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Wirkungsvoll, aber ungenutztWarum hunderttausende Packungen der Corona-Pille Paxlovid entsorgt werden

Lesezeit 5 Minuten
Eine Person hält das Medikament Paxlovid vom US-Pharmakonzern Pfizer gegen Covid-19 in den Händen.

Das Medikament Paxlovid gegen Covid-19 wurde nur selten verschrieben.

Paxlovid schützt Risikogruppen vor einem schweren Corona-Verlauf, die Bundesregierung hatte eine Million Packungen besorgt. Diese wurden kaum verschrieben.

Wir alle erinnern uns an die aufreibende Zeit der Corona-Lockdowns. Wenn es doch nur eine Impfung gäbe, dachten wir damals. Wenn es doch nur ein Medikament gäbe. Wenn wir diesem Virus doch nur irgendetwas entgegensetzen könnten. Heute sind alle Beschränkungen aufgehoben, Corona so oft mutiert, dass es für die meisten von uns nicht mehr gefährlich ist. Wir gehen unserem Leben wie zuvor nach, können uns impfen lassen und wenn wir uns infizieren, können wir sogar ein Medikament nehmen. Dieses Medikament heißt Paxlovid. Es verhindert laut Studien zuverlässig schlimme Krankheitsverläufe. Aber es ist so selten von Ärztinnen und Ärzten verordnet worden, dass nun hunderttausende Packungen vernichtet werden müssen, weil sie nicht mehr haltbar sind. Wie bitteschön kann das sein?

Was ist Paxlovid überhaupt?

„Paxlovid ist das einzige antivirale Medikament, das zugelassen ist, und nachweislich schwere Verläufe von Corona verhindern kann“, sagt Thomas Preis, Apotheker aus Köln und Vorsitzender des Apothekenverbands Nordrhein. Das Medikament ist für über 60-Jährige und chronisch Kranke vorgesehen, also jene, die ein Risiko für einen schweren Verlauf inklusive Krankenhausaufenthalt und bis hin zum Tod haben. Laut einer aktuellen amerikanischen Studie senkt die Einnahme von Paxlovid das Risiko, an einer Covid-Infektion zu sterben bei diesen Patienten um 73 Prozent. „Bei jüngeren und sonst gesunden Menschen ist Paxlovid aber nicht wirksam“, sagt Preis. Doch was tut das Medikament genau? Es hemmt die Vermehrung der Corona-Viren in den menschlichen Zellen. Damit das Medikament seine Wirkung entfalten kann, muss allerdings – bei einem positiven Test – in den ersten fünf Tagen nach Auftreten der Symptome mit der Einnahme begonnen werden. Ab dann nimmt man über einen Zeitraum von fünf Tagen hinweg zweimal täglich drei Tabletten. Die Behandlung ist unabhängig vom Impfstatus.

Porträt Thomas Preis,Apotheker aus Köln und Vorsitzender des Apothekenverbands Nordrhein

Thomas Preis ist Apotheker aus Köln und Vorsitzender des Apothekenverbands Nordrhein

Was sind Nebenwirkungen?

Wer eine Packung Paxlovid bekommen hat und einen Blick auf den Beipackzettel wirft, ist erstmal überrascht ob dessen Länge. Einige Nebenwirkungen werden hier aufgeführt, etwa ein unangenehmer, metallischer Geschmack bei der Einnahme sowie möglicherweise Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden oder Geschmacksstörungen. „Beachten muss man aber vor allem, dass es Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gibt“, so Preis. Und von denen nehmen ja gerade die älteren und chronisch Kranken häufig schon eine ganze Menge. Betroffen von den Wechselwirkungen sind zum Beispiel bestimmte Cholesterinsenker, Blutverdünner oder Herzmittel. „Das ist dann Abwägungssache“, findet Preis, „einen Cholesterinsenker kann man – in Absprache mit dem Arzt – auch mal fünf Tage absetzen, ohne dass große Probleme auftreten – wenn dafür eine schlimme Corona-Infektion verhindert werden kann.“ Denn, darauf weist Preis nochmal ausdrücklich hin, Corona führe viel häufiger zu schweren Gesundheitsproblemen als andere Viruserkrankungen wie etwa Influenza.

Warum wird Paxlovid so selten verordnet?

Halten wir also fest: Es gibt ein Medikament gegen Corona, das Menschen aus der Risikogruppe vor einem schweren Verlauf bewahren kann. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist von Paxlovid überzeugt. Deswegen hatte die Bundesregierung gleich nach der Zulassung im Januar 2022 eine Million Packungen Paxlovid direkt beim Hersteller Pfizer eingekauft. Trotzdem wurde Paxlovid seither von Ärztinnen und Ärzten wenig verordnet. Das mag unter anderem an den bereits erwähnten Wechselwirkungen gelegen haben und auch daran, dass anfangs nur bestimmte Ärzte Paxlovid verordnen konnten. Seit April 2023 ist das Procedere aber stark vereinfacht, jeder Arzt kann das Medikament verordnen.

Eine aktuelle Studie aus den USA zeigt, dass in Amerika nur 15 Prozent der Patientinnen und Patienten, für die Paxlovid geeignet ist, das Medikament bekommen haben. Thomas Preis schätzt, dass es in Deutschland noch weniger eingenommen haben. Zwar wurde Paxlovid in den vergangenen Monaten deutlich mehr verschrieben – im Dezember 2023 ungefähr dreimal häufiger als im Dezember 2022, schätzt der Apothekerverband –, insgesamt seien aber lediglich etwa 200.000 der 1 Million Packungen zur Anwendung gekommen, schätzt Preis. Und weil die übrigen Packungen nun kurz vor Ablauf ihres Haltbarkeitsdatums stehen, müssen sie vernichtet werden. „Es ist ein Jammer, dass Paxlovid nur so zögerlich verordnet wurde“, sagt Preis. „Man kann davon ausgehen, dass – so wie in den USA – einige tausend Krankenhauseinweisungen und Todesfälle hätten vermieden werden können.“

Wie lange ist Paxlovid haltbar?

„Paxlovid wurde so schnell zugelassen, dass man noch gar nicht wusste, wie lange es haltbar ist“, erklärt Preis. Deswegen wurde die Haltbarkeit zunächst auf ein Jahr festgelegt. Untersuchungen zeigten aber, dass das Medikament länger genutzt werden kann. Deswegen wurde die Haltbarkeit zunächst auf 18 und dann auf 24 Monate verlängert. „Patienten müssen sich also nicht wundern, wenn sie Packungen erhalten, auf denen das aufgedruckte Verfallsdatum überschritten ist“, beruhigt Preis. Konkret geht es um ein aufgedrucktes Verfallsdatum von 11/2022 bis 12/2023. Die Apotheken hätten Listen, in denen festgelegt sei, wie lange die jeweiligen Chargen haltbar seien und würden Auskunft geben, erklärt Preis. Doch Ende Februar laufen die Packungen aus den Beständen der Bundesregierung nun endgültig ab. Die verbliebenen müssen dann vernichtet werden. Von einer Nachbestellung durch den Bund habe er nichts gehört, sagt Preis.

Wie geht es weiter?

Schon ab dem 15. Januar soll Paxlovid – wie alle Medikamente – über den pharmazeutischen Großhandel vertrieben werden. Das bedeutet aber auch: Der durch die Bundesregierung unterstützte Preis von 59,90 Euro pro Packung (den die Gesetzlichen Krankenkassen zahlen, nicht die Versicherten) wird vermutlich erhöht. Thomas Preis geht von einer Summe von deutlich über 100 Euro pro Packung aus und erklärt: „In den USA wird Paxlovid für 700 Dollar verkauft.“ Er schätzt, dass die Gesetzlichen Versicherungen dann wohl auch wieder eine Zuzahlung in Höhe von 10 Euro von den Versicherten verlangen werden. „Meine größte Befürchtung ist aber, dass Paxlovid dann noch viel seltener verordnet wird.“