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Plädoyer von WDR-ChefSteht der Rundfunk vor einer Zeitenwende?

Lesezeit 6 Minuten
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Tom Buhrow, Intendant des WDR, sitzt in seinem Büro.

Hamburg/KölnSollen ARD und ZDF auf Dauer nebeneinander bestehen bleiben? Braucht man ein deutschlandweites öffentlich-rechtliches Radio? Ausgerechnet der Intendant der größten ARD-Anstalt stellt diese Fragen. Und erhält dafür nicht nur Lob.

Inmitten der heftigen Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen hat WDR-Intendant Tom Buhrow Vorschläge für eine tiefgreifende Neuordnung der Rundfunklandschaft gemacht. „Mein fester Eindruck ist: Deutschland scheint uns in zehn Jahren nicht mehr in dem Umfang zu wollen – und auch finanzieren zu wollen wie heute“, hatte Buhrow am Mittwochabend vor dem Verein Übersee-Club in Hamburg gesagt. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ publizierte die Rede.

Buhrows Themen und Thesen

Der 64-Jährige, der ausdrücklich nicht in seiner Funktion als derzeitiger ARD-Vorsitzender, sondern für sich selbst sprach, regte zugleich Eckpunkte für die Reform an. „Erstens: Wir müssen aus dem bisherigen System Staatskanzleien hier, Sender dort ausbrechen. Zweitens: Wir brauchen dafür einen Runden Tisch, der einen neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeitet. Eine Art verfassungsgebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk.“ Drittens dürfe es dabei keine Tabus und keine Denkverbote geben. Buhrow sprach auch von Verlässlichkeit und Sicherheit für mindestens eine Generation.

Standpunkte

Kommentar zu den Ideen des WDR-Chefs – von Cordula von Wysocki

Cordula von Wysocki

Jetzt dreht sich etwas

Keine Tabus, keine Denkverbote, keine Selbstverteidigungsreflexe – ein Reformprozess, der so startet, macht Hoffnung. Wenn er denn startet. Denn zunächst einmal ist die große Umwälzung in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unter diesen Vorzeichen eine Idee, die WDR-Intendant Tom Buhrow in seinem Kopf bewegt.

Aber immerhin hat er jetzt ausgesprochen, was bisher kaum laut gedacht wurde: Brauchen wir auf Dauer ARD und ZDF als lineare Vollprogramme? Sollten Landesrundfunkanstalten fusionieren? Braucht jeder Sender ein Orchester, einen Chor, eigene Produktionsstätten?

Berechtigte Fragen, die aus dem Mund eines öffentlich-rechtlichen Sender-Chefs so zugespitzt noch nicht gestellt wurden. Im Gegenteil. Bislang waren die Rundfunkanstalten eher bemüht, entsprechende Vorstöße aus dem politischen Raum schnell auszutreten. Jetzt dreht sich etwas, und das kann sich Tom Buhrow auf die Fahne schreiben.

Die Frage ist allerdings, wie lang sein Atem reicht, etwa einen „Runden Tisch“ für einen neuen Gesellschaftsvertrag durchzusetzen, und ob die Hürden der medienpolitischen Zuständigkeiten zu überwinden sind. Vor dem Hintergrund sah SWR-Intendant Kai Gniffke, Buhrows Nachfolger als ARD-Vorsitzender, gestern schon mal schwarz für einen „Runden Tisch“. So viel zum Thema keine Denkverbote.

Die sollte es allerdings auch beim Thema Intendantengehälter nicht geben. Die Frage, ob der Chef eines öffentlich-rechtlichen Betriebes doppelt so viel wie der Bundeskanzler verdienen sollte, gehört dann nämlich auch auf die Liste der unbequemen Fragen.

Ihre Meinung an: dialog@kr-redaktion.de

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Deutschland

Die Bundesländer sind für Medienpolitik zuständig und beschreiben in Staatsverträgen den Auftrag und die Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es geht dabei nicht um konkrete Inhalte des Programms. Die Länder bestimmen zum Beispiel, wie viele Programme die Sender anbieten oder wie die Struktur der Kontrollgremien aussehen soll.

In den vergangenen Jahren waren die Häuser bereits zum Sparen angehalten, viele Arbeitsplätze wurden abgebaut. Finanziell herausfordernd sind für die Häuser die Pensionsansprüche. Aus der Politik gab es zudem an den Sendern immer wieder Kritik, dass sie selbst nicht entschieden genug Reformen anstoßen.

Zuletzt war die Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen wieder neu entfacht – ausgelöst durch Turbulenzen bei Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und Norddeutschem Rundfunk (NDR). Dort hatte es unterschiedlich gelagerte Vorwürfe gegen Führungspersonal gegeben. Beim RBB ermittelt sogar die Generalstaatsanwaltschaft Berlin. (dpa)

Zahl

18,36 Euro zahlen die bundesdeutschen Haushalte derzeit monatlich an Rundfunkbeiträgen. Die Bundesländer reformieren derzeit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der durch die Beiträge finanziert wird. Dabei geht es zunächst um die Anpassung von Auftrag und Struktur. Erst in einem zweiten Reformschritt soll die Finanzierung des Rundfunks folgen. (dpa)

Reformschritte

Heike Raab, Koordinatorin der Rundfunkkommission.

Die Koordinatorin der Rundfunkkommission, Heike Raab, reagierte verhalten. „Wir werden den ARD-Vorsitzenden an seinen jüngsten Aussagen messen und dann Anfang des kommenden Jahres über die weiteren Reformschritte beraten“, so die SPD-Politikerin. (dpa)

Der WDR-Intendant sagte mit Blick auf das ARD-Gemeinschaftsprogramm Das Erste und das Hauptprogramm des ZDF: „Die erste Frage, glaube ich, die wir uns stellen müssen, ist: Will Deutschland im 21. Jahrhundert weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender? Wenn nicht: Was heißt das? Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?“ In der Rede ging es auch um die zukünftige Ausgestaltung der ARD-Regionalprogramme und die Rolle von Orchestern, Bigbands und Chören. Zudem warb Buhrow dafür, offen über bundesweites Radio zu diskutieren, was es bislang innerhalb der ARD nicht gibt.

Der Intendant des größten ARD-Senders griff auch erneut seine bereits vor Jahren geäußerte Idee von einer einzigen großen Mediathek im öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Jahre 2030 auf. Bislang arbeiten ARD und ZDF zwar bereits vernetzter miteinander, haben aber weiterhin eigenständige Mediatheken. Buhrow sprach auch das Thema Senderfusionen an und verwies mit Blick auf die Historie auf RBB oder SWR, die aus je zwei Anstalten hervorgingen.

Nachfolger will mehr Tempo

SWR-Intendant Kai Gniffke, der Buhrow 2023 als ARD-Chef nachfolgt, sagte: „Ich nehme den Text als Ansporn, mutig zu sein und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfest zu machen. Buhrow fordert zu Recht, Netflix und Co. die Stirn zu bieten.“ Um dafür die Ressourcen zu haben, sei es „richtig, auch Dinge zu überdenken, die wir lange für unantastbar gehalten haben, Stichwort Hörfunk-Wellen, Orchester, Produktionsstätten oder lineare TV-Kanäle“.

Gniffke ließ zugleich Zweifel an der Idee eines Runden Tisches erkennen. Dafür müssen man die Zuständigkeit für Medienpolitik erst neu regeln: „Das kann Jahre dauern. Diese Geduld habe ich nicht. Meine Sorge ist, dass in dieser Zeit der Reformeifer erlahmt. Wir sollten jetzt den Elan in der ARD nutzen, um gemeinsam mit unseren Aufsichtsräten mutige Reformen anzuschieben. Der künftige Medienstaatsvertrag gibt die dafür nötigen Spielräume.“

Zuspruch aus der Politik

Lob erhielt Buhrow von Bundesfinanzminister Christian Lindner. „Die Initiative verdient außerordentlichen Respekt und Beachtung“, sagte der FDP-Politiker. „Wenn wir die Öffentlich-Rechtlichen wieder stärken wollen in ihrer Legitimität, geht das nur durch Reformen. Dabei darf es keine Denkverbote geben.“ Lindner hatte ARD und ZDF zuletzt auffällig oft und scharf attackiert.

Zuspruch kam auch aus Sachsen-Anhalt und Thüringen. Offenkundig habe Buhrow verstanden, dass es einen Befreiungsschlag brauche, um das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder aufzubauen und dessen Zukunftsfähigkeit zu sichern, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) dem „Spiegel“. Er mahnte allerdings an: „Wir brauchen eine aktive Beteiligung der Gebührenzahler an dieser Zukunftsdebatte.“ Ähnlich äußerte sich Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke). „Das öffentlich-rechtliche Medienangebot zu stabilisieren, heißt, es in sich veränderten Zeiten auch neu zu denken“, sagte er dem Magazin.

Zurückhaltung beim Zweiten

Das ZDF äußerte sich zurückhaltend. Er teile nicht die „pauschale Skepsis des ARD-Vorsitzenden in Bezug auf die Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, so Intendant Norbert Himmler. „Wir sind offen und bereit für diese grundsätzliche Debatte und scheuen dabei auch keinen Vergleich der Systeme“, machte er zugleich deutlich. „Als nationaler, zentral organisierter Sender ist das ZDF effizient aufgestellt und dabei lern- und veränderungsfähig.“ Das ZDF habe bewiesen, dass erfolgreiche Reformen möglich seien. (dpa/mit kna)

Was meinen Sie? Wie sollte eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aussehen? Bitte schreiben Sie uns: Dialog@kr-redaktion.de oder Kölnische Rundschau, Leserbriefe, Postfach 102145, 50461 Köln.