Der Auftritt von Christian Lindner bei Caren Miosga hat zahlreiche Reaktionen ausgelöst. In der Sache gab es aber nichts Neues.
„Tribunal“Lindner lehnt Rücktritt ab, sieht sich als Opfer und greift Miosga an
FDP-Parteichef Christian Lindner lehnt trotz des am Freitag bekannt gewordenen „D-Day“-Papiers der Liberalen einen Rücktritt weiterhin ab. Stattdessen kämpft Lindner weiter um die Deutungshoheit des Koalitionsbruchs. Dies wurde in der ARD-Sendung von Caren Miosga überdeutlich, wo Lindner seine Position mit Vehemenz vertrat.
Auf eine Frage der Moderatorin zum Thema Rückzug sagte er: „Ich habe nicht die Absicht, nein. Und ich habe die Absicht, mich bei meiner Partei zu bewerben als Spitzenkandidat.“ Die FDP sei aus inhaltlicher Überzeugung nicht bereit gewesen, die Ampel-Politik weiter mitzutragen. Mit diesen Inhalten wolle er zur Bundestagswahl am 23. Februar vor die Bürger treten, unterstrich der FDP-Chef seine Ambitionen.
Christian Lindner spricht bei Miosga von „Hagelschauer“
„Jetzt gehe ich durch diesen Hagelschauer mit faustgroßen Hagelkörnern. Aber das mache ich ja deshalb, weil ich an etwas glaube und gerne wissen will, ob das bei den Bürgerinnen und Bürgern Unterstützung findet“, sagte Lindner und betonte damit seine angebliche Charakterstärke.
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Zum „D-Day“-Papier, das Ende der vergangenen Woche bekannt geworden war und das offensichtlich belegt, wie minutiös die FDP die Ampel sabotieren wollte, sagte Lindner erneut: „Ich kannte dieses Papier nicht.“ Er habe aber kein Problem damit, dass es erstellt worden sei, wiegelte der 45-Jährige ab. Die FDP habe sich intensiv mit allen Optionen beschäftigt: weitermachen, geordnete Neuwahl oder Ausscheiden aus der Ampel. In einer Parteigeschäftsstelle würden jeden Tag „Dutzende“ Dokumente erstellt, so Lindner relativierend.
Lindner: „D-Day“-Papier ist „nicht professionell“
Das besagte Papier sei aber „nicht professionell“ und auch von der Anlage her, der Stilistik, nicht so, dass man es billigen könne, sagte Lindner. „Für das Wort ‚D-Day‘ und dieses Papier kann ich keine Verantwortung konkret übernehmen, weil es ja nicht in meinem Bereich ist“, sagte der Parteichef. Einige Tage zuvor waren Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann und Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wegen des Papiers zurückgetreten.
Wie viele politische Beobachter, die die Rücktritte als „Bauernopfer“ sehen, zeigte sich Miosga skeptisch, dass Lindner das Dokument seines engsten Mitarbeiters nicht gekannt haben will. Wie er in dieser Situation noch immer behaupten könne, sich vor seine Mitarbeiter zu stellen, fragte sie nach. „Ich übernehme die Verantwortung dafür, dass die FDP bereit war, die Ampel zu verlassen und dass wir uns darauf vorbereitet haben“, antwortete Lindner lediglich.
Christian Lindner geht Caren Miosga an
Lindner zeigte sich bei Miosga extrem dünnhäutig und reagierte geradezu aggressiv auf deren bohrenden Fragen. So beschwerte er sich, dass die Moderatorin mit ihm viel kritischer umgehe als mit Grünen-Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Woche zuvor. „Also Frau Miosga, dass was Sie letzte Woche zu wenig kritisch waren, müssen Sie diese Woche jetzt nicht alles nachholen“, stellte sich Lindner als Opfer dar. „Ach nee, immer die alte Leier“, entfuhr es der 55-Jährigen daraufhin. Lindner zählte daraufhin die „Vergehen“ von Olaf Scholz und Robert Habeck auf.
An anderer Stelle klagte Lindner, die ARD-Sendung gleiche einem „Tribunal“.
Christian Lindner stellt Bürgergeld-Empfänger an den Pranger
Als später in der Runde die Journalistin Eva Quadbeck (Redaktionsnetzwerk Deutschland) und der Ökonom Moritz Schularick zur Runde stießen, ging es um Wirtschafts- und Finanzfragen. Lindner wollte sich sichtbar als Interessenvertreter der Wirtschaft profilieren und kritisierte die zu hohen Steuern und die geplanten Subventionen für ausländische Technologiekonzerne. Er ließ sich zu der These hinreißen, man solle in Deutschland etwas mehr „Milei oder Musk“ wagen.
Damit stellte Lindner einen Mann als Vorbild dar, der gerade Donald Trump zum Wahlsieg und damit zum wahrscheinlich grundlegenden Umbau der USA verholfen hat. Auch in Argentinien höhlt der Rechtspopulist Javier Milei seit seiner Wahl demokratische Strukturen aus.
An anderer Stelle echauffierte sich der FDP-Chef über Bürgergeldempfänger. Diese „könnten ja auch arbeiten“, rief Lindner. Auf den Einwand Miosgas, das würden viele ja tun, insistierte er: „Beim Bürgergeld arbeiten die nicht!“. In Deutschland würden ja schließlich Arbeitskräfte gesucht, so Lindner mit populistischen Tönen – musste sich dann aber von Eva Quadbeck korrigieren lassen, denn es gibt viele Aufstocker, deren Einkommen trotz Arbeit nicht reicht.
Politikwissenschaftler rügt Lindner für Auftritt bei Miosga
Beim Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, gibt es viele Reaktionen auf Lindners Auftritt bei Miosga. Ulrich Schneider, ehemaliger Chef des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, schreibt: „Ein Mann, der so ignorant und kaltherzig mit den Ärmsten im Lande umgeht, darf keine politische Macht mehr bekommen“. Viele Userinnen und User sehen aber ebenso, dass Lindner sich mit seinem nervösen und gleichzeitig selbstmitleidigen Auftritt selbst geschadet habe. „Lindner glaubt wirklich, er sei das Opfer. Unfassbar“, schreibt ein User.
Auch der Bonner Politikwissenschaftler Andreas Püttmann geht hart mit Lindner ins Gericht. Dieser erhebe bei Miosga „praktisch den Anspruch auf einen Monolog mit Stichwortgeberin und tadelt die Unterbrechungen der Moderatorin, wendet sich damit direkt ans Publikum“. Dies sei „unverschämt“ und „selbstgerecht“, befindet Püttmann.
Christian Lindner: Andere Parteien wollen Glaubwürdigkeit der FDP zerstören
Auch auf seinen Social-Media-Accounts meldete sich Lindner am Sonntag zu Wort. Mit einer Videobotschaft versuchte er auch hier, seine Sicht Ereignisse der vergangenen Wochen darzulegen.
Der FDP-Parteichef spricht mit ernster Mine von einer „Machtauseinandersetzung“. Den politischen Gegnern SPD und Grünen hielt er vor, Fehler seiner Partei zu nutzen, um die Glaubwürdigkeit der Liberalen zu zerstören oder eine „Charakterfrage“ zu stellen. Diese Fehler bedaure er, so Lindner – vermied aber auch hier das Wort Entschuldigung. Die FDP habe sich intern auf das Ampel-Aus vorbereitet – genauso wie die Koalitionspartner, versucht er zu relativieren.
Nun gehe es leider nur noch um „Worte und Fristen“, nicht mehr ums Wesentliche, nämlich die Inhalte, die zum Scheitern der Ampel geführt hätten. Er stehe zur politischen Entscheidung, die Koalition scheitern zu lassen, so Lindner. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ihm mit dem Rauswurf zuvorgekommen war und sich im Nachhinein durch die bekannt gewordene FDP-Strategie bestätigt sehen muss, wird nicht erwähnt.
Lindner gibt sich am Sonntag staatstragend und hält sich nicht mit scheinbaren Kleinigkeiten auf, einer wirklichen Stellungnahme zum D-Day-Papier geht er es aus dem Weg.