Von Dolly Parton bis Jonas Kaufmann, von Rebecca Immanuel bis zum Calmus Ensemble: Auch 2020 ist die Ausbeute an Weihnachtsalben wieder reichlich und vielfältig
Glöckchen klingeln, Streicher streichen, was das Zeug hält, und hier und da knarzen Gitarren. Axel Hill sagt, wer in Sachen Weihnachtsmusik die Bescherung 2020 beschallen sollte – und wer nicht.
Dolly Parton
Country-Legende Dolly Parton startet in diesem Jahr einen weihnachtlichen Großangriff – natürlich mit der großen Strass-und Glitzer-Kanone: Bei Netflix flötet sie als Engel durch ihr Musical „Christmas on the Square“, im US-Fernsehen lädt sie zu einer mit Stars bestückten TV-Show, und uns alle beglückt sie mit ihrem dritten Weihnachtsalbum „A Holly Dolly Christmas“ (Warner).
Und nicht viele verstehen es wie die 74-Jährige, Kitsch und Aufrichtigkeit in Musik zu verpacken. Eine Platte, die Fröhlichkeit mit Herzenswärme paart. Höhepunkt: Mit US-Talker Jimmy Fallon nimmt sie sich „All I want for Christmas is you“ zur üppigen Brust und stellt damit das Original von Mariah Carey (fast) in den Schatten.
Auch Pop-Diva Carey wartet mit ihrem dritten Weihnachtsalbum (Sony) auf – einer Mogelpackung.
Bis auf wenige Ausnahmen sind es Lieder der ersten beiden Platten, die für ihr durchgeknalltes „Mariah Carey’s Magical Christmas Special“ bei Apple TV+ leicht aufgepeppt worden sind.
Meghan Trainor
Poppig und quirlig kommen sowohl Meghan Trainor („A Very Trainer Christmas“, Sony) als auch Tori Kelly („A Tori Kelly Christmas“, Universal) daher.
Beide singen mal Bewährtes, mal Neues, mal sanft, manchmal fast ein wenig quietschend – und verbreiten jede Menge gute Weihnachtsstimmung.
Andreas Gabalier
Auch ein selbstermächtigter „Volx-Rock’n’Roller“ sollte bei seinen Leisten bleiben. Und so hört man auf Andreas Gabaliers saisonalem Beitrag deutlich, dass Englisch nicht sein bevorzugtes Idiom ist. Wenn er dann auch noch versucht, wie Elvis zu schmachten… in seiner österreichischen Heimat würde man das ungeniert als Schmarrn bezeichnen. Dabei könnte er auch anders – seine angeraute Stimme käme klasse rüber, hätten die Arrangements mehr Ecken und Kanten und wären nicht darauf getrimmt, lediglich Samstagabend-Silbereisen-kompatibel zu sein.
Florian Silbereisen
Apropos Silbereisen: Der bringt heuer von der Platte mit seinem neuen Lieblingskumpel Thomas Anders eine „Winter Edition“ (Telamo) auf den Markt. Auf
den 14 neuen Songs charmieren die beiden zwischen Disco-Fox und Modern Talking durch jahresendzeitliche Stimmungsvielfalt.
Cassandra Steen
Deutsch, aber angenehm: Cassandra Steens „Weihnachtsgedanke“ (Sony).
Ihr Soul kommt zwar nur beim Klassiker „This Christmas“ wirklich durch, aber die von ihr selbstverfassten neuen Lieder haben genügend poppigen Groove, um an den Feiertagen aufhorchen zu lassen.
Jonas Kaufmann
Star-Tenor Jonas Kaufmann macht es sich und seinen Hörern nicht leicht. „It’s Christmas“ (Sony Classical) bietet auf der ersten CD 24 (!) deutsche und auf der zweiten 16 internationale Weihnachtslieder.
Allesamt dargeboten mit stolzgeschwellter Brust und größtmöglicher Orchesterbegleitung. Allein, Zwischentöne fehlen, und die Fülle des Materials überfordert, ja langweilt beinahe. Gen Ende wird man allerdings versöhnt: Ein paar der US-Klassiker swingen dann doch ganz schön.
Jamie Cullum
Aber viel besser swingt es natürlich bei Jamie Cullum! „The Pianoman At Christmas“ (Universal). Das sind zehn neue, von dem Briten verfasste Songs, an denen Sinatra und Co. auch ihre wahre Freude gehabt hätten.
Rebecca Immanuel
Dass wenig so viel mehr sein kann, zeigt die Schauspielerin Rebecca Immanuel auf „Light“ (Motor Entertainment): Runtergedimmt, zurückgenommen – sie macht nicht viel mit sattsam bekannten Songs wie „The Christmas Song“, aber alles richtig.
Die Platte strahlt von ersten Ton an Glückseligkeit aus, nur schade, dass es nach 33 Minuten schon wieder vorbei ist. Aber wenn eine CD so schön ist, kann man sie auch zweimal hintereinander hören.
Simone Kopmajer
Etwas jazziger, aber ähnlich dezent geht es auf Simone Kopmajers „Christmas“ (Mojo Luicky Records) zu.
Da rieselt der Schnee nicht nur einfach leise vor sich hin, sondern wird dabei von einem wohltemperierten Jazzensemble begleitet.
Zwo3Wir
A capella aus Österreich: Zwo3Wir servieren auf „Punschkrapferlviolett“ (Preiser Records) eine Melange aus pfiffig und melancholisch, mal auf Englisch, mal auf Österreichisch. Eine kleine Entdeckung.
Mark Seibert
Seine Musicalstimme setzt Mark Seibert auf seinem „Christmas Album“(Sound of Music) dankenswerterweise nur hie und da ein, setzt stattdessen auf eine beherzte Mischung aus Pathos und Pop – und veredelt Chris Reas Radioklassiker „Driving home for Christmas“ mit berührendem Balladenschmelz.
Michelle David
Zu einer Gospel-Soul-Party laden auf „It’s A Soulful Christmas“ (nur digital) Michelle David & The Gospel Session. Mitreißend, hinreißend und unheimlich lässig.
Thomas Hell und Andreas Ulvo
An Whams „Last Christmas“ versucht sich jedes Jahr der eine oder die andere – und scheitert oft gnadenlos. Nun zeigen zwei Norweger, wie man sich dem (warum auch immer) meist gehassten Weihnachtsohrwurm aufrichtig und zugewandt nähern kann. Über Minimal-Patterns von Andreas Ulvos Klavier singt Thom Hell die bittersüße Liebesgeschichte klar und fast emotionslos – und erzeugt damit ganz große Gefühle.
Auf diese Kombi setzen sie im Prinzip bei all ihren „Christmas Songs“ (NXN Recordings): Statt in Kitsch und Zuckerguss ersäuft zu werden, spürt der Hörer Schauer den Rücken herunterlaufen. Umwerfend!
Rebekka Bakken
Ebenfalls aus Norwegen: Auf „Winter Nights“ (Okeh/Sony) singt die Singer-Songwriterin Rebekka Bakken wie immer eindringliche Lieder mit klugen, nachdenklichen Texten.
Da sie auf Glöckchen und Ähnliches verzichtet, könnte man die meisten Songs das ganze Jahr über hören.
Nils Landgren
Im Nachbarland Schweden widmet sich Nils Landgren zum siebten Mal dem „Christmas With My Friends“. Diesmal stammen 14 Songs aus verschiedenen Ländern der Erde, von Polen bis Puerto Rico.
Doch dank der angejazzten Arrangements von Landgren und Co. wird hier ein weihnachtliches Band der Völkerverständigung geknüpft.
De-Phazz
Easy Listening, ohne dabei musikalische Fahrstuhl-Untermalung zu liefern: „Music To Unpack Your Presents“ von De-Phazz.
Die Heidelberger Kombo zeigt seit mehr als 20 Jahren, dass man sich auch hierzulande auf das Handwerk des „Leichten Angangs“ versteht.
Calexico
Wenn eine sich Tex-Mex-Indie-Band wie Calexico Weihnachten widmet, kann man sicher sein, dass es nüchtern zugeht. Aber so staubtrocken, wie man es von der Truppe aus Tuscon erwartet, fällt „Seasonal Shift“ (City Slang) nicht aus. Dafür sorgen schon das spanische „El burrito sabanero“ oder Tom Pettys „Christmas all over again“.
Calmus Ensemble
Klassischer Chorgesang vom Allerfeinsten – da hat man in diesem Jahr die Qual der Wahl: Das Calmus Ensemble singt sich auf „White Christmas“ (Carus) ebenso fast überirdisch schön durch die Jahrhunderte wie Chanticleer auf „Sings Christmas“ (Warner Classics) oder das SWR Vokal Ensemble auf „Christmas Carols“ (SWR Classic). Als Lokalpatriot landet man vielleicht am ehesten bei „Ding, Dong, Merrily on High“ (CPO) des WDR Rundfunkchores.
Concerto Copenhagen
Wenn der Worte genug gesungen wurden: „Per La Notte Di Natale“ (Naxos) ist eine Sammlung italienischer Barockkonzerte, wunderbar luftig eingespielt von Concerto Copenhagen. Eine gute Dreiviertelstunde Entspannung pur.