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Interview

T.C. Boyle
„Ich bin verblüfft, wie viele einen Kriminellen zum Präsidenten wählen wollen“

Lesezeit 6 Minuten
T.C. Boyle, amerikanischer Autor.

Der amerikanische Autor T.C. Boyle hält mit seiner Meinung über Donald Trump nicht hinterm Berg.

T.C. Boyle zeichnet nicht nur in seinem neuen Band mit Kurzgeschichten „I Walk Between The Raindrops“ düstere Zukunftsszeniarien.

Im Wechsel veröffentlicht T.C. Boyle mal einen Roman, mal einen Band mit Kurzgeschichten – gerade erschien „I Walk Between The Raindrops“. Axel Hill sprach via Zoom mit dem 77-Jährigen über selbstfahrende Autos, Hyänen und natürlich über Trump.

Als wir uns das letzte Mal im Februar 2017 getroffen haben, war Trump gerade einen Monat lang im Amt. Bei jedem der versuchten Amtsenthebungsverfahren hatte ich ihre Stimme im Ohr: „Wir werden etwas gegen ihn finden.“ Warum blieb er bis zum Ende im Amt?

Das nennt man Faschismus. Nach 248 Jahren Unabhängigkeit wird demnächst die letzte Wahl stattfinden. Und ab dem nächsten Jahr ist der 4. Juli der „Abhängigkeitstag“.

Weil Sie sich sicher sind, dass Trump erneut gewinnt?

Ich bin sehr pessimistisch, aber ich bete, dass wir uns erheben. Zum Beispiel die amerikanischen Frauen, die nicht vorgeschrieben haben wollen, was sie mit ihren Körpern machen sollen. Ich bin verblüfft, wie viele einen Kriminellen zum Präsidenten wählen wollen.

Es scheint sie nicht zu stören.

Wir leben in einer Orwellschen Welt, in der schwarz weiß ist, und weiß schwarz. Es basiert alles auf Propaganda. Und dazu wird die Fahne des Patriotismus geschwungen.

Aber Biden gibt auch gerade keine gute Figur ab.

Aber ich würde dennoch für ihn stimmen, selbst wenn er in einem Krankenhaus im Koma läge und an lebenserhaltenden Maschinen hinge. Denn wir haben keine andere Wahl. Aber noch fand der Parteitag nicht statt, vielleicht tritt er ja noch zurück – was er eigentlich schon vor sechs Monaten hätte tun sollen.

Gibt es denn Alternativen zu ihm?

Es gibt eine Menge junger Demokraten, die Trump im Handumdrehen besiegen würden. Gavin Newsom zum Beispiel, der aber auf die Wahl 2028 wartet. Das Problem ist aber: Wenn Trump gewinnt, gibt es 2028 keine Wahl mehr. Auf keinen Fall würde er seine Macht ein zweites Mal abgeben.

Um den Rest der Welt steht es auch nicht besonders gut, Deutschland und Europa sind schon lange keine „safe spaces“ mehr.

Zumindest in Frankreich haben wir gerade einen kleinen Sieg errungen. Aber es geht um die Überpopulation und den Kampf um Ressourcen für acht Milliarden Menschen, von denen viele entrechtet sind und hungern. Und hier im Westen bauen wir Mauern, um die draußen zu halten. Immigration ist der Motor des rechten Flügels: „Zur Hölle mit Mitgefühl, lasst sie auf der Straße sterben.“

Wo sind wir falsch abgebogen, wo ging das Mitgefühl verloren?

Wir waren immer eine Spezies, die andere unterwerfen will. Wir wollen, dass die unseren überleben. Deshalb sehen wir derzeit, wie mehr und mehr rechte Organisationen sich genau dafür stark machen. Und verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nicht für die unbegrenzte Einwanderung. Aber ich mache den Papst und die Rechten hier in den USA dafür verantwortlich – wegen ihrer Ablehnung der Abtreibung und der Empfängnisverhütung. Was könnte schrecklicher sein, als den Menschen im Globalen Süden Verhütung zu verbieten? Das ist ein Gedanke, der aus dem Mittelalter stammt...

...als die Menschen mit 30 starben

....und die meisten Babys.

Sie bringen abwechselnd einen Roman und dann einen Band mit Kurzgeschichten heraus.

In diesem Rhythmus habe ich mein ganzes Leben gearbeitet. Ich liege gerade in den letzten Zügen für einen Roman. Aber vorher habe ich sechs Kurzgeschichten geschrieben, wenn ich mit dem Roman fertig bin, hoffe ich, noch einen Schwung Geschichten zu schreiben, für den nächsten Sammelband. Mit den Geschichten versuche ich aktuelle Themen aufzugreifen, wie die über die wir am Anfang des Interviews gesprochen haben. In einer neuen, die hier gerade in einem Magazin erschienen ist, spielt eine Frau mit einer „Make America Great Again“-Kappe eine Rolle.

„Die Hyäne“ im neuen Band allerdings greift durch verseuchtes Mehl verursachte Wahnvorstellungen in einem französischen Dorf nach dem Zweiten Weltkrieg auf – das klingt eher nach dem Plot für einen T.C. Boyle-Roman.

Das stimmt. Ich bin bei meinen Recherchen für „Das Licht“ (über Timothy Leary und LSD, Anm. d. Red.) auf diese Geschichte gestoßen.

In einer Geschichte spricht eine Frau bei einer Bahnfahrt mit einem sogenannten INCEL, einem unfreiwillig zölibatüär lebenden jungen Mann, in einer anderen verbietet ein von KI-gesteuertes Fahrzeug der Besitzerin die Mitnahme bestimmter Personen und hält die Türen verschlossen. Was ist gefährlicher: der INCEL oder das störrische Auto?

(lacht) Beide sind gleich gefährlich. Aber mit beiden Geschichten wollte ich Dinge thematisieren, die mich beschäftigen und beunruhigen. Natürlich führe ich das mit dem selbstfahrenden Auto ins Absurde. Wir verlieren, wenn wir der KI die Kontrolle überlassen. Und die Geschichte über den INCEL geht auf einen Amoklauf in Santa Barbara zurück, der passierte, als ich mit „Hart auf Hart“ einen Roman über Waffengewalt in den USA schrieb (bei dem Amoklauf starben sechs Menschen, vierzehn weitere wurden verletzt, Anm. d. Red).

Bis auf eine – „Hundelabor“ – hat keine Geschichte ein Happy End. Und in einem Interview sagten sie zuletzt, dass sie für die Zukunft schwarz sehen.

Denn so fühle ich mich. Meine Bücher sind mit Freude angefüllt und auch oft komisch. Aber mein Blick auf die Welt ist düster. Ich bin ein Darwinist und ich sehe, was unsere Spezies diesem Planeten antut.

Sie sagten, dass Sie mit dem nächsten Roman fast fertig sind. Worum wird es gehen?

Er heißt „No Direction Home“ und spielt in Boulder, Nevada, am Hoover-Damm, wo der Colorado-Fluss gestaut wurde, um Wasser zu gewinnen. Ich dachte zunächst, es sei ein weiteres ökologisches Buch über Wasser und Trockenheit, aber dann verwandelte es sich nach und nach in eine Dreiecks-Liebesgeschichte.

Die Sie dann auch wieder in Deutschland vorstellen wollen?

Man wollte, dass ich schon mit diesem Buch komme, außerdem bringen zwei Theater meinen Roman „Blue Skies“ auf die Bühne. Aber obwohl die Fans toll sind und ich großartig behandelt werde: Die Vorstellung, in den Flieger zu steigen, war „just a killer“. Wenn man mir bei Twitter folgt, sieht man, wie viel Spaß ich habe, jeden Tag zu arbeiten und mit dem Hund zum Strand zu gehen. Ein schönes, ruhiges Leben.

Mit Verlaub, hat das auch mit dem Alter zu tun?

Natürlich, klar – es ist auch das Gefühl, das alles schon gemacht zu haben und dazu sehr, sehr oft. Ich habe viel Lebenszeit in Flugzeugen verbracht. Es ist einfach anstrengend. Aber das würde ich auch so sehen, wenn ich 25 wäre.