Auf Augenhöhe mit dem KapitänErstmals bekommt das „Traumschiff“ im ZDF eine Ärztin
Köln – Unter allen Berufen, die wir vornehmlich aus dem Unterhaltungsfernsehen kennen, ist der Schiffsarzt einer der attraktivsten. Immer frische Luft um die Nase, an Bord ausschließlich Privatpatienten, meist unkomplizierte Krankheitsbilder wie Übelkeit, Durchfall, Erkältung, Schwindel und Kater – so lässt es sich aushalten. Die Realität ist anders, aber wer will im Feiertags-Fernsehen um 20.15 Uhr schon Realität?
Der TV-Schiffsarzt ist wie der durchaus artverwandte, doch im ZDF präsentere Bergdoktor ein Sonnyboy der Allgemeinmedizin. Beide praktizieren mit Hingabe und an abgeschiedenen Orten, sind fesche Burschen und werden mit einsamen Herzen, die ihnen zufliegen, und Hypochondern, die sie zutexten, sp ielend fertig.
Schiffsarzt auf Augenhöhe mit Kapitän
In etlichen Folgen der „Traumschiff“-Serie im ZDF haben wir gelernt, dass der Schiffsarzt mehr ist als die Summe medizinischer Erfahrungen. Er ist Universalgelehrter und Einzelkämpfer, zugleich Beichtvater für Crew und Passagiere. Als einer der Wenigen befindet er sich auf Augenhöhe mit dem Kapitän, seine Kunst weist im Notfall ein ganzes Schiff in die Schranken, doch immer mit Gutmütigkeit.
Das Leben als Ausnahmeregelung: Sogar in Corona-Zeiten ist der TV-Schiffsarzt, anders als in der Wahrheit des Jahres 2020, nicht mit Abstrichen, Laborproben und Quarantäne-Anordnungen beschäftigt.
„Traumschiff“ ohne Corona
Wie die aktuellen Folgen zeigen, geht das Fernsehleben an Bord munter und unbeeindruckt von der Pandemie weiter. Dass alle Maske tragen, sich fortwährend die Pfoten waschen und Abstand halten, statt tuchfühlend zu flirten, das will der Endverbraucher nicht sehen. Für ihn entfacht das „Traumschiff“ eines der letzten Fernweh-Lagerfeuer des Fernsehens. Und Fernweh haben wir derzeit alle.
Trotzdem hat sich das normale Leben jetzt auch das Illusionsfernsehen gekrallt. Bislang sahen wir aus unserem Wohnzimmerwartezimmer zwei Traumschiffsärzte: 27 Jahre lang den scharfsinnig-eleganten Dr. Schröder (Horst Naumann) und danach den fast beängstigend ausdruckslosen Nick Wilder als Dr. Sander (knapp ein Jahrzehnt an Bord).
Neue Besetzung der Crew
Nun ist abermals Zeit fürs Personalroulette. Unlängst erlangte Florian Silbereisen als Quereinsteiger das Kapitänspatent und übernahm sogleich das Amt des Kümmerers. Barbara Wussow trat auf dem Posten der Hoteldirektorin die fast unmöglich scheinende Nachfolge der Beatrice von Heide Keller an (und hat bislang nicht recht überzeugt). Die Schiffsklinik übernimmt nun Dr. Julia Brand in Gestalt von Sina Tkotsch, eine junge Dame, die in der Serie „Ein Fall für zwei“ noch als doppelgesichtige Escort-Dame mitspielte.
Schiffsärzte
Ausstrahlung: Die nächste Folge vom „Traumschiff“ wird am Neujahrstag um 20.15 Uhr im ZDF gezeigt.
Schiffsärzte: Horst Naumann als Dr. Schröder wirkte von 1983 bis 2010, Nick Wilder als Dr. Sander arbeitete von 2011 bis 2020. Nun übernimmt Sina Tkotsch als Dr. Brand. (EB)
Tkotsch ist nicht die Romy Schneider des Metiers, aber doch ein handfest-freundliches, akkurat gezopftes Wesen, das sich an Bord Respekt durch gut gelernte Ansichten zu ertrotzen weiß. Ob sie auch auf Dauer die medizinische Abteilung des „Traumschiffs“ leiten wird, wird sich zeigen; in der unsäglichen Kapstadt-Folge wurde sie soeben von Dr. Sander in die Arbeit an Bord eingeführt und hatte sogleich eine Impfaktion zu betreuen. Diese Episode troff wieder mal vor Kitsch und Weltanschauung. Wieder gab es Leidenschaften und tiefe Gespräche, die am Ende gekrönt wurden von Großmut und Vergebungsfreude.
Frau Dr. Brand als neue Schiffsärztin
Unsere Aufmerksamkeit verdient Frau Dr. Brand auf jeden Fall. In ihrer ersten Folge hatte sie einen orthostatischen Kollaps wegen Flüssigkeitsmangel zu verarzten. Beine hochlegen, viel trinken, Schatten – das ist Basiswissen für Ersthelfer und ausbaufähig. Zur Steigerung ihrer Reputation werden ihr die Drehbuchautoren sicher in Bälde eine schwer verlaufende Tropenkrankheit unterschieben, an deren Therapie sie bis zur 87. Sendeminute glücklich, aber nervenaufreibend wachsen kann.
Dem Nachwuchs eine Chance, unbedingt – und das umso mehr, als zwischen ihren Vorgängern Welten lagen. Horst Naumann als Dr. Schröder war ein Gigant, eine Galionsfigur der Schauspielkunst, dem man den Schiffsarzt in jeder Sekunde glaubte, weil er alles gesehen hatte und bisweilen gar kein Röntgenbild brauchte; sein Blick war durchdringend genug. Schröder konnte Ansprachen von solch bannend-zugewandter Gültigkeit halten, dass auch schwere Fälle Hoffnung schöpften. Zugleich war er für gestandene Kapitäne wie Heinz Weiss und Siegfried Rauch der Typus des glaubhaft unparteiischen Ratgebers, wenn es zu unklaren Situationen kam.
Sascha Hehn und Nick Wilder
Das Schippern in seichteren Gewässern begann mit Sascha Hehn als Kapitän, dessen Ausdrucksradius sich von der Kaimauer irgendwie nie lösen konnte. Entweder gab er den aufgesetzt weltmännischen Erzieher, dem sich ergebene Passagiere gern beugten, oder er stieg in die Alltagskluft des Kumpels von der Brücke, der alle Bullaugen zudrückte und salomonische Lösungen jenseits des Seerechts fand.
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In Hehns Schatten verschwand Nick Wilder als Dr. Sander vollständig, was fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Wilder wirkte stets aufgesetzt freundlich; sogar im Angesicht schlimmer Leiden schwang er sich zu schmallippig verlächelten Tröstungen auf. Immer spürte man, dass ihm der Kittel, den ihm sein Vorgänger hinterlassen hatte, einige Nummern zu groß war.
Hiermit ernennen wir Dr. Schröder zum Schutzpatron der Schiffsärzte.