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Premiere Theater 1000 Hertz in KölnWas hat die Titanic mit den sieben Todsünden zu tun?

Lesezeit 3 Minuten
Theater 1000 Hertz Saligia

Szene aus „Saligia“ des Theater 1000 Hertz.

Das Theater 1000 Hertz widmet sich den sieben Todsünden - passenderweise in einer Kirche.

„Ich verlasse Paris nur ungern. Ich bin heilfroh, wenn ich zurück bin“, schreibt Edith Rosenbaum am 11. April 1912. Tags zuvor hat die 32-jährige Mode-Journalistin in Cherbourg auf der RMS Titanic in der ersten Klasse eingecheckt. Mit zwölf Schrankkoffern und einer bösen Vorahnung.

Was hat die Titanic mit den sieben Todsünden zu tun? Wer das erfahren möchte, sollte sich „Saligia. Todsünden Revisited“ ansehen. Und nicht nur deshalb. Die neue Produktion von Theater 1000 Hertz, die jetzt in der Ehrenfelder Friedenskirche uraufgeführt wurde, ist grandios.

Vom Mittelalter in die Gegenwart

Zwei Schauspielerinnen (Christina Vayhinger und Alice Charlotte Janeczek), eine Sängerin (Elke Bartholomäus) und eine Tänzerin (Claudia Braubach) haben gemeinsam ein Stück entwickelt, das rundum begeistert, mitreißt, sprach- und atemlos macht.

Wobei das, was unter Leitung von Vayhinger (Regie und Buch) in anderthalb Jahren entstand, nicht chronologisch erzählt. Es ist vielmehr eine Collage, ein assoziativer Reigen rund um die sieben Hauptlaster, die die römisch-katholische Kirche kennt. Seit dem Mittelalter werden Superbia (Hochmut), Avaritia (Habgier), Luxuria (Wollust), Ira (Zorn), Gula (Völlerei), Invidia (Neid) und Acedia (Trägheit) mit ihren Anfangsbuchstaben unter dem Akronym SALIGIA zusammengefasst.

Lässt sich Saligia auf die heutige Zeit übertragen? Fragten sich Vayhinger und ihre Mitstreiterinnen und haben starke Texte aus Büchern, Filmen, Reden, starke Musik und starke Bilder gefunden. Der Kirchenraum bietet die perfekte Kulisse für diese Neubetrachtung alter Sünden.

Kirche wird Catwalk

Gespielt, getanzt und gesungen wird vor dem Altar, auf der Kanzel und im Mittelgang, vor dem Eingang und von der Empore herab.

Unter schwarzen Kutten mit Kapuzen halten Mönche Einzug. Um sich dann in glamouröse Models zu verwandeln, die auch mal, in absurder Verkehrung der Haute Couture, die Tüte eines Discounters überm Kopf oder ein Kabelgewirr um den Hals tragen.

Die Kirche wird Catwalk, die Bühne Jahrmarkt der Eitelkeiten. Um den Neid zu illustrieren, reichen abschätzende Blicke zu Robert Schumanns „Von fremden Ländern und Menschen“: Ist da eine, die schöner ist als ich?

Moderne Faulheit

Ist es ein Zeichen von Trägheit, wenn ich lieber Künstliche Intelligenz befrage, als Dinge selbst in Erfahrung zu bringen? Meldungen von Suizid und von finanziellem Ruin bezeugen moderne Habgier, zu Piazzollas „Tango Escualo“ beginnt das große Fressen: als Balgerei um eine Bahn aus Goldlammee, die alle sich einverleiben, in sich hineinstopfen wollen.

Dezente Wollust

Wollust kommt dezent, aber ungemein erotisch daher, mehr angedeutet als vollzogen, im Pas de deux von je zwei Frauen, die einander begehren und umgarnen. Den roten Faden bildet die Geschichte von Edith Rosenbaum, die überlebte, aber deren zwölf Schrankkoffer versanken. Als dekadente Erscheinung von Janeczek perfekt verkörpert und gesprochen.

All dem fügt das Theater 1000 Hertz noch die Melancholie hinzu. Die, wenn so in Töne gefasst wie von Bartholomäus und als Solo getanzt wie von Braubach, eigentlich keine sein kann. Mit souveräner Präsenz und brillanter Artikulation schafft es Vayhinger selbst inmitten dieses großartigen Trios hervorzustechen.

80 Minuten. Wieder am 3. bis 5.8., jeweils 20 Uhr, Rothehausstr. 54a. Karten unter www.qultor.de/veranstaltungen/saligia-todsuenden-revisited sowie ab 19.30 Uhr an der Abendkasse.