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Premiere in der Oper BonnMeisterliche Meistersinger mit Putin, Trump, Höcke und Weidel

Lesezeit 5 Minuten
Die Meistersinger von Nürnber Oper Bonn

„Die Meistersinger von Nürnberg“ in der Oper Bonn.

Die Oper Bonn startet in die Spielzeit 2024/25 mit einer beeindruckenden Neuinszenierung von Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“.

„Ehrt Eure deutschen Meister, dann bannt Ihr gute Geister!“, rauscht es durchs Theater. Der Chor ist an beiden Seiten auf voller Länge des Zuschauerraums aufgetreten, zusätzlich noch auf der Bühne, die Sänger und Sängerinnen erzeugen einen Rundumklang, der durch den ganzen Körper geht.

Der Chor hält Schilder mit den Namen deutscher Meister hoch, naheliegende wie Martin Luther, Immanuel Kant oder Gustav Mahler, nicht so bekannte wie Designer Otl Aicher oder Bauhaus-Künstlerin Gunta Stölzl, überraschende wie Komiker Karl Valentin, Maler Jörg Immendorf oder Autor Saša Stanišić. Künstlerische Größe gibt es in allen Epochen und Genres.

Beeindruckendes Finale

Dieser Schlusschor ist ein überraschender und beeindruckender Abschluss der großartigen Neuproduktion der „Meistersinger von Nürnberg“ der Oper Bonn. Aron Stiehls stimmige Neuproduktion des Klassikers eröffnet die Spielzeit 2024/25.

Die Szenerie ist vom mittelalterlichen Nürnberg in einen Veranstaltungssaal aus den 1930er-Jahren verlegt. Die NS-Zeit ist vorbei, die Menschen tragen im Nachkriegslook Bleistiftröcke, Ringelpullis, Blümchenblusen, Pullunder. Sie bringen mehr oder weniger neuen Geist in alte Gedankengebäude, ganz bildlich umgesetzt.

Uraufgeführt 1863 in München

Der Raum könnte der Kongresssaal des Deutschen Museums sein oder irgendein anderer der Monumentalräume, die die NS-Architekten hinterließen. Er wächst und schrumpft in der Tiefe, ist wechselnd Chorprobensaal, Schulfoyer mit Bastelbasar, Vereinsheim, Partykeller (Ausstattung: Timo Dentler und Okarina Peter), ein Ort der Kunst und Künste. Und um die und ihre Konventionen und Innovationen geht es in Richard Wagners „Meistersingern“, uraufgeführt 1863 in München.

Da sind also in der Bonner Produktion die alten Meistersinger in Anzügen, mit ihren Regeln, was gute Kunst ist, in Verehrung des zur Büste geronnenen noch älteren Meisters Beethoven, erstarrt und etwas selbstherrlich in ihrer Überzeugung.

Formidables Rollendebüt

Dass einer von ihnen ein Stofftier und nicht, wie geplant, geprobt und vom Veterinär gestoppt, einen lebendigen Hund auf dem Arm trug, macht keinerlei Unterschied. Und dann kommt da dieser junge Walther von Stoltzing mit seinem Pin-bestecken Gehrock, der gestreiften Hose, dem Pillbox-Hut auf der Wuschelfrisur und seinen coolen Freunden.

Star-Tenor Mirko Roschkowski gibt hier sein Rollendebüt als Walther, stimmstark, hell timbriert, ein durchdringender Heldentenor mit ganz viel Romantik im Ausdruck. Wie es sein muss, setzt er sich stimmlich von den anderen Sängern ab und steht für die Neuerungen in der Kunst – wie seinerzeit Wagner selbst.

Durchtriebene Goldgräberin?

Die Herzen des Publikums gewinnt Roschkowski genauso unmittelbar wie seine Figur Walther die kapriziöse Eva Pogner (Anna Princeva). Die Madame mit dem Pullunder, dem Bleistiftrock und dem ondulierten Haar passt eigentlich nicht zu dem jungen Kerl, aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Anna Princeva singt wunderschön, und ihre Eva wickelt den nicht nur väterlichen Freund Hans Sachs ordentlich um den Finger; man bekommt fast Sorge um Walther, ob er da nicht auf eine durchtriebene Goldgräberin hereinfällt, die ihm die wahre Liebe nur vorspielt.

Tobias Schabel als Sachs ist melancholisch, fast altersweise, aber auch wieder jung im Herzen, wenn er seine abgeschabte Lederjacke lässig über die Beethovenbüste hängt. Auch hier Vielschichtigkeit, die Schabel gesanglich und darstellerisch herausarbeitet.

Bariton zeigt komisches Talent

Sixtus Beckmesser, als Hüter der Kunstregeln oft als Unsympath dargestellt, ist in Bonn ein armer Tropf, der sich nicht einmal selbst genügt. Bariton Joachim Goltz zeigt bei dieser Rolle ein großartiges komisches Talent zusammen mit echtem Mut zu Peinlichkeit und hässlichem Klang (obwohl auch er natürlich fantastisch singt).

Ja, auch zu Lachen gibt es in dieser Produktion einiges, sogar über den Geist Richard Wagners, wenn er in großem Bühnennebel erscheint und per Briefchen mitteilt: „Kinder, macht Neues!“

Was lauert hinter der Fassade?

Regisseur Aron Stiehl fügt die verschiedenen Ebenen von Anfang an bündig zusammen – die Beziehungen der Figuren, das Thema Tradition/Innovation in der Kunst und als Meta-Ebene die Frage: Wie viel Altes, das wir abgelegt glaubten, lauert noch hinter der Fassade des Nachkriegs-Neubeginns?

Im Tumult am Ende des zweiten Akts platzen zwei Paneele seitlich der Bühne-auf-der-Bühne ab und enthüllen, dass die alten Reichsadler und Hakenkreuze dahinter immer noch da sind. Und es werden Persiflage-Figuren der neuen alten gefährlichen Geister enthüllt: Trump, Putin, Meloni, Le Pen, Höcke, Weidel. „Bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk, dass kein böser Geist eu'r Seel beruck!“, mahnt der Nachtwächter im Angesicht dieser Fratzen und zieht den großen Vorhang zu.

Regietheater, das Spaß macht

Das ist Regietheater, das Spaß macht – da es komplett mit dem Stück geht und mit der Aussage in die Gegenwart weist. Regisseur Stiehl und Generalmusikdirektor Dirk Kaftan fegten die Deutschtümelei aus den „Meistersingern“ und mahnen zugleich, sich auf gesellschaftliche Werte zu besinnen.

Kaftan wählt ein sehr flottes Tempo und einen leichten Klang, segelt damit über viele Tiefen Komposition hinweg, befreit die Musik damit zugleich aber von Ballast und Pathos gewohnter Interpretationen. So kann die Schlussszene auf dem Wiesenplan ohne großes Trara aus dem Graben eine fröhliche Karnevalssitzung werden, die Zünfte als Karnevalsgesellschaften auftreten und die Meistersinger als Elferrat. Das geht natürlich nur im Rheinland, aber hier ziemlich gut.

Bonn versinkt in schwarzem Loch

Auf dem naiv gemalten Prospekt im Hintergrund ist dabei Bonn zu sehen, bis er durch ein Portal in der Brandmauer weggerissen wird wie in ein schwarzes Loch. Wenn man nicht wachsam bleibt, ist der Spaß schnell vorbei und die Geister der Vergangenheit sind wieder da, sagt dieses Stück auch. Dafür gibt es stehenden Applaus und große Begeisterung, vor allem unmittelbar nach dem ergreifenden Chorfinale und den guten Geistern.

Knapp sechs Stunden (inkl. zwei lange Pausen). Wieder am 6. und 13.10. sowie 24.11. jeweils 16 Uhr, 19. und 26.10. sowie 22.11., jeweils 17 Uhr.