vergangenen Monaten.
Kriegsgefahr ist laut Pistorius real: „Ich will, dass wir Sorge haben“
„Aber das heißt eben nicht, dass man sich wie ein kleines Kind bei Gewitter die Decke über den Kopf zieht, sondern dass man sich wappnet.“ Also müsse man die Fähigkeit „wiedererlangen“, sich im Falle eines Angriffs verteidigen zu können – und dabei gebe es mittlerweile „keine Zeit“ mehr zu verlieren, bekräftigte der Minister.
Ob er sich persönlich sich auch auf den Ernstfall vorbereitet habe, wollte Journalistin Will daraufhin wissen. „Wasser habe ich genügend. Und ich habe auch ein paar Lebensmittel, wahrscheinlich nicht genügend, wenn man 14 Tage nichts warmmachen kann“, erklärte Pistorius.
Pistorius: „Wir müssen unser Denken wieder verändern“
Auch bei derartigen Aufrufen an die Bevölkerung, sich für Notfälle und Krisen vorzubereiten, gehe es schlussendlich darum, „dass wir unser Denken wieder etwas verändern müssen“, führte Pistorius aus. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Rund 40 Jahre habe Deutschland davon profitiert, Nato-Partner gewesen zu sein. Nun müsse man selbst Verantwortung für die Ostflanke des Bündnisses übernehmen, erklärte Pistorius mit Blick auf die Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen. Diese stehe da auch nicht zum Spaß, sondern werde gegen russische Truppen kämpfen, wenn Russland Nato-Territorium angreife, versicherte der Verteidigungsminister.
„Wir bringen ihnen ja nicht mit 17 das Töten bei“
Dass die Bundeswehr nun vermehrt um Personal auch unter jungen Leuten werbe, sei daher „nichts Verwerfliches“, erklärte Pistorius. Es sei wichtig klarzumachen, dass jeder „eine Verantwortung für unser Land“ hat, führte er aus.

Soldaten der Bundeswehr, die Teil der „NATO Enhanced Forward Presence Battle Group“ sind, stehen im Camp Adrian Rohn in Litauen. (Archivbild)
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„Wir bringen ihnen ja nicht mit 17 das Töten bei, sondern bereiten sie vor auf eine Ausbildung zum Soldaten“, erklärte Pistorius mit Blick auf die steigenden Bewerberzahlen bei der Bundeswehr und Infoveranstaltungen für Minderjährige, die von der Truppe organisiert werden. „Soldat ist ein sehr ehrenwerter Beruf, der dazu dient, unser aller Freiheit und Sicherheit im Ernstfall zu verteidigen.“
Boris Pistorius: „Wer redet gerne über Krieg?“
Dass die Debatte um Aufrüstung und die Vergrößerung der Bundeswehr von vielen Menschen in Deutschland abgelehnt werde, könne er dennoch verstehen. „Wer redet gerne über Krieg? Dass die Menschen das satthaben, kann ich total verstehen“, erklärte Pistorius – das gelte für ihn genauso, wie für jeden anderen auch.
„Ich würde lieber in einer Welt leben, in der es gar keine Verteidigungsminister bräuchte, aber diese Welt haben wir nicht und die können wir uns auch nicht backen oder malen“, unterstrich der Verteidigungsminister dann jedoch erneut seinen Punkt. „Es geht darum, dass wir uns der Realität stellen.“
„Es gibt leider da draußen Mächte, die das anders sehen“
Dass er gelegentlich als „Kriegstreiber“ bezeichnet werde, treffe ihn daher durchaus, räumte Pistorius ein. „Der Gedanke, dass Frieden immer möglich sein muss, mit dem bin ich groß geworden. Frieden ist immer das, was ich als allererstes anstrebe.“ Wenn man „auf einer einsamen Insel“ lebe, sei es leicht, sich zum Pazifisten zu erklären, führte der SPD-Politiker aus. Pazifismus sei an sich „wunderbar“, ebenso die Sehnsucht nach Frieden, erklärte Pistorius. „Aber es gibt leider da draußen Mächte, die das anders sehen.“

Boris Pistorius: „Ich würde lieber in einer Welt leben, in der es gar keine Verteidigungsminister bräuchte.“ (Archivbild)
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„Die Nato hat Putin noch an keiner Stelle bedroht, angegriffen oder Russlands Existenz infrage gestellt“, sagte Pistorius. Es sei der russische Präsident gewesen, der das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Nationen nicht anerkannt und das mit Russlands Angriff auf die Ukraine zum Ausdruck gebracht habe, stellte Pistorius schließlich noch einmal klar.
„Jetzt kann ich sagen, bevor du mich das erste Mal schlägst, halte ich dir schon die andere Wange hin“, führte der Verteidigungsminister aus. „Oder ich sage: Ich verhindere, dass du es tust.“ Letzteres sei sein Ziel, erklärte Pistorius. „Ich sehe gerade keinen anderen Weg.“